Am Dienstag könnte Donald Trump eine der weitreichendsten Entscheidungen seiner bisherigen Amtszeit treffen. Der US-Präsident will bekanntgeben, wie er sich die Zukunft des 2015 geschlossenen Atomabkommens mit dem Iran vorstellt.
Die Regelung verpflichtet die internationale Gemeinschaft, auf Sanktionen gegen den Iran zu verzichten. Im Gegenzug soll das Land weitgehend die Anreicherung von Uran unterlassen, so dass die Herstellung von waffenfähigem Nuklearmaterial ausgeschlossen ist.
Die Europäer und auch Russland wollen unter allen Umständen an dem Deal festhalten. „Wir befürchten, dass ein Scheitern dazu führt, dass es Eskalationen gibt und wir in die Zeit von vor 2013 zurückfallen werden“, sagte Deutschlands Außenminister Heiko Maas bei einem Treffen mit seinem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian in Berlin.
Das Abkommen hat aus mehreren Gründen eine große Bedeutung für Deutschland. Zum einen war der Abschluss des Abkommens nicht zuletzt ein Glanzstück deutscher Diplomatie, das viel Arbeit, Kraft und Zeit gekostet hat. 13 Jahre wurde mit dem Iran verhandelt. Mit am Tisch saßen nicht nur die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - sondern eben auch Deutschland. Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der den Kompromiss 2015 als Außenminister mit aushandelte, sprach damals von einem „historischen Erfolg der Diplomatie“. Es war nicht nur für ihn persönlich der größte Erfolg seiner Amtszeit, sondern auch einer der größten diplomatischen Erfolge, an dem Deutschland seit der Wiedervereinigung 1990 mitgewirkt hat.
Die Druckmittel des Irans bei einem Ende des Atomabkommens
Nach den Erfolgen der sunnitischen Extremistenmiliz IS half der schiitische Iran bei der Ausbildung und Bewaffnung Tausender Milizionäre in dem Nachbarland. Bei einem Scheitern des Abkommens könnte die Regierung diese Gruppen ermuntern, verbale und vielleicht auch militärische Angriffe gegen die im Irak verbliebenen US-Truppen zu starten. Um einen direkten Konflikt zu vermeiden, könnte der Iran bestreiten, daran beteiligt gewesen zu sein.
Iran und die mit ihm verbündete Hisbollah sind dort seit 2012 aktiv. Sie unterstützen Tausende Kämpfer, die aufseiten von Präsident Baschar al-Assad stehen. Bei einem Ende des Abkommens gäbe es für den Iran nur wenig Anreize, ihre Verbündeten von Attacken auf Israel abzuhalten. Auch die 2000 US-Soldaten im Norden und Osten Syriens könnten dann in Gefahr sein. Sie sollen kurdischen Milizen beim Kampf gegen den IS helfen.
Die mit dem Iran verbündete schiitische Hisbollah hat bei den Parlamentswahlen zusammen mit Verbündeten mehr als die Hälfte der Sitze gewonnen und damit ihren Einfluss ausgebaut. Iran könnte die Hisbollah zu einer härteren Gangart auffordern und damit den Libanon destabilisieren. Zudem könnte die Hisbollah dazu animiniert werden, Angriffe auf Israel zu starten. Nach israelischen und amerikanischen Angaben hat der Iran der Hisbollah beim Aufbau von Fabriken zur Herstellung von Raketen mit präziser Steuerung geholfen. Die Spannungen zwischen Iran und Israel könnten wie 2006 zu einem Krieg zwischen dem jüdischen Staat und der islamistischen Gruppe führen.
Iran hat stets eine militärische Beteiligung am Bürgerkrieg im Jemen bestritten. Die Regierungen der USA und Saudi-Arabiens gehen aber davon aus, dass die Regierung in Teheran die schiitischen Huthi-Rebellen mit Raketen und anderen Waffen beliefert. Bei einem Ende des Atomabkommens könnte der Iran seine Hilfen für die Huthis aufstocken und so eine militärische Reaktion von Saudi-Arabien und Verbündeten provozieren.
