Bericht zum Terror in Paris „Dann gebt uns Eure Gewehre!“

Acht Monate ist der Anschlag in Paris her, nun legt der Untersuchungsausschuss seinen Bericht vor. Das Ergebnis: Die Polizei habe nicht versagt. Doch die Schilderung mancher Umstände am 13. November liest sich haarsträubend.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Unter Beobachtung: Nach den Anschlägen ist die Polizeipräsenz in Paris erhöht. Quelle: AFP

Paris Acht Monate liegen die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris zurück. Noch immer stellen sich nicht nur die Überlebenden und die Hinterbliebenen der Opfer die Frage, ob diese Attacken und die vom 7. Januar vermeidbar gewesen wären und ob die Sicherheitskräfte richtig reagiert haben. 147 Menschen starben insgesamt in Paris: Meist Menschen, die ein Konzert besuchten oder einfach in einem Café saßen, aber auch Polizisten und Redakteure.

Die Regierung hat versucht, kritischen Fragen auszuweichen: Es sei „jetzt nicht die Zeit, die Arbeit der Polizei und der Geheimdienste in Frage zu stellen“, sagte Innenminister Bernard Cazeneuve mehrfach. Doch das Parlament war anderer Ansicht: Es setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der am Dienstag seinen Bericht vorgelegt hat. Sein Urteil: „Das Land war nicht vorbereitet auf die Attacken“, so der Vorsitzende Georges Fenech von den Republikanern, die Geheimdienste haben zum Teil versagt.

Die Arbeit des Ausschusses haben Vertreter mehrerer Parteien, vor allem Sozialisten und konservative Republikaner, gemeinsam getragen. Überraschend, dass sie in einer so emotionalen Frage und angesichts des Vorwahlkampfes, der in der Luft liegt, eine übereinstimmende Analyse und Vorschläge für Verbesserungen erreicht haben. Bei den Einsätzen der Polizei habe es „kein gravierendes Versagen“ gegeben, stellt Sébastien Pietrasanta fest. Dennoch liest sich die Schilderung mancher Umstände, etwa am 13. November, haarsträubend. Als die Brigade gegen Kriminalität (BAC) als erste am Musikclub Bataclan eingetroffen sei, wurde mit Kalaschnikows geschossen. Die BAC war aber nur mit Handfeuerwaffen ausgerüstet.

Sie bat acht Soldaten der Operation Sentinelle, die ebenfalls vor Ort waren, um Feuerschutz: Die weigerten sich, da sie keine Befehle hatten. „Dann gebt uns Eure Gewehre!“ hätten die Polizisten verlangt, ebenfalls vergeblich: Kein Befehl, lautete wieder die Antwort.

Kein Wunder, dass eine der 40 Empfehlungen des Ausschusses lautet, die Soldaten der Operation Sentinelle abzuziehen. Sie seien nicht auf Anti-Terroreinsätze vorbereitet und die Armee ohnehin überlastet. Die erste Forderung lautet: Die Polizisten sollten mehr Munition für mehr Schießübungen erhalten. Die meisten übrigen Empfehlungen drehen sich um eine bessere Arbeit der Geheimdienste – was den Terror angeht, sollen sie direkt dem Premier unterstellt werden – und um die gezieltere Vorbereitung der Rettungskräfte auf Opfer wie in Kriegsgebieten. Die Arbeit der Medien bei laufenden Terroranschlägen soll eingegrenzt und das Verbreiten von Informationen, durch die ein Mensch zu Schaden kommt, zum Delikt gemacht werden.


„Wir müssen alles neu machen“

Übereinstimmend kritisieren der Konservative Fenech und der Sozialist Pietrasanta, dass die Geheimdienste versagt hätten. Die Brüder Kouachi, die am 7. November in der Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo ein Blutbad anrichteten, seien keine Unbekannten gewesen, sondern den Diensten „vollkommen geläufig“.

Gegen Samy Amimour, einen der Attentäter im Musikclub Bataclan, sei ein Untersuchungsverfahren wegen seiner versuchten Ausreise nach Jemen gelaufen, dennoch sei seine Überwachung eingestellt worden. Alle drei Angreifer im Bataclan seien „absolut bekannt gewesen“, kritisiert Fenech.

Der vermutliche Planer der Anschläge Abdelhamid Abaoud habe in Athen entkommen können, weil die belgische Polizei die griechischen Kollegen nicht rechtzeitig von einer Razzia in Abaouds Bekanntenkreis informiert habe. „Wir müssen alles neu machen“, schlussfolgert Fenech. Beide Abgeordnete fordern, endlich ernst zu machen mit der vollen Kooperation der Geheimdienste in Europa. Dafür soll das Schengen-Informationssystem ausgebaut und leichter zugänglich gemacht werden.

Die Qualität der Arbeit der Geheimdienste sei noch auf dem Stand der 80er-Jahre, äußern die Abgeordneten. Mit der modernen terroristischen Bedrohung habe sie absolut nicht Schritt gehalten. Gesetzlich sei in der Zwischenzeit einiges getan worden, doch in der Praxis mache sich die Verbesserung noch nicht bemerkbar.

So gibt es theoretisch eine bessere Überwachung der Gefängnisse. Dort werden viele spätere Täter radikalisiert. Der Justizminister habe den Ausschuss aber darauf hingewiesen, dass er seit Monaten keinen einzigen Bericht der zuständigen Ermittler erhalten habe.

Das Vorwort des Berichts endet trotz aller Kritik mit einem Satz, der Mut machen soll: „Wer Frankreich angreift, hat noch immer den Kürzeren gezogen.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%