Baerbock in Saudi-Arabien und Katar Warum Annalena Baerbock den Scheichs mit Feminismus kommt

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei einem Pressestatement in Djidda Quelle: imago images

Die Golfregion wird für Deutschland immer wichtiger. Außenministerin Annalena Baerbock will deshalb die Beziehungen mit Saudi-Arabien und Katar verbessern – auch mithilfe feministischer Außenpolitik. Kann das gelingen?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wer nach Katar reist, wird selten Einheimischen begegnen. Nur zehn Prozent der rund 2,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sind geborene Kataris, Ausländer bilden den Großteil der Bevölkerung: Fachkräfte aus Europa, Nordamerika, Ägypten und anderen arabischen Staaten, Arbeitsmigranten aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal und den Philippinen.

Auch die Frau, die Außenministerin Annalena Baerbock trifft, ist für den Job an den Golf gezogen, sie arbeitet im Gesundheitssektor. Ihre Tochter durfte sie nicht mitbringen, in den vergangenen neun Jahren haben sich beide kaum gesehen. Würde sie den Arbeitsort wechseln, wenn das möglich wäre? 

Die Antwort ist eindeutig – und das könnte für Katar künftig zum Problem werden. Denn in dem Emirat, das etwa halb so groß ist wie Hessen, früher vom Perlentauchen lebte und dank seiner Erdgasreserven heute das reichste Land der Welt ist (gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Person), dreht sich ohne Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter nichts.

Gasförderung und Gastronomie, Bauwirtschaft und Busverkehr, Medizin und Mechanik, in allen Bereichen werden Leute aus dem Ausland gebraucht. Doch wer seine Arbeitskräfte wie Sklaven behandelt, wird sie kaum halten können, sobald es bessere Alternativen gibt. Nicht nur bei den Nachbarn in der Golfregion. Ob der Emir schon mal was vom deutschen Fachkräfteeinwanderungsgesetz gehört hat? 

Prestigeprojekt im Gepäck

Annalena Baerbock dürfte Tamim bin Hamad Al Thani an diesem Mittwoch erzählen, was sie damit meint. Die grüne Außenministerin ist seit Montag für drei Tage in Saudi-Arabien und Katar unterwegs, es geht um die Konflikte im Jemen und Sudan, um Menschenrechtsfragen und um weitere Wirtschaftsprojekte, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien. 

Neue Deals schließt die Außenministerin bei ihrer Reise nicht ab, auch eine Wirtschaftsdelegation hat sie nicht dabei, dafür packt Baerbock aber eines ihrer Prestigeprojekte aus: die feministische Außenpolitik. Was CDU-Chef Friedrich Merz quasi als Gedöns belächelt wird, stößt am Golf bemerkenswerterweise auf Interesse.

Freilich haben die Scheichs in den streng islamischen Ländern nicht etwa den Feminismus entdeckt, aber die Länder können es sich allein aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht mehr leisten, auf die Arbeitskraft der Frauen zu verzichten – denn wie in Deutschland herrscht auch bei ihnen: Fach- und Arbeitskräftemangel. Keine gute Voraussetzung, um all die Gigaprojekte am Golf zu stemmen.

Weg von der Petroleum-Pumpe

So will der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MBS genannt, angesichts von schwankenden Ölpreisen und dem absehbaren Ende des fossilen Zeitalters die Wirtschaft diversifizieren, die bisher an der Petroleum-Pumpe hängt: 73,5 Prozent aller Exporteinnahmen werden bisher aus der Ölwirtschaft generiert, künftig soll der Wertschöpfungsanteil des Privatsektors von 40 Prozent auf 65 Prozent steigen. „Vision 2030“ heißt sein Transformationsprogramm. 

