Bernie Sanders Retter der USA – oder Totengräber der Wirtschaft?

In elf Bundesstaaten stehen am Dienstag Vorwahlen der Demokraten an. Bernie Sanders ruft zur „Revolution“ auf und hofft, damit erneut punkten zu können. Wie gefährlich ist er für die Wirtschaft und den Wohlstand?

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Quelle: AP,AP

Wenn Bernie Sanders umsetzt, was er verspricht, stehen die USA vor einer Revolution. Der demokratische Präsidentschaftsbewerber will das Wirtschaftssystem umkrempeln. Das Ziel: mehr Wohlstand für die Mittel- und Unterschicht. Der Weg: Mehr Umverteilung und „mehr Staat“.

Bis vor Kurzem wäre man für solche Äußerungen in den USA bestenfalls ausgelacht, schlimmstenfalls auf ewig verfolgt worden. Jetzt hat der selbsternannte „demokratische Sozialist“ realistische Chancen, für die Demokraten bei den US-Wahlen im November um den Einzug ins Weiße Haus kämpfen zu dürfen.

„Was ich unter einer politischen Revolution verstehe? Wenn sich das amerikanische Volk erhebt, wenn die Amerikaner aufstehen und sagen: ,Ja, wir werden den Mindestlohn anheben. Ja, wir wollen bezahlten Urlaub für Erziehung und Krankenpflege. Ja, wir wollen, dass öffentliche Hochschulen gebührenfrei werden.‘ Und wenn die Leute das tun, dann werden die Republikaner auch zuhören. Warum? Weil sie arbeitslos werden, wenn sie uns auf unserem Weg nicht begleiten.“ (Bernie Sanders)

Die Anhebung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar, gebührenfreies Studium, Ausweitung der Krankenversicherung, die Zerschlagung der Banken, die Anhebung der Einkommensteuer für Besserverdienenden und eine Einführung der Finanztransaktionssteuer: Keiner der Präsidentschaftskandidaten hat derart viel vor wie Sanders. Und keiner hat seine Pläne derart konkret ausgearbeitet.

Diese Kandidaten wollen 2016 ins Weiße Haus
Donald Trump Quelle: REUTERS
Jeb Bush Quelle: AP
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Ted Cruz Quelle: REUTERS
Rand Paul Quelle: AP

Vor allem bei den jungen Menschen kommt diese Botschaft an. 83 Prozent aller Wähler unter 30 haben in New Hampshire für den 74-jährigen Sanders gestimmt. An den Universitäten im Lande herrscht „Bernie-Mania“. Die jungen Männern und Frauen brachten Sanders den Sieg in New Hampshire und das Unentschieden in Iowa. Kurzum: Sie machen ihn zu einem ernsthaften Konkurrenten für die einst haushohe Favoritin Hillary Clinton.

Am Dienstag steht der nächste große Test für die beiden Kontrahenten an. In gleich elf Bundesstaaten und auf Amerikanisch-Samoa wählen die Demokraten am „Super Tuesday“ ihren Favoriten für das Präsidentschaftsamt. Abgestimmt wird unter anderem in den bevölkerungsreichen Bundesstaaten Texas, Georgia, Virginia und Massachusetts. Sie dürfen allesamt überdurchschnittlich viele Delegierte zum Nominierungsparteitag im Juli entsenden.

„Wenn wir zusammenhalten und zusammenstehen, werden wir immer gewinnen. Wenn Männer und Frauen gemeinsam für Gerechtigkeit kämpfen, werden wir gewinnen. Wenn Afro-Amerikaner, Hispanics und Weiße gemeinsam für Gerechtigkeit einstehen, werden wir gewinnen.“

Sanders gibt sich als Kämpfer der Mittel- und Unterschicht. Er wehrt sich dagegen, dass die reichsten 400 US-Amerikaner mehr besitzen als die ärmsten 150 Millionen US-Bürger zusammen. Er glaubt: Mehr Gleichheit führt zu mehr Wohlstand für alle.

