Das Unternehmen Shanghai Seagull Camera liegt in einem gigantischen Gewerbegebiet in einem Außenbezirk von Shanghai. Der immergraue Himmel der Metropole hängt tief, die Luft ist schwer und schwül.
Qu Tao ist seit 2012 Leiter der Kamerafabrik. Er hat sich aus einfachsten Verhältnissen nach oben gearbeitet. In seiner Kindheit konnte sich keiner in seinem Dorf Fleisch leisten, Gemüse und manchmal sogar Reis waren knapp.
Der heute 45-jährige Ingenieur hat 1996 sein Studium abgeschlossen. „Damals durften nur knapp drei Prozent aller Schüler auf die Universität“, berichtet er, „viel weniger als heute. Also musste ich hart lernen.“ Sechs Jahre lang stand er jeden Tag um fünf Uhr auf und lernte bis zehn Uhr abends. Und darum war er der erste Universitätsstudent aus seinem Dorf in der Provinz Shandong und auch der erste, der Mitglied der Kommunistischen Partei (KP) werden durfte. Auch darauf ist er stolz.
Aber Qu hatte auch das Glück, zur richtigen Zeit geboren zu sein. In den Neunzigerjahren privatisierte der Präsident Jiang Zemin die maroden Staatsunternehmen. China liberalisierte damals die Wirtschaft, baute viele Bestimmungen ab und öffnete viele Branchen für ausländische Investoren. Um zehn Prozent und mehr wuchs die Wirtschaft damals pro Jahr.
Doch das ist lange her, seitdem tut sich wenig Neues. Nicht nur Ausländer beklagen den Reformstau. „Wir brauchen mehr Rechtsstaatlichkeit, Fairness und Meinungsfreiheit“, sagt Fabrikdirektor Qu. „Der Staat mischt sich noch zu viel in die Belange kleiner Unternehmen ein.“
Ansätze für Reformen
Noch immer sind private Unternehmen von Schlüsselsektoren wie Telekommunikation, Banken, Energie und Transport ausgeschlossen. Dabei gibt es Ansätze zu Reformen. Bestes Beispiel ist die Freihandelszone in Shanghai. Das mit viel Tamtam vor einem Jahr eröffnete 28 Quadratkilometer große Gebiet am Flughafen Pudong sollte zum Beispiel Banken und Versicherungen für ausländisches Kapital öffnen und den freien Devisenverkehr proben. Übrig geblieben ist eine umfangreiche Negativliste mit all dem, was Unternehmen auch hier nicht dürfen.
So ähnlich läuft es im ganzen Land. Auf ökonomische Probleme reagiert die politische Führung nicht mit Reformen, sondern mit Geldspritzen. Im Frühsommer pumpte die Regierung mal eben 128 Milliarden Dollar in den Ausbau des Eisenbahnnetzes, 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Noch immer machen Investitionen die Hälfte vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus, noch immer wird der Bankensektor mit Krediten geflutet, um die Staatsunternehmen mit billigem Geld zu versorgen.
Es fehlt an qualifizierten Arbeitern
Die Gesamtverschuldung einschließlich des Schattenbankensektors liegt bei mehr als 200 Prozent vom BIP, und diese Zahl wächst, während das Wirtschaftswachstum langsamer wird. Die Unternehmen erzielen mit immer mehr Geld immer weniger Wachstum.
Gleichzeitig steigen die Gehälter. Jedes Jahr steigt der Mindestlohn um 13 Prozent, und die Produktivität hält nicht Schritt. Darum wandern schon jetzt viele Unternehmen nach Südostasien ab, wo Arbeitskräfte weniger kosten. Das wäre für China kein Problem, würden die Unternehmen des Landes gleichzeitig auf der Wertschöpfungskette nach oben klettern.
Doch dafür fehlt es an qualifizierten Mitarbeitern. Zwar spucken die chinesischen Universitäten heute sieben Millionen Absolventen im Jahr aus – fast viermal mehr als 2004. Doch Unternehmer beklagen deren schlechte Ausbildung. „Vielen jungen Leuten fehlt die mentale Reife, auch harte Zeiten überstehen zu können“, klagt der Kamerafabrikant Qu Tao über die neue Einzelkindergeneration. Trotzdem ist er zuversichtlich. „Im 19. Jahrhundert trug China ein Drittel zur Wirtschaftsleistung der Welt bei“, sagt er. „Das wird wiederkommen.“