
Ob sich Chinas Premierminister Li Keqiang seinen Deutschland-Besuch in dieser Woche so vorgestellt hat? Ein paar Gespräche über Investitionen und die Vertiefung der ohnehin sehr guten bilateralen Beziehungen, ein Abstecher ins weltoffene Hamburg, wo Gäste aus China traditionell gern gesehen sind – das hätte doch alles recht nett werden können.
Deutschland und China – das ist eine wirtschaftliche Erfolgsstory. Deutsche Autobauer eilen in China mit ihren chinesischen Joint-Venture-Partnern von Absatz- zu Absatzrekord. Deutsche Maschinen- und Anlagenbauer modernisieren mit ihrer Hochtechnologie das Land. Solvente chinesische Unternehmen retten unterdessen marode deutsche Traditionsfirmen.
Wenn sich das Riesenreich dabei auch politisch von seiner schönen Seite zeigen würde, könnte in der langen Geschichte einer großen Freundschaft zwischen zwei Völkern ein neues Kapital aufgeschlagen werden.
Ein Mann räumt auf
Seit dem 1976 verstorbenen Staatsgründer Mao Tse-tung war kein chinesischer Politiker so mächtig wie der 61-jährige Xi Jinping.
In einer großen Kampagne gegen Korruption hat er dafür gesorgt, dass mehr als 200.000 Beamte angeklagt wurden. Der Präsident nutzte die Kampagne aber auch zur Säuberung von Partei- und Regierungsspitze von wichtigen Gegenspielern.
Blöd nur, dass kurz vor dem Besuch von Chinas Nummer zwei und seinem Kabinett diese Bilder aus Hongkong um die Welt gingen: Mit Schlagstöcken und Tränengas gehen Polizisten gegen friedliche Demonstranten vor, die nichts anderes wollen als freie und demokratische Wahlen.
Da ist es wieder, das hässliche Gesicht der chinesischen Ein-Parteien-Herrschaft. Es ruft Erinnerungen wach – an die Verfolgung von Künstlern, ethnischen Minderheiten, kritischen Journalisten und Bloggern und auch an das Tiananmen-Massaker vom Juni 1989, eine der dunkelsten Stunden der chinesischen Geschichte.
Xi hat die Schrauben angezogen
Ein freieres Land ist China seit dem Amtsantritt von Xi Jinping als Staatschef im Frühjahr 2013 nicht geworden. Im Gegenteil: In den meisten gesellschaftlichen und politischen Bereichen hat er die Schrauben angezogen. „Xi Jinping und die Reformer wollen auf der einen Seite eine freiere Gesellschaft mit weniger Korruption, auf der anderen Seite wollen sie die Alleinherrschaft der Partei um jeden Preis erhalten“, sagt Gary Liu, stellvertretender Direktor der Wirtschaftsschule Ceibs in Shanghai. „Das ist ein Paradox.“
Dabei hat noch nie ein Führer seit Deng Xiaoping so viele Reformen angekündigt wie Xi. Noch nie seit Maos Zeiten hat ein chinesischer Präsident so viel Macht in seinem Amt vereint. Seine Antikorruptionskampagne hat ihn im Volk beliebt gemacht – und gleichzeitig hat er gnadenlos die Gelegenheit genutzt, politische Gegner beiseite zu räumen.
Zitate von Xi Jinping
"Wagt zu träumen und arbeitet hart, damit der Traum wahr wird!"
"Wir verbreiten den Sozialismus mit chinesischen Merkmalen!"
"Chinas Traum ist der Traum von einer schönen Umwelt!"
"Von Chinas Traum sollen alle Nationen profitieren!"
"Wir sollten eine offene Weltwirtschaft errichten!"
Nun wäre der Weg frei, Reformen anzupacken und das Versprechen an die gut 1,3 Milliarden Landsleute wahr zu machen, das Xi unter dem Begriff „chinesischer Traum“ zusammengefasst hat. Die Prophezeiung heißt: Jeder kann es schaffen, wenn er nur hart arbeitet – fast wie in Amerika. „Dabei handelt es sich um ein großes Strategie-Projekt der neuen Führung“, sagt Jia Min, Professor an der China Executive Leadership Academy Pudong in Shanghai. „Der chinesische Traum verbindet nationale und individuelle Ambitionen für die nächsten zehn Jahre.“
„Aber es geht um mehr“, sagt Jia. „Der chinesische Traum bezieht sich auch auf den Stolz der Nation und das Image Chinas in der Welt.“ 2021 wird die Kommunistische Partei ihren 100. Geburtstag feiern. Bis dahin soll das Land eine „voll entwickelte Nation“ mit einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Wirtschaft geworden sein – und international zumindest respektiert, wenn schon nicht beliebt.