Aufruhr im Riesenreich China verspricht Wohlstand - aber keine Freiheit

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Deutschland ist so sauber

Sie steht vor einem Dutzend Studenten und spricht mit ruhiger Stimme. Zhou Ling lehrt Pädagogik an der East China University of Science and Technology. Die 53-jährige Professorin besitzt zwei Eigentumswohnungen und muss sich um Geld keine Sorgen mehr machen. Zhou steht ziemlich weit oben in der rund 300 Millionen Menschen zählenden neuen chinesischen Mittelschicht. Für sie ist der Traum von mehr Wohlstand kein Versprechen mehr, sondern Realität geworden.

Zhou hat zwei Söhne, 25 und 18 Jahre alt, und die studieren in den USA. Wer es sich in China leisten kann, schickt seine Kinder ins Ausland, wo die Ausbildung besser, die Umweltverschmutzung geringer, das Essen weniger bedenklich ist. Nahezu täglich wird China von einem Lebensmittelskandal erschüttert: verseuchtes Milchpulver in Supermärkten, als Lamm deklariertes Rattenfleisch an Straßenständen, abgelaufenes Hühnerfleisch bei Kentucky Fried Chicken.

An schlechten Tagen kratzt die Luft beim Atmen und brennt in den Augen: Luftverschmutzung, wenn die Kohlekraftwerke auf Hochtouren laufen. In Peking wurde der von der Weltgesundheitsorganisation festgesetzte Grenzwert für CO₂ schon um das 30-Fache überschritten.

Mit 70 Jahren muss der Armeeveteran Chen als Parkwächter jobben. Sein Selbstwertgefühl bezieht er aus dem Aufstieg seiner Nation in der globalen Arena - darüber informiert ihn die Parteizeitung der KP. Quelle: Eric Leleu für WirtschaftsWoche

Zum chinesischen Traum passt das gar nicht, und die Regierung hat die Probleme durchaus erkannt. In die Sauberhaltung der Luft will China in den nächsten fünf Jahren 280 Milliarden Dollar investieren. Bis 2020 sollen landesweit 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Kein anderes Land investiert so viel in Wind- und Sonnenenergie wie China.

Reiche Chinesen wollen auswandern

Trotzdem wird es vorerst schlimmer und nicht besser werden: Auch wenn der relative Anteil von Kohle an der Energiegewinnung abnimmt, steigt die absolute Menge. Nach einer Prognose der Internationalen Energieagentur in Paris wird der chinesische Kohleverbrauch seinen Scheitelpunkt erst 2030 erreichen.

Das ist aber nicht die Sorge der Bevölkerungsmehrheit in China. Wer arm ist, erwartet von der politischen Führung vor allem Korruptionsbekämpfung, niedrigere Immobilienpreise und mehr Wohlstand. Das hat Vorrang für die Politiker in Peking. Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit sind Anliegen der Mittel- und Oberschicht, die nur etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen.

Die aber drohen, mit den Füßen abzustimmen. 64 Prozent der reichen Chinesen mit einem Vermögen von mehr als zehn Millionen Yuan (etwa 1,3 Millionen Euro) planen ernsthaft auszuwandern – oder denken wenigstens darüber nach.

Auch Professorin Zhou ist der Gedanke nicht fremd, besonders Deutschland hat es ihr angetan. „Mich hat das Gemeinschaftsgefühl dort sehr beeindruckt“, sagt die Mittfünfzigerin. „Und die saubere Umwelt.“ Eigentlich seien es nur ihre pflegebedürftigen Eltern, die sie von der Emigration abhalten.

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