Balkan Die umworbenste Region Europas

Die EU hat auf dem Balkan den Weg für andere Mächte freigemacht: China, Russland und die Türkei investieren in die Region. Ihr Einfluss wird weiter wachsen, wenn die Europäer nicht gegensteuern. Ein Kommentar.

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Sofia Im Foyer des bulgarischen Nationaltheaters trifft man auf das Reiche der Mitte: „Dies ist ein Theater der Seidenstraße“, ist auf einer Messingtafel eingraviert – sowohl in englischer Sprache, als auch in chinesischen Schriftzeichen. China fördert die Kultur auf dem Balkan. Vor allem aber investiert Peking schon seit einem Jahrzehnt massiv in die Infrastruktur. Spürbar wird das vor allem in Serbien. In Belgrad finanzierten chinesische Banken eine neue Donau-Brücke. Zwischen Belgrad und Budapest bauen Chinesen eine Eisenbahnverbindung zur Schnellstrecke aus.

Der Balkan ist das Armenhaus Europas. Chinesische Investitionen sind daher unbedingt willkommen. Die Kehrseite ist, dass mit dem wirtschaftlichen Engagement der politische Einfluss Chinas wächst. Und die Chinesen sind nicht allein: Auch Russland und die Türkei werden in der Region immer aktiver. Ausgerechnet der Balkan ist zur umworbensten Region Europas avanciert. Fremde Mächte sind dabei, den Europäern ihren eigenen Südosten abzuwerben.

Die EU ist daran nicht unschuldig. Sie hat den Balkan viele Jahre lang vernachlässigt. Das gilt sowohl für die EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien, wie auch für die Staaten im EU-Wartezimmer: Albanien, Serbien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien.

Alle diese Länder genießen in Westeuropa keinen guten Ruf: Der Balkan gilt als Unruheregion, in der Konflikte immer wieder aufflammen. Bulgaren und Rumänen wirft man vor, in Deutschland und anderswo die Sozialsysteme zu belasten. Die in den beiden Ländern grassierende Korruption schadet der Reputation zusätzlich.

Die EU muss sich fragen, ob sie die Region weiterhin links liegen lassen kann. Denn die von den Europäern gelassene Lücke füllen andere. Beispielhaft lässt sich das in dem Land beobachten, das gerade die halbjährlich rotierende EU-Präsidentschaft übernommen hat: Bulgarien empfängt Chinas Premierminister dieses Jahr zu einem Gipfeltreffen mit den Chefs von insgesamt 16 Staaten aus der Region. Russland steht im engen Kontakt zu mehreren politischen Parteien Bulgariens, eine davon ist sogar an der Regierung beteiligt.

„Russlands Einfluss in Bulgarien ist nicht zu vernachlässigen“, räumt Premier Bojko Borissow offen ein. Der bulgarische Regierungschef legt auch großen Wert auf gute Beziehungen zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Türkei sei militärisch und wirtschaftlich ein sehr wichtiger Partner für den Balkan. Erdogan nutzt seine Chance: Er tourte erst vor kurzer Zeit mit einer großen Delegation von türkischen Geschäftsleuten durch die Region.

China, Russland und die Türkei verfolgen im Südosten der EU sowohl geschäftliche als auch strategische Interessen. Dagegen begegnet die EU dem Balkan mit Desinteresse und Herablassung. Bulgarien und Rumänien sind seit einem Jahrzehnt EU-Mitglied, doch um Aufnahme in den Schengen-Raum und in die Euro-Zone kämpfen sie vergeblich. Deutschland arbeitet hinter den Kulissen gegen den Beitritt der beiden Länder zur Währungsunion. „Das ist nicht fair“, beschwert sich Bulgariens Finanzminister Vladislav Goranov.

Andere Balkan-Staaten versuchen vergeblich, überhaupt in die EU hineinzukommen. Die Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro dümpeln vor sich hin. Mit anderen Beitrittskandidaten, darunter Albanien, haben die Verhandlungen noch nicht einmal begonnen.

In der EU reift langsam die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. Im Mai treffen sich die 28 Regierungschefs in Sofia, um über ihre Strategie auf dem Westbalkan zu beraten. Natürlich könne man keinem Land einen EU-Beitritt versprechen, wenn es noch nicht reif dafür sei, meint Bulgariens Europaministerin Lily Pavlova. „Aber wir müssen ihnen eine Perspektive bieten.“

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