Bauernproteste in Holland „Boerenprotesten“ in den Niederlanden: Großdemo gegen Umweltauflagen

Bauernproteste in den Niederlanden: Blockaden, leere Regale & Co. – darum geht es bei den „Boerenprotesten“ Quelle: imago images

In den Niederlanden protestieren Bauern immer wieder und teils heftig gegen strengere Umweltauflagen. Am Samstag soll die bislang größte Demo in Den Haag stattfinden. Worum es bei den Bauernprotesten geht.

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Sie haben im vergangenen Sommer wochenlang demonstriert: Niederländische Landwirte blockierten die Großlager von Supermärkten, Trecker bildeten Straßenbarrikaden; ja es wurden Heuballen angezündet. Bei diesen Protesten feuerte die Polizei sogar Schüsse ab. Nun kündigen Bauernvertreter für diesen Samstag die „bislang größte Demo“ in Den Haag an.

Allerdings grenzen sich bereits einige Verbände von dem geplanten Protest ab. Denn es war unter anderem Rechtspopulist Geert Wilders, der zur Großdemo am Samstag aufgerufen hatte. Sjaak van der Tak , Vorsitzender der wichtigen Landwirtschafts- und Gartenbauorganisation, sagte beispielsweise laut der niederländischen Zeitung „De Telegraaf“, er unterstütze den Protest nicht und werde auch nicht anwesend sein.

Warum sich deutsche Landwirte mit den Protesten vergangenen Sommer solidarisierten und worum es bei den Bauernprotesten geht: Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum protestieren die Bauern in den Niederlanden?

Schon seit langem sind Bauern in den Niederlanden wütend. Der Grund: Auflagen der Regierung, um den Schadstoff-Ausstoß drastisch zu reduzieren. Konkret ist das Ziel, die Emissionen von Stickoxiden und Ammoniak bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Viehzucht weniger werden – durch Dünger gelangt Stickstoff in Form von Nitrat beispielsweise ins Grundwasser. Nach Einschätzung der Regierung müssen etwa 30 Prozent der Viehbauern ihren Betrieb aufgeben.

Berechnungen des Finanzministeriums zufolge würde die aktuelle Stickstoffstrategie der Regierung dazu führen, dass 11.200 landwirtschaftliche Betriebe eingestellt werden müssen. Weitere 17.600 Landwirte müssten ihren Viehbestand deutlich reduzieren, um ein Drittel auf fast die Hälfte. Die Berechnungen zeigen, wie stark der Agrarsektor (insgesamt etwa 40.000 bis 50.000 Betriebe mit Vieh) von den Stickstoffplänen der Regierung betroffen ist.

Schneller schlau: Was es mit Stickstoff & Co. auf sich hat

Wie protestieren die niederländischen Bauern?

Landwirte blockierten über Wochen hinweg Großlager von Supermärkten und Straßen – auch Autobahnen – mit Treckern und Heuballen. Die Folge: Mehrere Hundert Kilometer lange Staus. Neben Blockaden gibt es auch Langsam-Fahr-Aktionen, um den Verkehr zu behindern. Bauern haben bei Protestaktionen aber auch Mist und Müll auf Autobahnen gekippt und Feuer an Straßenrändern gelegt. Bei den Protesten wurden Ende Juni auch Häuser von Politikern angegriffen, unter anderem das von Umweltministerin Christianne van der Wal.



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Die Bauern werden immer radikaler, das zeigen Umfragen. Und nach Angaben der Anti-Terrorismusbehörde hängen sich immer häufiger gewaltbereite Gruppen an die Proteste.

Warum sind die Bauern in Holland so wütend?

Die Bauern fühlen sich verraten. Sie argumentieren, dass sie sich immer an alle Regeln gehalten und nachhaltige Investitionen getätigt hätten. Sie bezweifeln auch die Schadstoff-Messungen und vermissen eine Perspektive für die Landwirtschaft. Konkret fordern sie mehr Zeit für die Umstellung der Betriebe. Und sie setzen vor allem auf technische Innovationen.

Wie sind die Proteste in den Niederlanden eskaliert?

