Aufruhr im Riesenreich China verspricht Wohlstand - aber keine Freiheit

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Das optimistischste Volk der Welt

Bis 2030 sollen aus noch einmal 300 Millionen Bauern Stadtbewohner werden. Auch wenn Millionen ein aus westlicher Perspektive miserables Leben führen – die unmittelbare Erfahrung, es aus bitterer Armut und Hunger zu bescheidenem Wohlstand zu bringen, macht die Chinesen zum optimistischsten Volk der Welt. 83 Prozent der Chinesen blicken positiv in die Zukunft – das ist das Ergebnis einer vom amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Pew veröffentlichten Umfrage. 70 Prozent der Chinesen finden, ihre finanzielle Situation sei besser als vor fünf Jahren. In Deutschland sagen das nur 23 Prozent.

Wer in China aber weiter aufsteigen will als Yanhongs Familie, hat es schwer. Das dämmert inzwischen auch jungen Universitätsabsolventen. Boris Shao ist gerade 25 Jahre alt geworden. Er ist 1989, eine Woche vor dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, auf die Welt gekommen.

Von den Ereignissen damals hat er nie etwas gehört. Auch 25 Jahre danach wird das Thema von den staatlich kontrollierten Medien totgeschwiegen. Wie mittlerweile sehr viele junge Chinesen hat Shao sich selbst einen westlichen Vornamen ausgesucht.

Der Ingenieur Qu hat es mit harter Arbeit an die Spitze einer traditionsreichen Kamerafabrik gebracht. Für China ist er optimistisch, aber beim beruflichen Nachwuchs vermisst er oft die richtige Einstellung. Quelle: Eric Leleu für WirtschaftsWoche

Shao arbeitet bei einem amerikanischen Automobilzulieferer im Vertrieb. Aufgewachsen ist der Bauernsohn in einem kleinen Dorf in der Provinz Zhejiang. Auf der Suche nach Arbeit und Geld ist er in die Stadt gezogen, „wie alle aus meiner Schulklasse“, sagt er. Um die 640 Euro verdient er jetzt im Monat – rund doppelt so viel wie ein Fabrikarbeiter.

Männer ohne Wohnung haben wenig Chancen

Shao will noch viel erreichen: Er will sich ein Auto kaufen. „Ich weiß schon, es gibt zu viele Autos in der Stadt, aber ich würde gerne Kurzausflüge aufs Land unternehmen.“ Mit seinem Gehalt muss es irgendwie auch noch zu einer Eigentumswohnung reichen. Denn am Ende von Shaos persönlichem Fünfjahresplan steht das Heiraten. Männer ohne eigene Wohnung haben auf dem chinesischen Heiratsmarkt wenig Chancen.

Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen

Wie viele gleichaltrige Chinesen wirkt Shao kindlicher als Europäer seines Alters. Für Hobbys oder persönliche Interessen außerhalb von Schule und Arbeit hatten Shao und seine Altersgenossen nie Zeit. Auf die harten Schuljahre mit den 16-Stunden-Tagen folgten Universität und der erste Job: Mit 27 spätestens, so die allgemeine Erwartung, sollten Männer eine Wohnung besitzen und Frauen verheiratet sein.

Junge Leute im Hamsterrad

Wer das nicht schafft, gilt als „Diao Si“, als Verlierer, oder als „Sheng Nu“, als „Reste-Frau“. Die Immobilienpreise aber steigen und steigen. Wer in den Neunzigern eine Wohnung kaufte, ist heute reich. Alle anderen haben das Nachsehen.

Junge Leute ohne Beziehungen und ohne reiche Eltern laufen sich krank im Hamsterrad. Rund 60 Prozent aller Erwerbstätigen in Peking machen täglich mehr als zwei Überstunden, obwohl das verboten ist. Sie brauchen das Geld: nicht zum Ausgeben, sondern zum Sparen – für eine Eigentumswohnung und als Ersatz für die unzureichende Alters- und Krankenversicherung.

Die Regierung klammert sich an ihr Wachstumsziel: 7,5 Prozent sollen es dieses Jahr werden. Solange nur die Arbeitslosigkeit gering bleibt, kann auch die Illusion aufrechterhalten werden, es mit harter Arbeit schaffen zu können.

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