Die amerikanische Waffendebatte ist festgefahren, seit Jahren schon, da muss es schon als Fortschritt gelten, wenn sie ab und an in zivile Bahnen gelenkt werden kann. Zumindest das ist am Donnerstagabend gelungen.
Der Fernseh-Sender CNN hatte zu einem „Townhall Meeting“ geladen. Barack Obama stellte sich den Fragen von Befürwortern und Gegnern strengerer Waffengesetze. Der Präsident verteidigte die Kontrollmaßnahmen, die er zu Wochenbeginn vorgestellt hatte, ging auf seine Kritiker ein, versuchte ihnen die Angst davor zu nehmen, dass er heimlich Pläne zur Entwaffnung rechtschaffender Waffenbesitzer ausbrütet.
Die wichtigsten Fakten zu Waffen in den USA
In den USA sind mehr Waffen in Privatbesitz als in jedem anderen Land der Welt – von 100 Einwohnern haben statistisch 88,8 eine Handfeuerwaffe oder ein Gewehr. Zum großen Teil seien das weiße, verheiratete Männer über 55 Jahre, ergab eine 2015 im Fachjournal „Injury Prevention“ vorgestellte Studie.
Nach Angaben der Organisation Action on Armed Violence sind landesweit rund 270 Millionen Schusswaffen in Privathand. Andere Statistiken gehen sogar von bis zu 310 Millionen aus.
Das Waffenrecht ist von US-Staat zu US-Staat verschieden; es gibt ein Durcheinander nationaler, einzelstaatlicher und kommunaler Vorschriften. Seit dem 1. Januar 2016 ist in Texas sogar das sichtbare Tragen von Schusswaffen erlaubt, auch bei der Arbeit, beim Einkaufen oder im Restaurant. Geschäfte und Restaurants dürfen allerdings Kunden mit offen getragenen Waffen den Zutritt verwehren.
Das „Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen“ war 1791 im zweiten Zusatzartikel zur Verfassung verbrieft worden. Das Prinzip galt lange ohne größere Einschränkungen. Auch der Oberste Gerichtshof sprach 2008 den Bürgern ein Grundrecht auf Waffenbesitz zu. Die Richter erklärten ein Gesetz in der Hauptstadt Washington für verfassungswidrig, das Handfeuerwaffen im Besitz von Privatbürgern verboten hatte. 2010 kippte das Gericht auch das strikte Waffenverbot in Chicago (Illinois). Die Urteile wurden als Sieg der einflussreichen Organisation der US-Waffenbesitzer NRA gewertet.
US-Präsident Barack Obama machte 2013 nach dem Massaker an einer Schule in Newtown (Connecticut) schärfere Waffengesetze zu einem innenpolitischen Hauptanliegen. Entsprechende Initiativen aus dem Weißen Haus scheiterten aber bisher am Widerstand der Waffenlobby.
Dass die mächtige Waffenlobby-Organisation NRA die Einladung ausgeschlagen hatte, schadete der Debatte nicht. Im Gegenteil. Die Waffenlobby vertritt einen Extremismus, der sich nicht auf Fakten, sondern Paranoia stützt. An einem rationalen Diskurs ist sie nicht interessiert.
„Ich respektiere das Recht auf Waffenbesitz“, versicherte Obama gleich zu Beginn der Diskussion. Gleichzeitig aber müsse es möglich sein, über Reformen zu sprechen, die dazu beitragen könnten, die Waffengewalt einzuschränken.
Mehr als eine Stunde legte Obama seine Positionen dar, gestikulierte auf einem schmalen roten Lederhocker, ihm gegenüber Moderator Anderson Cooper, um ihn herum das Publikum. Er warb für seine jüngsten Reformen, die vor allem darauf abzielen, Waffenkäufer besser als bisher zu überprüfen.
„Wir alle sollten doch darin übereinstimmen, dass es Sinn macht, alles zu tun, um Waffen nicht in die Hände von Leuten gelangen zu lassen, die andere oder sich selbst verletzen wollen“, sagte der Präsident.
Epidemie der Waffengewalt
Obamas Argumente werden kaum jemanden dazu gebracht, die Meinung zu ändern. Dafür ist das Land zu stark polarisiert. Doch mit seinem Auftritt hat er gezeigt, dass er nicht lockerlassen wird, ehe Amerika bei der Bekämpfung der Waffengewalt Fortschritte macht.
Natürlich weiß Obama, dass seine Verordnungen dafür nicht ausreichen. Natürlich weiß er, dass eine wirkungsvolle Reform, etwa ein Verbot von Sturmgewehren, nur vom Kongress beschlossen werden kann. Wohl auch darum veröffentlichte er noch am gleichen Abend einen Artikel auf der Internetseite der New York Times, im dem er sich darauf festlegte, künftig keine Politiker mehr zu unterstützen, die sich gegen strengere Waffengesetze aussprechen – selbst dann, wenn es sich um Parteifreunde handelt.
„Die Epidemie der Waffengewalt in unserem Land ist eine Krise“, schreibt der Präsident. Und eine nationale Krise verlange eine nationale Reaktion.
Doch die bittere Ironie von Obamas Präsidentschaft ist, dass er bisher mit seinem Kampf gegen den Waffenwahn nur eines bewirkt hat: einen Anstieg der Waffenverkäufe. Der Präsident, der die Waffenplage eindämmen will, ist zum unfreiwilligen Werbeträger der Waffenindustrie geworden.