Bei Verbleib in der Euro-Zone Ifo-Chef Sinn warnt vor Griechenland-Pleite

Griechenland war in der Euro-Krise der komplizierteste Rettungsfall. Und Athen ist immer noch nicht über den Berg. Im Gegenteil: Ifo-Chef Sinn befürchtet das Schlimmste, sollte das Land nicht den Euro verlassen.

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Akropolis in Athen: „Es steht ein weiterer Staatskonkurs an, wenn Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit nicht durch den Austritt aus dem Euro und eine Abwertung seiner Währung wiederherstellt“, sagt Ifo-Chef Sinn. Quelle: DAPD

Nach Einschätzung des Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, kann Griechenland eine neue Staatspleite nur abwenden, wenn es aus der Euro-Zone ausscheidet. „Es steht ein weiterer Staatskonkurs mit einem heftigen offenen oder versteckten Schuldenschnitt an, dem in den kommenden Jahren immer wieder neue Kredite und Schuldenschnitte folgen werden, wenn das Land seine Wettbewerbsfähigkeit nicht durch den Austritt aus dem Euro und eine Abwertung seiner Währung wiederherstellt“, sagte Sinn dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Sinn setzt in dieser Hinsicht auf den Chef der radikalen Syriza-Partei, Alexis Tsipras. Dieser sei einer der wenigen griechischen Politiker, „die die Natur des Problemsverstanden haben und deshalb bereit sind, Wagnisse einzugehen“, sagte der Ökonom. Dass Tsipras die griechischen Reparationsforderungen gegenüber Deutschland wieder auf den Tisch legen wolle, gehöre allerdings zu den „vielen unerfreulichen Aspekten des Geschehens“, fügte Sinn hinzu.

Zukunftsszenarien für Griechenland

In Griechenland stehen am 25. Januar Neuwahlen an, bei denen die linkspopulistische Syriza-Partei die besten Aussichten hat, stärkste Kraft zu werden. Deren Parteichef Tsipras hat angekündigt, das Sparprogramm zu beenden, zu dem sich das Land im Gegenzug zu Finanzhilfen internationaler Geldgeber verpflichtet hat, und über Schuldenerlasse zu verhandeln.

Deutschland hat sich an den beiden Kredithilfe-Paketen für Griechenland mit gut 50 Milliarden Euro beteiligt. Von den Forderungen deutscher Banken an den griechischen Staat von gut 15 Milliarden Euro entfällt der überwiegende Teil auf die staatliche Förderbank KfW.

Griechische Löhne doppelt so hoch wie die polnischen

Der Ifo-Chef sieht dringenden Handlungsbedarf, zumal sich die Lage in Griechenland seit Jahren verschlechtere. „Die griechische Wirtschaftssituation ist unerträglich für die Bevölkerung, und die fortwährenden Neukredite sind unerträglich für die Staatengemeinschaft“, sagte Sinn.

Griechenland habe heute doppelt so viele Arbeitslose wie noch im Mai 2010. Damals sei der Euro-Austritt des Landes unter Bruch von Artikel 125 des EU-Vertrages durch öffentliche Kredite der Staatengemeinschaft verhindert worden, und es sei beteuert worden, das Land komme schnell wieder auf die Beine. „Die Wahrheit ist, dass Griechenland einen Einbruch der Industrieproduktion gegenüber dem Vorkrisenniveau um etwa 30 Prozent erlebt hat, dass es nach wie vor meilenweit von der preislichen Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft entfernt ist“, betonte der Ifo-Chef.

Unmut im Europaparlament über Ausstiegsszenarien

So seien die griechischen Löhne doppelt so hoch wie die polnischen. Zudem fahre das Land nach dem Staatskonkurs des Jahres 2012 immer noch „riesige Staatsdefizite“, die von der EU-Kommission „mühsam und trickreich geschönt“ werden müssten, obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) alles versucht habe, die Zinsen auf griechische Staatspapiere zu drücken.