Der Iran verfügt auch über Optionen, die direkt mit dem Atomprogramm zusammenhängen. So haben Vertreter des Staates erklärt, man könnte sich eventuell aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückziehen. Zwar hat die Regierung in Teheran erklärt, nicht nach Atomwaffen zu streben. Aber der Rückzug aus dem Vertrag würde weltweit als alarmierendes Signal gewertet. Unabhängig davon könnte Iran stärker als bislang Uran anreichern. In dem Atomabkommen ist eine Obergrenze von 3,6 Prozent vorgesehen. Für Atombomben ist Uran mit einer Reinheit von 80 bis 90 Prozent nötig.
Zudem fürchten Experten eine Kettenreaktion der atomaren Aufrüstung, die auch Europa bedrohen würde, wenn das Atomabkommen scheitert. Der Iran könnte dann sein Atomprogramm wieder in Gang setzen und damit auch Saudi-Arabien – neben Israel der mächtigste Gegner des Iran im Nahen Osten – animieren, nach der Bombe zu greifen. Israel hat sie mutmaßlich schon, auch wenn die Regierung das nicht offiziell einräumt. Die nukleare Abschreckung erlebt ohnehin schon seit einigen Jahren eine Renaissance. Alle Atommächte investieren in die Modernisierung ihrer Waffen. Alleine die Ausgaben der USA werden für die nächsten zehn Jahre auf 400 Milliarden US-Dollar (336 Milliarden Euro) geschätzt.
Deutsche Wirtschaft alarmiert
Für Deutschland ist die Sorge um das Atomabkommen darüber hinaus nicht nur politischer Natur. Auch wirtschaftlich wäre Trumps Absage problematisch. „Viele Betriebe treibt die Sorge, durch ihren Handel mit dem Iran das US-Geschäft zu riskieren“, hieß es jüngst in einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Trumps Warnung, die Aussetzung vieler Strafmaßnahmen gegen den Iran nicht zu verlängern, stehe das Iran-Geschäft insgesamt in Frage. Die Bedeutung des Iran als Handelspartner für Deutschland ist zwar überschaubar, aber die deutsche Wirtschaft hatte große Hoffnungen in das Atomabkommen und die daraus folgende Aussetzung der Sanktionen im Januar 2016 gesetzt. Innerhalb von zwei Jahren erwartete der deutsche Industrie- und Handelskammertag eine Verdoppelung des Handelsvolumens von 2,4 Milliarden Euro (2015) auf fünf Milliarden. Innerhalb von fünf Jahren seien sogar zehn Milliarden Euro möglich, so die Ursprungsprognose.
Die tatsächliche Entwicklung ist zwar weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Tendenz nach oben ist dennoch deutlich erkennbar: Im vergangenen Jahr setzte die deutsche Wirtschaft laut DIHK Waren im Wert von drei Milliarden Euro im Iran ab. Das war ein Plus von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und von 45 Prozent seit 2015. Deutschland führte 2017 Waren aus dem Iran von lediglich 400 Millionen Euro ein. Damit belegt der Iran beim Handelsvolumen aktuell nur Rang 58 auf der Liste der wichtigsten deutschen Handelspartner.
Seit der Lockerung der Sanktionen hätten zwar viele deutsche Unternehmen ihre Repräsentanzen im Iran wiedereröffnet, vertrieben ihre Produkte auf dem iranischen Markt und planten Investitionen mit iranischen Joint-Venture-Partnern, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Allerdings blieben die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Hauptproblem ist die Unternehmensfinanzierung. Viele europäische Großbanken weigern sich auch nach dem Deal und der Aufhebung der Sanktionen, Handelsprojekte zu finanzieren oder Infrastrukturprojekte und Industrieanlagen. Sie befürchten Strafmaßnahmen seitens der USA.
