Aufruf in Davos Stiftungen, lasst Sozialunternehmen die Welt besser machen!

Davos: Nicht nur die jungen Klimaaktivistinnen machen sich Gedanken darüber, wie die Welt besser werden könnte - zum Beispiel durch Innovationen aus Sozialunternehmungen. Quelle: dpa

Auf dem Weltwirtschaftsforum fordern führende Organisationen aus dem Bereich Sozialunternehmertum die gängige Förderpraxis von Stiftungen heraus. Ihre Forderung: Gebt euer Geld anders aus!

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In Davos geht es gerade wieder um die großen Themen: extreme Armut, Klimawandel und soziale Ungleichheiten. Sozialunternehmerinnen können dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Die aktuelle Förderpraxis führt jedoch häufig dazu, dass soziale Innovationen nur im Kleinen umgesetzt werden und nicht der gesamten Gesellschaft zugute kommen.

Hier sind zwei Beispiele. Das Unternehmen Irrsinnig Menschlich regt Schüler in Deutschland dazu an, bei psychischen Problemen frühzeitig Hilfe zu suchen. Die Veranstaltungen erreichen jedes Jahr rund 36.000 Schüler. Truckers Against Trafficking bildet Lkw-Fahrer in den USA darin aus, Menschenhandel auf Autobahnen zu erkennen und der Polizei zu melden. Dadurch konnten bereits hunderte Opfer gerettet und Schlepper verhaftet werden.

Der größte Wert von Sozialunternehmern liegt jedoch nicht darin, dass sie selbst mit Schülern arbeiten oder Trucker ausbilden. Er entsteht dadurch, dass sie sich in die Gesetzgebung einmischen, Industrie-Standards verändern, neue Praktiken in Schulen oder Krankenhäusern etablieren und ihre Innovationen frei zur Verfügung stellen, damit viele andere Organisationen sie übernehmen können. Auf diese Weise verändern Sozialunternehmerinnen das Bildungssystem, die Strafverfolgung, das Gesundheitswesen, die Städteplanung und viele andere soziale Systeme auf nationaler oder sogar internationaler Ebene.

Truckers Against Trafficking hat in verschiedenen amerikanischen Bundesstaaten mit dafür gesorgt, dass in den Schulungen für Lkw-Fahrer das Thema Menschenhandel mit aufgenommen wird. Die Innovation ist damit in staatlichen Strukturen verankert und erreicht Millionen Menschen. Mittlerweile macht ein ganzer Industriezweig Schleppern das Leben schwer. Für die Lobby-Arbeit hat die Organisation jedoch nicht ausreichend Unterstützung bekommen. Die vielen Reisen und Gespräche mussten aus Einnahmen und Förderungen in anderen Bereichen subventioniert werden.

Irrsinnig Menschlich würde ihre Präventionsarbeit ebenfalls gerne institutionalisieren. Dafür müsste die Organisation mit Krankenkassen und Ministerien arbeiten, Überzeugungsarbeit leisten, die verschiedenen Akteure an einen Tisch bringen. Für diese Netzwerk-Arbeit gibt es jedoch keine Förderung. Dabei wäre der Nutzen gewaltig: Einer Studie von Ashoka und McKinsey zufolge spart jeder Prozentpunkt an erkrankten Schülern, die sich in einem Jahrgang aufgrund der Teilnahme an dem Präventionsprogramm „Verrückt? Na und! Seelisch fit in der Schule“ zusätzlich in frühzeitige Behandlung begeben, dem Staat 80 Millionen Euro pro Jahr. Und da ist das gelinderte Leid der Betroffenen noch nicht einmal mit eingerechnet.

Das meiste Geld von Stiftungen und Spendern wird für kurzfristige Projekte mit klaren, messbaren Ergebnissen ausgegeben. Was zählt sind die Anzahl der Menschen, denen man nach ein bis drei Jahren direkt geholfen hat. Gesetzesänderungen, neue Inhalte in der Lehrerausbildung oder eine neue Rolle für LKW-Fahrer in der Strafverfolgung erreicht man damit nicht.

Zur Person

Planbares Geld für längere Zeiträume

In Davos hat jetzt ein breites Bündnis international führender Organisationen aus dem Bereich Sozialunternehmertum Geldgeber dazu aufgefordert, diese Förderpraxis zu ändern – darunter Ashoka, Co-Impact, Echoing Green, Schwab und Skoll. Zur Einordnung: Von den 5000 wichtigsten Sozialunternehmern auf der Welt sind fast alle Mitglied in mindestens einem dieser Netzwerke. Zusammen mit den Beratungsfirmen McKinsey und SystemIQ hat das Bündnis die gemeinsame Position mit Dutzenden anderen Akteuren abgestimmt und in einer Umfrage mit mehr als 100 Sozialunternehmern bestätigt. Die einstimmige Meinung aller Beteiligten: Es gibt viel zu tun.

Sozialunternehmer brauchen nicht nur mehr Geld, um ihre Ideen zu institutionalisieren. Das Geld sollte auch über längere Zeiträume zur Verfügung gestellt werden. Drei Jahre reichen einfach nicht, um im Bildungs- oder Gesundheitssystem dauerhafte Änderungen zu erreichen. Auch die oft übliche Zweckbindung sollte aufgehoben werden. Es ist schlicht nicht möglich, schon im Vorfeld genau zu wissen, welche Aktivitäten zu systemischen Veränderungen führen werden. Eine zu starre Finanzierung macht es Sozialunternehmern unnötig schwer, sich den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Überhaupt sollten Gelder verstärkt in Personen und Netzwerke mit gesellschaftlichen Visionen statt in konkrete Projekte investiert werden.

Wichtig ist auch die Kooperation zwischen Förderern und Geförderten. Fast die Hälfte der Sozialunternehmer gab an, dass sie ihre Herangehensweise schon einmal nur deshalb angepasst haben, um den Ansprüchen von Geldgebern zu genügen. Statt Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen sollten wir Kooperationen auf Augenhöhe anstreben. Dazu gehört, dass über Strategien, Erfolgskriterien und die Details der Förderung gemeinsam beraten wird.

Vor allem aber brauchen wir mehr Förderer, die systemische Ursachen von sozialen Problemen beseitigen und sich nicht damit begnügen, dauerhaft die Symptome zu behandeln. Stiftungen sind für diese Rolle prädestiniert. Vor allem mit einem Vermögen im Hintergrund können sie Risiken eingehen und langfristig fördern. Dadurch könnten sie noch viel stärker als bisher Treiber von gesellschaftlichem Fortschritt sein.

Der Weckruf in Davos ist zugleich eine Einladung an alle Geldgeber und Investoren. Lassen Sie uns gemeinsam besser darin werden, die Innovationen von Sozialunternehmern in die Breite zu tragen. Vielleicht ändern sich dann auch die Gespräche in Davos.

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