Barry Eichengreen "Banken mitschuldig"

Der berühmte US-Ökonom fordert eine zentrale Aufsicht über die Kreditvergabe durch Finanzinstitute im Euro-Raum.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Herr Eichengreen, vom Austritt aus der Währungsunion bis hin zur Errichtung einer Transferunion reichen derzeit die Vorschläge zur Lösung des griechischen Schuldendramas. Was wäre das Beste für beide Seiten – Griechenland und den Rest der Euro-Zone?

Eichengreen: Wir haben keine Wahl, sondern nähern uns einer Situation, in der es nur noch eine Lösung geben kann: eine Umschuldung, verbunden mit einem Forderungsverzicht der Gläubiger Griechenlands.

Derzeit sieht es allerdings mehr danach aus, dass allenfalls die Zinsen gekürzt und die Laufzeiten der Kredite an Griechenland verlängert werden. Wäre das Land damit über den Berg?

Nein. Der Schuldenberg wäre immer noch zu groß, als dass Griechenland ihn bewältigen könnte. Nach dieser Restrukturierung wird eine zweite folgen, ein Haircut. Die Politiker wollen unbedingt eine freiwillige Umschuldung. Doch die Investoren haben keinen Grund, dieses Angebot anzunehmen. Sie wissen, dass es sowieso ein zweites Angebot geben wird.

Warum wollen die deutsche und die französische Regierung um jeden Preis den Haircut vermeiden?

Die Politiker sagen, sie fürchten die Ansteckung im Finanz-system. Doch in Wirklichkeit haben sie Sorgen um ihre Banken.

Wann wird der Haircut kommen?

Wahrscheinlich noch in diesem Sommer. Das Beste wird daher sein, schon jetzt die Umschuldung vorzubereiten, sodass alles möglichst reibungslos abläuft und zwei Ziele erreicht werden. Erstens: Griechenland kann wieder wachsen. Zweitens: Dem europäischen Bankensystem wird kein unnötiger Schaden zugefügt.

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Wie soll das gelingen?

Man müsste sich mit den Banken einigen, die griechische Bonds halten, und ihnen verschiedene Arten von Papieren zum Tausch anbieten. Man sollte ihnen erlauben, die Abschreibungen gering zu halten und Verluste steuerlich geltend zu machen. Wir können dabei von den Erfahrungen in Lateinamerika in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren mit dem Brady-Plan lernen. Wir sollten uns Hilfe holen von den Menschen, die damals bei den großen Finanzinstituten angestellt waren und dort mitgeholfen haben. Sie wissen ganz genau, was nun zu tun ist.

Eine Restrukturierung Griechenlands wäre also gar nicht so dramatisch?

Meine größte Sorge ist, dass in der zweiten Runde von Stresstests, die im Juni anstehen, kein Restrukturierungsszenario enthalten sein wird. Nur so können wir sicher sein, dass die Banken ausreichend kapitalisiert sind. Und nur so können wir sie zwingen, falls angebracht, ihr Kapital zu erhöhen, um für eine Restrukturierung vorbereitet zu sein. Ich befürchte jedoch, dass in den Stresstests im Juni kein solches Restrukturierungsszenario vorkommen wird.

 Warum ist ein Schuldenschnitt statt weiterer Hilfen für Griechenland so wichtig für die Zukunft der Europäischen Union?

Das Schuldenproblem hat nicht einzig und alleine Griechenland verursacht. Es braucht immer zwei, um Tango zu tanzen. Die Banken, die unbedacht weiter Kredite vergaben, tragen eine Mitschuld. Wir haben es leider in Amerika verpasst, unseren Banken nach der Finanzkrise eine schmerzhafte Lektion zu erteilen. Die Europäer sollten es besser machen.

Falls die Restrukturierung kommt, wären die Griechen einen Teil ihrer Schulden los. Doch das ist auch alles. Wie soll diese Volkswirtschaft wachsen?

Griechenland braucht Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Ich meine nicht nur niedrigere Löhne, sondern auch niedrigere Einstellungs- und Kündigungskosten. Die hohen Pensionen sind ebenfalls ein Problem. Tourismus wird ein wichtiger Wirtschaftszweig bleiben, aber das Land muss ebenfalls das verarbeitende Gewerbe und die maritime Wirtschaft stärken. Mir kam jüngst ein Beispiel dafür zu Ohren: Griechische Montagefirmen arbeiten mit israelischen High-Tech-Firmen zusammen.

Es gibt Gerüchte, Griechenland erwäge eine Rückkehr zur Drachme?

Diese Gerüchte sind absolut unbegründet. Sollte die Regierung eine Rückkehr zur Drachme planen, gäbe es in Griechenland eine riesige Kapitalflucht, und das ganze Bankensystem würde zusammenbrechen.

Die Griechen sind bekanntlich nicht die Einzigen mit Problemen. Auch Irland und Portugal sind unter den Rettungsschirm gehuscht. Wie groß ist die Gefahr, dass Spanien als Nächstes bei der Europäischen Union um Hilfe betteln muss?