Dies führt beispielsweise bei den deutschen Maschinenbauern zu Problemen, heißt es vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). So könnten die deutschen Maschinenbauer durch das Scheitern des Abkommens mit dem Iran einen Markt mit Potenzial endgültig an die chinesische Konkurrenz verlieren. Schon heute beherrscht China fast die Hälfte des Markts.
„Geht es um Projekte, bei denen alles mit der externen Finanzierung steht und fällt, haben deutsche Maschinenbauer keine Chance“, sagt VDMA-Exportexperte Klaus Friedrich im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Wenn sich die Finanzierungslage in Europa nicht bessert, breitet sich China über wirtschaftliche Großprojekte weiter in Iran aus – und gewinnt so auch politische Einflussmöglichkeiten. Den gleichen Effekt hat das ständige Infragestellen des Atomabkommens, obwohl das Abkommen bis dato sehr erfolgreich ist.“
Atomabkommen am Ende? Negative Folgen für die USA
Hinter all dem steht die Befürchtung in der deutschen Wirtschaft, dass der Export schlimmstenfalls wieder auf eine Größenordnung von unter zwei Milliarden Euro zurückfallen könnte, den Stand von 2013. Dabei hatte die deutsche Wirtschaft in erfolgreichen Jahren, wie Mitte des vergangenen Jahrzehnts, Waren im Wert von rund fünf Milliarden Euro in den Iran geliefert.
Vor Jahrzehnten spielte der Iran eine bedeutende Rolle als deutscher Handelspartner. In den 1970er Jahren war das Land nach DIHK-Angaben für die deutsche Wirtschaft der zweitwichtigste Exportmarkt außerhalb Europas hinter den USA.
„Sollte das Atomabkommen scheitern, würde dies nicht nur die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen treffen, sondern auch das Vertrauen in internationale Vereinbarungen“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Treier. Diese Risiken gefährdeten damit auch die wieder verbesserten Wirtschaftsbeziehungen deutscher Unternehmen mit dem Iran erheblich.
Negative Folgen für die USA
Dabei sind es nicht nur Europa und Deutschland, die negative Folgen durch den Abbruch des Abkommens befürchten. Auch Experten in den USA weisen auf Gefahren hin. „Wir könnten in die sehr eigenartige Position kommen, dass wir unsere europäischen Partner für Geschäfte mit dem Iran sanktionieren müssten“, sagte der demokratische Kongressabgeordnete Joaquin Castro. Er schloss auch militärische Konsequenzen nicht aus. „Es wäre sehr gefährlich, diesen Weg zu gehen“, betonte er.
Zwölf Jahre Streit um das iranische Atomprogramm
Der Iran erklärt sich bereit, die Urananreicherung und die Wiederaufbereitung von Brennstäben auszusetzen. Teheran unterzeichnet das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das Inspekteuren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) uneingeschränkten Zugang zu allen Atomanlagen des Landes erlaubt.
Teheran sagt zu, für die Dauer von Gesprächen mit der EU über ein politisches und wirtschaftliches Abkommen sein Programm zur Urananreicherung auszusetzen.
Der Iran nimmt die Urananreicherung wieder auf und wendet das Zusatzprotokoll nicht mehr an. Der UN-Sicherheitsrat verhängt erste Sanktionen gegen Teheran. Später folgen weitere Strafmaßnahmen.
EU-Chefdiplomat Javier Solana macht im Namen der Vetomächte im UN-Sicherheitsrat (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China) sowie Deutschlands (5+1) Teheran ein neues Angebot zur Kooperation. Der Iran lehnt einen Verzicht auf Urananreicherung aber weiterhin ab.
Bei neuen 5+1-Gesprächen stimmt der Iran grundsätzlich der Möglichkeit zu, Uran im Ausland anzureichern. Teheran spielt jedoch auf Zeit und lässt auch eine Frist der IAEA dafür verstreichen.
