Aus der weiten Welt

Vietnam - Ein Tiger gerät ins Taumeln

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Die Jahre des Booms sind vorbei

In Ho Chi Minh Stadt, ehemals Saigon, pulsiert das Leben auf den Straßen. Doch gerade Motorräder sind zurzeit wenig gefragt. Die Verkäufer von Motorrädern sitzen auf großen Lagerbeständen. Quelle: AP

Von der Aufbruchsstimmung, die mich bei meinem Vietnam-Besuch vor fünf Jahren so begeistert hatte, ist heute nur wenig zu spüren. 2007 war ich zur Jahreswende in Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon heute heißt. Am Neujahrsmorgen war ich im alten Stadtzentrum unversehens in eine Demonstration geraten. Begehrten da etwa Dissidenten gegen die Einparteienherrschaft der KP auf, wie ich anfangs vermutete? Weit gefehlt: Von den Demonstranten erfuhr ich, dass örtliche Unternehmerverbände und Geschäftsleute zu einer Demonstration aufgerufen hatten, weil Vietnam an dem Tag in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen wurde. Sie demonstrierten nicht aus Protest, sondern aus Freude darüber, dass Vietnam nun Teil der globalen Gesellschaft war, ein Ausdruck ihrer optimistischen Sicht auf die Zukunft.

In jenen Jahren glänzte Vietnam mit Wachstumszahlen von fast chinesischen Ausmaßen. Von 2004 bis 2007 wuchs die Wirtschaft im Schnitt um gut acht Prozent jährlich. Ausländische Unternehmen kamen in Massen und errichteten Fabriken. Glänzende Aussichten lockten. Die Vietnamesen gelten als fleißig und geschickt, und die Löhne sind noch niedrig, auch heute noch betragen sie lediglich etwa ein Drittel dessen, was ihre chinesischen Kollegen verdienen.

Gegenüber der Hochzeit des Vietnambooms hat sich die Dynamik jedoch heute erheblich abgeschwächt. 2011 fiel das Wachstum auf sechs Prozent, im vergangenen Jahr betrug es nach offiziellen Angaben nur noch fünf Prozent – ein Prozentpunkt weniger als von der Regierung geplant, das niedrigste seit 13 Jahren.

Diese Volkswirtschaften geben 2050 den Ton an
Skyline Berlin schön Quelle: dpa
Eine Frau verkauft Hülsenfrüchte Quelle: REUTERS
Platz 9: Russland und der IranDank erneut hoher Ölpreise und einer stark steigenden Konsumnachfrage ist das russische BIP im Jahr 2011 laut amtlicher Statistik um 4,3 Prozent gewachsen. Für die kommenden drei Jahre sagen die HSBC-Experten Wachstumsraten in ähnlicher Größenordnung voraus. Sie gehen davon aus, dass Russland bis 2050 durchschnittlich um 3,875 Prozent wächst. Damit würde das Riesenreich in der Liste der größten Volkswirtschaften der Welt von Rang 17 (2010) auf Rang 15 steigen. Ebenfalls eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,875 Prozent bis 2050 prophezeit die britische Großbank dem Iran. Im Jahr 2011/2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt Schätzungen zufolge circa 480 Milliarden US-Dollar. Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Irans zählen die Öl- und Gasindustrie, petrochemische Industrie, Landwirtschaft, Metallindustrie und Kfz-Industrie. Die Inflationsrate wird von offizieller Seite mit 22,5 Prozent angegeben, tatsächlich liegt sie bei über 30 Prozent. Die Arbeitslosenrate beträgt offiziellen Angaben zufolge 11,8 Prozent. Quelle: dpa-tmn
Ginza-Viertel in Tokio Quelle: dpa
Mexikanische Flagge Quelle: dapd
Copacabana Quelle: AP
Baustelle in Jakarta Quelle: AP

Rückläufige ausländische Direktinvestitionen

Fünf Prozent erscheinen zwar im Vergleich zu unserem mageren Wachstum immer noch viel. Doch schöpft das Land damit nicht sein wirkliches Wachstumspotenzial aus – angesichts der niedrigen Basis bei einem Bruttoinlandsprodukt von 1500 Dollar pro Einwohner jährlich und ausländischen Direktinvestitionen von insgesamt 214 Milliarden Dollar sollte mehr drin sein.

Aber auch die ausländischen Firmen sind verunsichert, ihre Investitionen gehen zurück, im vergangenen Jahr um etwa ein Viertel. Ein Alarmzeichen: Denn die Firmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung waren es, die den Exportboom der vergangenen Jahre ermöglicht hatten. Auf sie entfällt etwa zwei Drittel aller Exportleistungen. Mit ihrer Hilfe explodierten die Exporte geradezu: 2010 um 27 Prozent, 2011 um 34 und im vergangenen Jahr noch um immerhin noch 18 Prozent.

Fünf Prozent Wirtschaftswachstum ist aber auch angesichts eines jährlichen Bevölkerungswachstums von 1,1 Prozent zu wenig, um allen Arbeitssuchenden des 90 Millionen Volkes einen Job zu verschaffen. Über 400 000 Vietnamesen arbeiten deshalb im Ausland, wo sie bessere Bedingungen vorfinden. Das bereitet der regierenden KP Sorge. Sie kann ihre Legitimation längst nicht mehr vom Kampf gegen französische Kolonialherren und US-Besatzung ableiten, vielmehr ist sie wie in China an den wirtschaftlichen Erfolg geknüpft.

Bleibt der aus, kann es mit ihrer Herrschaft schnell zu Ende gehen. Nicht zuletzt deshalb spielt die Regierung in jüngster Zeit verstärkt die nationale Karte. Kein Tag, an dem das Staatsfernsehen nicht über Vietnams „wachsame Streitkräfte“ im Zusammenhang mit den zwischen China und Vietnam umstrittenen Inseln vor der vietnamesischen Küste berichtet.

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