Die niederländische Polizei hat bei Protesten von Bauern nach eigenen Angaben Warnschüsse abgegeben und auch gezielt geschossen. Die Polizei sprach im Juli von einer äußerst bedrohlichen Situation für die Beamten. In der Provinz Friesland hatte sich zuvor bei nächtlichen Protesten ein Traktor aus einer Kolonne gelöst und versucht, auf Polizeifahrzeuge und Beamte zuzusteuern. Polizisten hätten deshalb mit Warnschüssen regiert und schließlich direkt auf den Traktor gezielt, der von einem 16-Jährigen gelenkt wurde. Die Landwirte bestritten die Darstellung der Polizei. Die Polizei sei nicht bedroht worden.

Danach hatte es erneut Zusammenstöße mit Bauern gegeben. In Blijswijk bei Den Haag haben mobile Einsatzkräfte der Polizei eingegriffen und eine Blockade mehrerer Großlager von Supermärkten aufgelöst. Proteste gab es auch an anderen Orten im Land. So demonstrierten rund 200 Bauern mit Treckern vor der Provinzverwaltung in Arnheim. An anderen Orten steckten Landwirte auch Heuballen entlang von Autobahnen in Brand.

Was fordert die niederländische Regierung in Sachen Umweltschutz?

Die Emissionen von schädlichen Stickstoff-Verbindungen sind in dem Land seit Jahrzehnten zu hoch. Nun bestimmte die Regierung, dass sie national bis 2030 um rund 50 Prozent reduziert werden müssen, bei Naturgebieten sind es sogar mehr als 70 Prozent. Vor allem die Viehzucht ist nach der Berechnung der Behörden für das Stickstoffproblem verantwortlich, genauer gesagt für 40 Prozent der Schadstoffe. Das höchste Gericht des Landes hatte 2019 bestimmt, dass die Stickstoff-Normen nicht länger überschritten werden dürfen.

Eine Gruppe von 2500 Landwirten hat derweil laut der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“ einen Zehn-Punkte-Plan Plan für ökologischere Landwirtschaft vorgelegt, den sogenannten Green Farmers Plan. Sie fordern dabei Anreize für Bio-Bauern.

Warum sind Stickstoff und Ammoniak so schädlich?

Stickstoff ist nur in einer chemischen Verbindung schädlich für die Umwelt. Stickstoffoxide werden durch Industrie und Verkehr freigesetzt. Vor allem Menschen mit Lungenbeschwerden und Asthma leiden darunter. Eine andere schädliche Verbindung ist Ammoniak – das entsteht durch Mist und kommt etwa als Dünger auf die Felder. Aus der Gülle verdunstet Ammoniak und gelangt so in die Luft.

Gibt es Verhandlungen zwischen der Regierung und den niederländischen Bauern?

Anfang August hatten die Bauern erstmals mit der Regierung verhandelt. Die meisten Verbände hatten an den Gesprächen teilgenommen. Die Bauernvertreter erklärten im Vorfeld, dass sie kein Vertrauen in die Gespräche hätten und keine Einigung erwarteten. Auch Premier Mark Rutte nahm teil. Vertreter der Landwirte äußerten sich nach Ablauf in Utrecht enttäuscht. Es gebe zwar Bewegung, aber das reiche nicht aus.

Die Landwirte hatten Zugeständnisse gefordert. Die Regierung müsse den Bauern entgegenkommen, und es müsse „mehr als nur Gesten“ geben, sagte der LTO-Vorsitzende. Gesprächsleiter Johan Remkes sprach von einer „tiefen Vertrauenskrise“.

Welche Folgen haben die strengeren Umweltauflagen für die Viehbetriebe in den Niederlanden?

Es wird erwartet, dass dies zu einer Verringerung des Viehbestandes führt und dass einige Bauernhöfe aufgekauft werden müssen. Die Bauern fühlen sich unfair behandelt und kritisieren, ihnen werde keine Zukunftsperspektive geboten. In manchen besonders geschützten Naturgebieten soll der Stickstoff-Ausstoß um bis zu 70 Prozent reduziert werden. Gerade Bauern in diesen Regionen sehen ihre Existenz bedroht.

