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Quelle: dpa

Selenskyj muss sich an seiner Satire messen lassen

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Der G7-Gipfel hat der Ukraine weitere Hilfen in Aussicht gestellt. Kanzler Scholz will gar einen Marshallplan. Doch der bräuchte klare Bedingungen.

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Die Geschichte wiederholt sich vielleicht ein bisschen. Rund 75 Jahre ist es her, dass US-Außenminister George Marshall das European Recovery Program verkündete. Über zwölf Milliarden Dollar pumpten die Amerikaner Richtung zerstörtes Europa. Der Marshallplan gilt seither als Symbol für eine ultimativ erfolgreiche Hilfsaktion.

Kein Wunder, werden in diesen Kriegstagen die Rufe nach dem vermeintlichen Wundermittel lauter. Putins Armee hat der Ukraine bereits Schäden im dreistelligen Milliardenbereich zugefügt, und täglich werden es mehr. Kein Land kann einen solchen Wiederaufbau alleine stemmen, schon gar nicht die Ukraine. Deshalb reiht sich auch Kanzler Olaf Scholz in die lange Liste der Befürworter ein. Am G7-Gipfel in Elmau gibt er sich überzeugt, dass „wir einen Marshallplan brauchen“. Scholz will bald eine Konferenz einberufen – und gleichzeitig von der für ihn unangenehmen Diskussion über die Waffenlieferungen ablenken.

Doch Scholz verschweigt, dass sich im Kleingedruckten ein Missverständnis – und so manche Tücken verstecken. Was als Allheilmittel in die europäische Nachkriegsgeschichte eingegangen ist, funktionierte vor allem als Konjunkturprogramm für die Amerikaner. Mancher Historiker hält gar den Plan für überschätzt, es habe nur wenige aufbaurelevante Lieferungen gegeben. Allerdings loben Ökonomen die Konstruktion des Plans. Einerseits lief die Abwicklung über eine von den US-Ministerien unabhängige Agentur, und andererseits galt für die Hilfen eine Konditionierung.

Letzteres ist entscheidend. Bei allem Mitgefühl für die Ukrainer muss klar sein, dass es einen Marshallplan 2.0 ohne Gegenleistung nicht geben kann. Präsident Wolodymyr Selenskyj verdankt seine Prominenz der Satiresendung „Diener des Volkes“, in der er als Geschichtslehrer die grassierende Korruption im Land anprangert. Diese Vetternwirtschaft existiert nach wie vor. Im Ranking von Transparency International liegt die Ukraine in Europa vor Russland auf dem zweitletzten Platz. Zwar attestieren Experten dem Land deutliche Fortschritte, aber es geht alles noch viel zu langsam voran. Allein die Neubesetzung der Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft dauerte zwei Jahre.

Scholz darf die Bekämpfung der Schmiergeldkultur nicht unter den Tisch fallen lassen. Das liegt im Interesse der Ukrainer. Nur ein korruptionsfreies Gemeinwesen kann florieren – und vielleicht irgendwann der EU beitreten.

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