Griechenland war und ist in dieser Hinsicht ein Sonderfall. Während andere Wackelkandidaten wie Portugal oder Irland ihre milliardenschweren Rettungsprogramme ohne großes Getöse abschlossen und an die Finanzmärkte zurückkehrten, streitet sich Athen mit der „Troika“ der Geldgeber weiter um Reformen und Budgetzahlen.

Europa ist nur bedingt wettbewerbsfähig
Ein Mann trägt eine griechische Flagge Quelle: dpa
ItalienAuch Italien büßt zwei Plätze ein und fällt von Rang 44 auf Rang 46. Die Studienleiter kritisieren vor allem das Finanz- und Justizsystem. Die Abgaben seien zu hoch und Verfahren viel zu langwierig und intransparent. Lediglich bei der Produktivität und mit seiner Infrastruktur liegt der Stiefelstaat im Mittelfeld. Ein wenig besser macht es ... Quelle: REUTERS
Ein Mann schwenkt eine portugiesische Flagge Quelle: AP
Stierkampf Quelle: dpa
Eine Frau hält eine Fahne mit einer französischen Flagge in der Hand Quelle: REUTERS
Das Parlamentsgebäude in Wien Quelle: dpa
Finnische Flagge Quelle: dpa

Ende erst einmal nicht absehbar: Der europäische Teil des Rettungsprogramms musste wegen des Ringens in Athen ins neue Jahr hinein verlängert werden. Auch wegen dieser Blockade reagiert die EU-Kommission ausweichend und lapidar auf Berichte, wonach Berlin bei einem Sieg des Linksbündnisses von Tsipras einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für verkraftbar halte. Eine Sprecherin bemüht den EU-Vertrag. Der sagt ganz klar: Die Euro-Mitgliedschaft ist unwiderruflich.

Mit Kommentaren zur griechischen Innenpolitik hält sich Brüssel inzwischen merklich zurück. Mit den Parlamentswahlen sei „andere Stufe des Verfahrens erreicht“, erklärt ein Sprecher den Kurswechsel.

Noch im Dezember hatte die vom konservativen Luxemburger Jean-Claude Juncker geführte Riesenbehörde offen die Kandidatur des früheren EU-Kommissars Stavros Dimas für das Präsidentenamt in Athen unterstützt. Der konservative Anwärter scheiterte jedoch. Es blieb der Eindruck von Absprachen: Regierungschef Antonis Samaras hatte das Vorziehen der Präsidentenwahl offensichtlich vorher mit europäischen Partnern abgestimmt.

Angesichts der offiziell nicht dementierten Berichte über Austrittsszenarien regt sich deutlicher Widerstand im Europaparlament. Kräfte der deutschen Rechten versuchten, wie „ein Sheriff in Griechenland“ aufzutreten, kritisiert der Fraktionschef der Sozialisten, Gianni Pittella. „Ein hypothetischer griechischer Ausstieg ist einfach keine Option“, resümiert der Italiener.

Der deutsche Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold meint, die Spekulationen vom Wochenende seien eine „schädliche und gefährliche Einmischung in den griechischen Wahlkampf“. Die Bundesregierung wies Vorwürfe einer Wahleinmischung umgehend zurück.

Griechenland ist auch deshalb ein Sonderfall, weil es in der Krise „Einmischungen“ der massiven Art bereits gab. Diplomaten erinnern sich noch gut an den Nervenkrieg beim G20-Gipfel Anfang November 2011 in Cannes, als Berlin und Paris den damaligen Regierungschef Giorgos Papandreou überzeugten, ein Referendum zu den internationalen Hilfen abzublasen.

Der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy drohte unverhohlen, die Euro-Zone sei auf den Austritt vorbereitet, falls sich Griechen dem Sparen verweigern sollten. „Wir sind gewappnet“, lautete damals das Credo von Bundeskanzlerin Angela Merkel an der sturmgepeitschten Mittelmeerküste.

Hinter den Kulissen wird bei der EU gewarnt, den möglichen griechischen Wahlsieger Tsipras zu verteufeln. Auch er werde Kompromisse machen und in einer Koalition regieren müssen. Ein neuer Schuldenschnitt, der inzwischen fast nur noch öffentliche Kreditgeber treffen würde, wird in Brüssel abgelehnt.

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