Die Niederlande haben etwa 53.000 landwirtschaftliche Betriebe und sind weltweit einer der größten Exporteure von Agrar-Produkten. Im vergangenen Jahr betrug das Ausfuhrvolumen rund 105 Milliarden Euro. Fleisch ist eine Säule der niederländischen Wirtschaft; die Holländer halten vor allem Rinder, Schweine und Hühner.

Solidarisieren sich nun auch deutsche Bauern?

Man nehme unter den deutschen Bauern eine sehr große Solidarität mit den niederländischen Berufskollegen wahr, heißt es wiederum vom Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, auf Anfrage der WirtschaftsWoche. Die Bauernlobby stehe in Kontakt mit den Protestierenden, lehne gewalttätige Aktionen jedoch ab. „Die niederländische Regierung will große Teile der Landwirtschaft und der Tierhaltung zwangsweise stilllegen und bietet den Landwirten keinerlei Perspektive. Deshalb waren diese Proteste keine Überraschung und sogar zu erwarten“, sagt Krüsken.

Auch in Deutschland protestieren Bauern, wie Mitte Juli auf der Autobahnbrücke (B156) der Bundesautobahn 4 bei Bautzen. Quelle: imago images

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sieht nach den massiven Bauernprotesten in den Niederlanden keinen Grund für ähnlich radikale Aktionen in Deutschland. Im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) verwies der Grünen-Politiker darauf, dass die Ausgangslagen in beiden Ländern nicht vergleichbar seien: Während in den Niederlanden Landwirte bis zu 95 Prozent der Emissionen reduzieren sollen, gehe es in Deutschland um moderatere Einschränkungen beim Düngen: „Es ist ja nicht so, dass es ein Düngeverbot geben wird. Die Bauern können ja weiter düngen, aber so, dass wir insgesamt von der zu hohen Nitratbelastung runterkommen.“ Geplant ist eine Reduktion von 20 Prozent auf Flächen, die in sogenannten roten Gebieten mit einer zu hohen Nitratbelastung liegen. „Das kriegen die Bauern hin“, sagte Özdemir.

Wie ist die Situation in Deutschland und warum sind deutsche Landwirte wütend?

Zumindest das Stickstoff-Problem ist in den Niederlanden deutlich größer. Das liegt an der intensiven Landwirtschaft. In den Niederlanden gibt es auf den Quadratkilometer deutlich mehr Vieh – besonders in Nähe von Naturschutzgebieten. Das Land ist einer der weltweit größten Exporteure von Agrarprodukten. Auch gegen die Preispolitik von Handelskonzernen richtet sich Frust.

Der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, nennt im Interview mit der WirtschaftsWoche weitere Gründe: „Die Unzufriedenheit unserer Landwirte wächst ständig, zu Recht. Wir wollen im nächsten Jahr in der EU in eine neue, gemeinsame Agrarpolitik einsteigen und bis dato gibt es noch immer keine Vorgaben.“ Außerdem wolle die EU die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln halbieren und in Schutzgebieten komplett verbieten, „das hängt wie ein Damoklesschwert über uns.“ Das würde die Existenz zehntausender Betriebe vernichten, sagte Rukwied weiter: „Wir haben die größte Krise in der Schweinehaltung seit Jahrzehnten.“ Die Landwirtschaft hat ein klares Signal zum Umbau der Tierhaltung gegeben. Aber politisch fehlen die Vorgaben, es gibt keine gesicherte Investitionsförderung. „Das Bau- und Emissionsschutzrecht muss geändert werden, sonst kann ich gar keine Ställe umbauen. Und in der Politik herrscht Stillstand, das nimmt uns die Zukunftsperspektive.“



Waren die Supermarktregale in den Niederlanden wegen der Bauernproteste leer?

Die niederländischen Bauern zielten mit ihren Protestaktionen gegen geplante Umweltauflagen auch auf Supermärkte und Häfen. Mit Treckern und Heuballen blockierten hunderte Landwirte die Zufahrten zu Großlagern der Supermärkte. Viele Distributionszentren der großen Supermarktketten waren betroffen. Regionale Medien berichteten im Sommer von kurzfristig leeren Regalen in einigen Supermärkten.

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Transparenzhinweis: Der Artikel wurde erstmals im Juni 2022 veröffentlicht. Wir haben ihn umfassend aktualisiert.

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