In Istanbul wird eine weitere Runde der Gespräche des Irans mit der 5+1-Gruppe auf unbestimmte Zeit vertagt. Nach mehr als einem Jahr werden in Istanbul die Gespräche wieder aufgenommen. Weitere Treffen in Moskau und im kasachischen Almaty folgen.
Neue Gespräche in Genf münden in eine Übergangslösung. Der Iran muss sein Atomprogramm zunächst für sechs Monate auf Eis legen; dafür sollen erste Sanktionen gelockert werden.
Teheran ergreift erstmals überprüfbare Maßnahmen, um sein Atomprogramm in wichtigen Teilen zurückzufahren. Im Gegenzug lockern die USA und die EU erste Sanktionen. In Wien treffen sich erneut die 5+1-Gruppe und der Iran.
Am Rande der UN-Vollversammlung in New York, an der auch der iranische Präsident Hassan Ruhani teilnimmt, gibt es neue Verhandlungen des Irans mit der 5+1-Gruppe.
Auch Treffen von USA, EU und Iran in Maskat (Oman) sowie Gespräche der 5+1-Außenminister mit ihrem Kollegen aus Teheran in Wien bleiben ergebnislos.
Die IAEA und Teheran verhandeln wieder, um bis Monatsende eine vorläufige Einigung zu erzielen. Die Gespräche in verschiedenen Formaten von bilateralen Treffen bis zur großen Außenministerrunde im 5+1-Format sind aber bei Fristablauf nicht abgeschlossen.
Nach einer zweitägigen Verlängerung der Verhandlungen verständigen sich die UN-Vetomächte und Deutschland mit dem Iran auf Eckpunkte für eine abschließende Vereinbarung in dem Streit. Ein umfassendes Abkommen in dem Konflikt ist bis Anfang Juli angepeilt.
An den Märkten jedenfalls herrscht vor der Trump-Rede Unruhe. Eine Aufkündigung des Atomabkommens könnte weitreichende Folgen für den Ölmarkt haben. Schon jetzt gilt das Angebot als knapp. Das liegt zum einen an einer seit Anfang 2017 geltenden Fördergrenze der Opec. Zum anderen ist die Förderung in dem ölreichen Krisenstaat Venezuela eingebrochen. Hinzu kommt eine solide wachsende Weltwirtschaft, die für eine steigende Nachfrage nach Erdöl sorgt. Käme es zu Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, könnte das ohnehin knappe Rohölangebot weiter fallen. Es drohen steigende Rohölpreise.
Negative Folgen für den Iran
Die größte Sorge des Irans gilt der eigenen Wirtschaft. Viele Iraner werfen Präsident Hassan Ruhani Führung vor, bei der Kontrolle in die Höhe schießender Preise für Grundnahrungsmittel wie Fleisch und Reis versagt zu haben. Alles ist teurer geworden, von der Taxifahrt bis zum Friseurbesuch. Die Schwarzmarktkurse sind auf um die 70.000 Rial für einen Dollar geschnellt, während der von der Regierung verordnete Kurs bei 42.000 Rial liegt. Und die Unsicherheit über die Zukunft des Atomabkommens verstärkt die wirtschaftlichen Sorgen nur, sagt Dschihad Asur, der für den Nahen Osten und Zentralasien zuständige Direktor des Internationalen Währungsfonds IWF. „Wenn Sie das Level der Unsicherheit erhöhen, hat das immer einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft.“
Diese wirtschaftlichen Probleme haben im Dezember und Januar zu landesweiten Protesten im Iran geführt. Mindestens 25 Menschen wurden bei den Demonstrationen getötet, fast 5000 festgenommen. Die Revolutionsgarde unterband den Aufruhr zwar, auf lokaler Ebene kommt es vereinzelt aber immer wieder zu Streiks und anderen Protesten.
Sollte das Abkommen aufgekündigt werden und die wirtschaftliche Situation sich dadurch noch weiter zuspitzen, dürften sich auch die innerpolitischen Probleme im Iran verstärken.