Arlene Foster Der nordirische Machtfaktor

Arlene Foster könnte eine entscheidende Rolle für die Stabilität der britischen Regierung zukommen. Die nordirische Politikerin überlebte nur knapp den Terror der IRA und polarisiert mit erzkonservativen Positionen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Nordirin soll Premierministerin Theresa May die hauchdünne Mehrheit im britischen Unterhaus sichern. Quelle: Reuters

London Sie kann sich an diesen Tag im Jahr 1979 noch ganz genau erinnern: „Ich war in der Küche, meine Mutter saß auf der Tischkante, als wir die Schüsse hörten“, erzählt Arlene Foster im Gespräch mit einer nordirischen Zeitung Jahrzehnte später. „Ich wusste nicht, was passiert war – bis mein Vater auf allen vieren in die Küche kam und aus dem Kopf blutete.“

Acht Jahre war Foster damals alt, als die Terrororganisation IRA ihren Vater, einen Polizisten, fast getötet hätte. Und es war nicht das einzige Mal, dass Foster den blutigen Nordirlandkonflikt zwischen Protestanten und Katholiken hautnah mitbekam.

Einige Jahre später kam sie selbst knapp mit dem Leben davon, als die IRA einen Bombenanschlag auf ihren Schulbus verübte. Diese Erfahrungen haben die Chefin der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) geprägt – auch wenn sie sagt: „Wir sollten die Vergangenheit nicht bestimmen lassen, was wir in Zukunft tun.“

In Zukunft gehört voraussichtlich vor allem dies zu den Aufgaben der 46-Jährigen und ihrer Partei: Premierministerin Theresa May bei wichtigen Entscheidungen im britischen Unterhaus zu einer Mehrheit zu verhelfen. Wie das genau funktionieren soll und was Foster dafür im Gegenzug bekommt, das ist noch unklar. Die Gespräche zwischen den beiden Parteien sind noch nicht abgeschlossen. Als wesentlicher Grund für die Verzögerungen gilt der Hochhausbrand in London, bei dem mindestens 30 Menschen gestorben sind.

Es ist eine umstrittene und heikle Allianz, die sich zwischen May und Foster abzeichnet. Sie könnte den fragilen Frieden in Nordirland zwischen den englandtreuen Protestanten und dem katholischen Lager gefährden. Eigentlich soll die britische Zentralregierung seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, das die blutigen Auseinandersetzungen in Nordirland offiziell beendete, die Aufgabe eines „ehrlichen Maklers“ in der einstigen Unruheprovinz übernehmen und daher neutral bleiben.

Doch das dürfte jetzt äußerst schwierig werden, warnte der ehemalige britischer Premierminister John Major jüngst in einem BBC-Interview, wenn es einen Deal zwischen der Londoner Zentralregierung und einer nordirischen Partei gebe.

Das Bündnis zwischen May und Arlene Foster hat noch aus einem anderen Grund Kritik ausgelöst: Die DUP-Chefin vertritt zum Teil erzkonservativen Ansichten. Sie ist gegen die Homo-Ehe und gegen das Recht auf Abtreibung – selbst bei Frauen, die durch Vergewaltigung schwanger werden. Dennoch gibt sie sich als Vorkämpferin für Frauenrechte und zitiert gerne die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher: „Wenn Du willst, dass etwas gesagt wird, frag einen Mann. Wenn Du willst, dass etwas getan wird, frag eine Frau.“

Ihre politische Karriere hat Foster nach ihrem Jurastudium begonnen. Sie trat der Ulster Unionist Party (UUP) bei. Damals war das die einflussreichste Kraft des protestantischen Lagers. 2004 wechselte sie zur DUP. Die Partei war gegen das Karfreitagsabkommen – genauso wie Foster. Medienberichten zufolge begründete sie das vor allem mit einem Faktor: Es mache der IRA gegenüber zu viele Zugeständnisse und sehe nicht genug Unterstützung für die Opfer der Terrororganisation vor. Darauf beruht bis heute Fosters Ruf als unnachgiebige Politikerin.


Foster will keine Zoll- oder Grenzkontrollen

Innerhalb der DUP machte sie schnell Karriere. Noch Anfang dieses Jahres war sie Chefin der nordirischen Regionalregierung – bis diese in eine Krise schlitterte. Auslöser war ein Förderprogramm für erneuerbare Energien, das Foster in ihrer Zeit als Wirtschaftsministerin verantwortet hatte und das offenbar missbraucht worden war.

In der Debatte um Großbritanniens Austritt aus der EU stand Foster auf der Seite der Referendumsgewinner: Sie stimmte dafür, dass das Land die Staatengemeinschaft verlässt – um wieder die Kontrolle über das Schicksal Großbritanniens zurückzugewinnen, wie sie sagt.

Die Mehrheit der Nordiren hat sich allerdings gegen den Brexit ausgesprochen. Foster macht sich jetzt für eine Lösung stark, mit der beide Seiten leben können und die will vor allem: Keine Zollschranken und Grenzkontrollen zwischen EU-Mitglied Irland und dem künftigen EU-Ausland Nordirland. Fosters Idee nach soll es eine unsichtbare Grenze bleiben, wie die Menschen sie in der Region derzeit erleben. „Ich bin bereit, flexibel zu sein“, was die genaue Ausgestaltung des Brexit angehe, sagte Foster jüngst bei einer Veranstaltung der Denkfabrik Bruges Group in London.

Politikbeobachter hoffen, dass Foster mit dieser Flexibilität auch den Brexit-Kurs von May etwas abmildern kann. Diese macht sich zwar für eine unsichtbare Grenze zwischen Irland und Nordirland stark, droht aber gleichzeitig: Gar kein Deal mit der EU sei besser als ein schlechter Deal. Enden die Austrittsgespräche zwischen London und Brüssel aber ohne ein neues Handelsabkommen, dürfte die unsichtbare Grenze auf der grünen Insel schnell Geschichte sein.

Eine neue Regionalregierung hat Nordirland bis heute nicht, dafür ist Foster wohl bald daran beteiligt, ob und wie lange die Zentralregierung in London funktioniert und welchen Brexit-Kurs sie einschlägt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%