Beitrittskandidaten EU staunt über Reformen in Balkan-Staaten

Die EU-Kommission attestiert den Balkan-Ländern große Fortschritte auf ihrem Weg in die Europäische Union. Frankreichs Präsident Macron bremst.

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Gutes Zeugnis für die meisten Beitrittskandidaten. Quelle: AP

Brüssel, Wien Jean-Claude Juncker war eindeutig: „Der Platz des Westbalkans ist in der EU“, sagte der Präsident der EU-Kommission bei seiner Reise durch die sechs Länder im Südosten Europas, die noch keine Mitglieder der Gemeinschaft sind. Ein Beitritt könne „eventuell 2025 geschehen“, falls die Staaten alle Bedingungen erfüllten.

Emmanuel Macron klingt da schon ganz anders: „Ich werde eine Erweiterung nur unterstützen, wenn es zuvor eine Vertiefung und Reform unseres Europas gibt“, betonte Frankreichs Präsident am Dienstag vor dem EU-Parlament. Er wolle zwar nicht, dass sich die Balkanstaaten der Türkei oder Russland zuwendeten. Aber Europa funktioniere schon mit 28 Mitgliedstaaten nur mit Schwierigkeiten.

Dass Frankreichs europhiler Staatschef dem Kommissionspräsidenten so deutlich wiederspricht, zeigt: Die Erweiterung der EU ist auch ein gutes Jahrzehnt nach der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien ein hochpolitisches Thema. Juncker hatte die Aufnahme neuer Mitglieder selbst lange skeptisch gesehen, vollzog im vergangenen Jahr aber eine Kehrtwende: Im Februar stellte er den sechs Westbalkanländern bei zügigen

Reformen eine Aufnahme bis 2025 in Aussicht. Dass der Kommissionspräsident gleich so konkret wurde, missfällt auch der Bundesregierung.

Bis zum Beitritt müssen die Staaten einen formalisierten Prozess durchlaufen – inklusive regelmäßiger Beurteilungen durch die Kommission. Am Dienstag stellte die Brüsseler Behörde ihre jüngsten Fortschrittsberichte vor. In ihrer Sitzung vor der Veröffentlichung hatten auch die Kommissare noch bis zur letzten Minute um die darin enthaltenen Empfehlungen gerungen.

Dabei stellt die Behörde den Westbalkanstaaten ein durchweg gutes Zeugnis aus - ganz im Gegensatz zum Beitrittskandidaten Türkei, die sich weiter mit großen Schritten von der EU entferne. „Die Partner haben in vergangenen eineinhalb Jahren durch die Bank sehr wichtige Reformen umgesetzt und ihre Wirtschaft modernisiert“, lobte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Alle sechs Länder hätten in den vergangenen drei Jahren Fortschritte erreicht, die zum Amtsantritt der Juncker-Kommission unmöglich erschienen.

Die Kommission empfiehlt dem Rat der 28 Mitgliedsstaaten daher, formale Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien aufzunehmen. Beide Länder sind bereits Beitrittskandidaten, Mazedonien sogar bereits seit 2005. Aber anders als Serbien oder Montenegro verhandeln beide noch nicht über die Umsetzung der Aufnahmekriterien wie einen funktionierenden Rechtsstaat oder eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft.

Erweiterungskommissar Johannes Hahn warnte die Regierungen davor, sich auf dem Erreichten auszuruhen. „Es geht darum, die derzeitige Reformdynamik zu erhalten und zu beschleunigen“, forderte er. Wenn die Länder aber Ergebnisse lieferten, müsse auch die EU liefern.

Hahn bescheinigte etwa Albanien, greifbare Fortschritte bei seiner Justizreform erzielt zu haben. Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption habe das Land ebenso wie die anderen fünf aber noch viel zu tun.

Enge Verbindungen zwischen Politik und Kriminellen und die weit verbreitete Korruption plagen die Region noch immer. „Politik wird nicht als Dienstleistung, sondern als ein Geschäft betrachtet“, sagt ein österreichischer Politiker, der mit Südosteuropa seit vielen Jahren vertraut ist. Die Beitrittskandidaten bemühen sich zwar ernsthaft, Bestechung, Vetternwirtschaft und kriminelles Bandenwesen zu bekämpfen. Auf einen baldigen Durchbruch zu hoffen, erscheint vielen Experten aber naiv.

Dabei ist der Handlungsdruck als Bewerberland oft größer als für ein EU-Mitglied: „Die Staaten gehen mit Korruption und organisierter Kriminalität nach dem EU-Beitritt frivoler um als vor der Mitgliedschaft. Bulgarien, Rumänien, aber auch Kroatien sind dafür negative Beispiele“, klagt ein früherer EU-Balkanexperte. „Es stehen sich zwei Gaunergruppen gegenüber. Die eine ist schon reich und möchte ihr Geld legalisieren. Die andere will noch reich werden.“

So gewann in Montenegro gerade erst mit Milo Djunkanovic ein Bewerber den ersten Wahlgang der Präsidentenwahlen, dem enge Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden.  Der prowestliche Politiker regierte das Land in der Vergangenheit wie ein Familienunternehmen.

Keines der Bewerberländer verfügt derzeit über eine unabhängige Justiz und wirklich freie Medien. „Die schmuddeligen alten Kräfte herrschen hier noch immer“, sagt ein früherer EU-Vermittler. Die Spirale der Gewalt hat allerdings seit dem Ende des jugoslawischen Bürgerkrieges kontinuierlich abgenommen. „Früher wurden Todesdrohungen ausgesprochen und umgesetzt, später mit Baseball-Schlägern die Kniescheiben zertrümmert. Heute werden die Betroffenen mit Dreck beworfen und ihr Ruf zerstört“, sagt ein Balkan-Experte nicht ohne Zynismus.

Das ist nicht die einzige positive Entwicklung: Im Namensstreit zwischen Mazedonien und Griechenland gibt es einige Fortschritte. Seit Monaten führt die neue Regierung in Skopje Gespräche mit Athen, um einen Ausweg aus dem alten Streit zu finden, der eine Annäherung an die EU bisher verhinderte.

Griechenland beansprucht den Namen Mazedonien für den eigenen Norden und schlägt stattdessen Neu-Mazedonien oder Nordmazedonien als Namen für die frühere jugoslawische Republik vor. Bis Ende Juni soll unter Vermittlung der Vereinten Nationen eine Einigung erreicht werden.

Mit großer Spannung wird in der Region der EU-Gipfel in der bulgarischen Hauptstadt Sofia am 17. Mai erwartet. Unter der bulgarischen Ratspräsidentschaft soll die Erweiterung auf dem Balkan entscheidend vorangetrieben werden. Erst in der vergangenen Woche besuchte der serbische Präsident Aleksandar Vucic deshalb die Bundeskanzlerin in Berlin, Angela Merkel lobte seinen mutigen Reformkurs.

Der nicht beigelegte Konflikt zwischen Serbien und Kosovo ist das größte Hindernis für eine EU-Mitgliedschaft des Landes. Doch nicht alle Regierungspolitiker in Belgrad sind von einer EU-Mitgliedschaft restlos überzeugt. Außenminister Ivica Dacic zeigte sich zuletzt skeptisch. „Die glauben, dass wir alles tun werden, um ein Mitglied zu werden“, sagte Dacic. „Meine persönliche Meinung ist aber, dass es fraglich ist, ob die EU noch bis 2025 Bestand haben wird.“

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