Für Spanien bin ich aus zwei Gründen optimistisch. Erstens ist hier die Gesamtverschuldung viel niedriger als in den anderen drei Ländern. Zweitens besteht die Hälfte des spanischen Bankensystems aus zwei Großbanken, die ihre Geschäfte vorrangig in Lateinamerika machen. Sie sind also kaum von den Problemen im eigenen Land betroffen.

Was ist mit der anderen Hälfte?

Für die sieht es wirklich schlecht aus. Aber wenn nur die Hälfte des Bankensystems in der Krise steckt, ist das halb so schlimm. Zudem sind die Spanier deutlich strenger, was Reformen angeht. Sollte es zu einem Insolvenzverfahren in Griechenland nach dem Brady-Plan kommen und die Eigenkapitalstruktur der Banken gestärkt werden, bin ich sehr zuversichtlich. Natürlich kann ich für nichts garantieren, aber ich erwarte, dass die Staatsschuldenkrise in Portugal endet.

Bis wann wird Portugal die Krise überwunden haben?

Sicher nicht in den nächsten zwei Jahren. Der Plan, auf den sich die Portugiesen mit dem IWF und der EU geeinigt haben, sieht vor, dass sie ihr Defizit rasch abbauen. Doch das reicht nicht. Es müssen die nötigen Reformen auf den Weg gebracht werden, besonders auf dem Arbeitsmarkt. Die Portugiesen haben sehr große Probleme in ihrem Bildungssystem; sie haben hier in der Vergangenheit einen miserablen Job gemacht. Es wird lange Zeit dauern, bis sie dieses Problem in den Griff bekommen werden.

Was ist der größte Konstruktionsfehler in der Europäischen Währungsunion?

Die Euro-Zone hat eine gemeinsame Währung, einen gemeinsamen Finanzmarkt und 17 verschiedene Bankenaufsichten. Das ist Wahnsinn! Es ist die irrsinnigste Konstellation, die man sich vorstellen kann. Und es passierte, was passieren musste: Die Banken gerieten außer Rand und Band. Der Verschuldungsgrad der Banken in der Euro-Zone ist der größte weltweit.

 Andere Experten fordern eine gemeinsame Fiskalpolitik.

Sie haben mich nach dem größten Konstruktionsfehler gefragt. Natürlich wäre eine gemeinsame Fiskalpolitik oder ein europäischer Stabilisierungsmechanismus schön. Das sind alles gute Ideen. Doch es sind kleine Fische. Wir sollten uns auf die Banken konzentrieren.

Warum sollte eine internationale Bankenaufsicht strenger sein als eine nationale?

Das ist nicht der Punkt. Was wir brauchen, ist eine internationale Koordinierung der Bankenaufsicht. Die nationalen Aufseher denken nicht darüber nach, welche Auswirkungen ihre Regeln auf andere Länder der Euro-Zone haben.

Können Sie bitte ein konkretes Beispiel nennen?

Deutsche Banken durften Irland, Griechenland und Portugal unbegrenzt Geld leihen. Die für diese Kredite vorgeschriebenen Risikogewichte waren so gering, dass es zu einer übermäßigen Kreditvergabe kam.

Vor einem Jahr warnten Sie vor einer Deflation in der Euro-Zone. Die Euro-päer und die Deutschen fürchten heute aber die Rückkehr der Inflation.

Und die Amerikaner auch! Das ist typisch, die Europäer stecken die USA immer wieder mit ihrer Inflationsangst an. Auf einmal wird eine Zielinflation von zwei Prozent diskutiert. Doch die Amerikaner müssen sich keine Sorgen machen. Der Preisanstieg beruht vor allem auf steigenden Rohstoff- und Lebensmittelkosten. Die Löhne sind jedoch nicht gestiegen, die Kerninflation ist niedrig.

In Deutschland ist die Kerninflation im April auf 1,1 Prozent gestiegen. Im Herbst vergangenen Jahres waren es noch 0,4 Prozent.

Deutschland hat tatsächlich ein Inflationsproblem. Hier drohen vor allem Zweitrundeneffekte aufgrund der gestiegenen Löhne. Leider kann die EZB nicht mit einem höheren Zins -gegensteuern. Das würde die labile Wirtschaft in den Krisenstaaten endgültig abwürgen. Für Deutschland ist das eine sehr schwierige Situation.

Wird es den Euro in zehn Jahren noch geben?

Ich bin sehr besorgt, da die nationalen Regierungen keinerlei Anstalten machen, die Bankenregulierung an die Europäische Union abzugeben. Sie pochen auf das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union. Danach bleibt die Politik so lange auf der nationalen Ebene, wie sie keine grenzüberschreitenden Effekte verbreitet. Doch was hat grenzüberschreitende Effekte wenn nicht Bankenregulierung?

Noch mal: Wird der Euro die nächsten zehn Jahre überleben?

Es gibt Dinge in der Ökonomie, die sind irreversibel. Der Euro zählt dazu. Die Menschen können alle möglichen Szenarien spinnen. Doch es ist unmöglich, die Währungsunion zerbrechen zu lassen, ohne noch größere Probleme anzurichten. Die Politiker müssen die Krise nutzen, um Dinge, die sie in der Vergangenheit falsch gemacht haben, geradezurücken.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%