Doch es sind in Saudi-Arabien bisher vor allem die Ausländer, insbesondere aus Südasien und Ägypten, die arbeiten. Sie stellen 74,7 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Wenn MBS also mit seinen Gigaprojekten, zu denen auch eine komplett neue Zukunftsstadt namens Neon gehört, reüssieren will, muss er nicht nur die Saudis in Jobs bringen, sondern weiterhin Arbeitskräfte aus dem Ausland anziehen. Jahrzehntelange Gefängnisstrafen für unerwünschte Tweets dürften dafür allerdings keine ideale Werbekampagne sein. 



Im vergangenen Jahr hatte das Regime eine saudische Zahnmedizinstudentin, die eigentlich in Großbritannien lebt, für ihre feministischen Äußerungen während eines Heimatbesuchs festnehmen und zunächst für sechs Jahre und dann für 34 Jahre zur Gefängnishaft verurteilen lassen. Sie hatte auf dem Kurznachrichtendienst gegen das System männlicher Vormundschaft in Saudi-Arabien protestiert und eine Frauenrechtlerin unterstützt. „Ich lehne Ungerechtigkeit ab und unterstütze die Unterdrückten“, lautete einer der Tweets der jungen Frau, die zwei kleine Kinder hat, die nun ohne ihre Mutter aufwachsen müssen. 

Feminismus als wirtschaftspolitische Flankierung?

Nicht nur Medizinerinnen wird das Vorgehen des autokratischen und unberechenbaren Regimes abschrecken, das dürfte Baerbock wohl auch im Gespräch mit ihrem saudischen Amtskollegen deutlich gemacht haben. Feministische Außenpolitik als wirtschaftspolitische Flankierung für Fachkräfteeinwanderung? So einfach funktioniert es freilich nicht. 

Auch Katar wird massiv für seine Arbeitsbedingungen kritisiert. Wie viele Menschen beim Bau der Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft ums Leben kamen, ist bis heute nicht bekannt. Dass die Welt rund um das Großereignis auf den Zwergenstaat schaute, hat aber offensichtlich zu Fortschritten geführt, wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) lobt, auch, wenn Repressionen weiterhin an der Tagesordnung sind. Wird der Wettbewerb um die Fachkräfte aber automatisch zu einem Wettbewerb um bessere Arbeitskonditionen führen, und damit auch der Frauen in Gesellschaft und Wirtschaft in den autokratischen Staaten?

Brain Drain am Golf

Wie der Fortschritt aussieht, wird am Ende vom Regime und nicht etwa von Leitlinien für feministischen Außenpolitik bestimmt. So dürfen Frauen in Saudi-Arabien zwar seit 2018 alleine Auto fahren, aber sie werden eingekerkert, wenn sie selbst mehr Feminismus fordern auf eine Art, die dem Herrscher nicht passt.

Krypto Northern Data verspricht oft viel – und löst sehr wenig ein

Der Rechenzentrumsbetreiber Northern Data informiert Anleger und Investoren offensiv, wenn etwas gut läuft – oder laufen soll. Alles andere wird offensiv verschwiegen.

Motivation Hat in Deutschland niemand mehr Lust auf Arbeit?

Eine Vier-Tage-Woche macht glücklich? Unsinn. Erfüllung im Job entsteht anders. So finden Sie Motivation – für sich und Ihre Mitarbeiter.

Rendite für Vermieter In diesen Regionen lohnen sich Immobilien-Investments besonders

Auch nach dem Ende des Immobilienbooms sind Wohnungen in den Boom-Städten teuer. Hohe Kaufpreise drücken die Mietrendite. Wer abseits von Berlin und Co. investiert, kommt auf höhere Erträge – vor allem in einer Region.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Auch in Katar fällt der Modernisierungswille des Emirs offensichtlich sogar noch geringer aus als der seines Vaters. Doch viele der katarischen Frauen, die im Ausland studiert haben, wollen sich nicht wieder in traditionelle Familienstrukturen einfügen, heißt es von Beobachtern aus dem Land. Sie setzen deshalb auf eine persönliche Fachkräfteauswanderungsstrategie – und suchen sich Jobs im Ausland.

Lesen Sie auch: „China hat am Golf die besseren Karten – und kommt nicht mit Moral im Gepäck“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%