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Gerald Friedman, Professor an der „University of Massachusetts-Amherst“ fungiert als wirtschaftlicher Berater Sanders und hat ausgerechnet, dass die Wirtschaft unter dem 74-Jährigen als Präsidenten um 5,3 Prozent wachsen werde – Jahr für Jahr. Zum Vergleich: Das Weiße Haus geht derzeit nur von einem Wachstum von 2,1 Prozent pro Jahr über die nächsten zehn Jahre aus.

Arbeitslosenquote soll dank Sanders Programm sinken

Gleichzeitig soll dank Sanders Programm die Arbeitslosenquote auf 3,8 Prozent sinken – das wäre der tiefste Stand seit 1969 und die Produktivität jährlich um 3,2 Prozent wachsen.

„Jede Milliarde, die wir in den öffentlichen Nahverkehr investieren, schafft 30.000 Jobs, entlastet jeden einzelnen Pendler um Tausende US-Dollar pro Jahr – und reduziert dramatisch unsere CO2-Emissionen.“ (Bernie Sanders)

Hillary Clinton glaubt Sanders – naturgemäß – kein Wort. Und selbst eher linke Ökonomen verdrehen angesichts der Rechnungen des Linksaußenkandidaten und seines Beraters die Augen.

Vier prominenten Wirtschaftswissenschaftler, Alan Krueger, Austan Goolsbee, Christina Romer, Laura D’Andrea Tyson, die allesamt US-Präsident Barack Obama berieten, halten die Zahlen für „nicht haltbar“.

Trump „jämmerlich unvorbereitet“ für Präsidentschaft
„Hillary Clinton will Amerikas Angela Merkel werden, und ihr wisst, was für eine Katastrophe diese massive Einwanderung für Deutschland und die Menschen Deutschlands ist“, sagte Trump Mitte August in einer außenpolitischen Rede in Youngstown (Ohio). „Die Kriminalität ist auf ein Niveau gestiegen, das niemand geglaubt hat, je zu sehen.“ Die USA hätten genug Probleme, ohne sich durch die ungezügelte Aufnahme syrischer Flüchtlinge weitere aufzubürden. Quelle: AP
„Jämmerlich unvorbereitet“, um die USA als Präsident führen zu können, ist Donald Trump nach Aussagen von US-Präsident Barack Obama. Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus forderte Obama die Republikaner am Dienstag auf, Trump nicht mehr zu unterstützen. Dabei gehe es um mehr als unterschiedliche Ansichten politischer Natur, sagte Obama. Trotz des wachsenden Unmuts gegenüber Trump hat bisher kein Republikaner ihm seine Unterstützung entzogen. Obama sagte, republikanische Politiker hätten wiederholt feststellen müssen, dass Äußerungen Trumps inakzeptabel seien. „Warum unterstützen Sie ihn dann noch?“, fragte Obama. Quelle: dpa
„Belgien ist eine wunderschöne Stadt und ein herrlicher Ort - großartige Gebäude“, sagte Donald Trump in einer Rede und zeigte, wie es um seine geographischen Kenntnissen bestellt ist. „Ich war mal dort, vor vielen, vielen Jahren. Vor ein paar Monaten habe ich dann ein Statement abgegeben, nach dem Motto, Belgien ist ein elendes Loch. Dafür wurde ich dann schwer kritisiert, man hat gesagt, was für eine böse Sache - und dann hatten sie in Belgien dieses massive Problem.“ Quelle: dpa
US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat die Washington Post von künftigen Wahlkampfauftritten ausgeschlossen: Auf Facebook bezeichnete er das Blatt als "unehrlich und verlogen". Die Washington Post hatte erst kürzlich kritisch über den Milliardär berichtet. In den Augen von Trump sei die Berichterstattung "unglaublich fehlerhaft", deshalb habe er der Zeitung die Akkreditierung für seine Wahlkampfveranstaltungen entzogen.Der umstrittene republikanische Präsidentschaftsbewerber Trump ist ein Quereinsteiger und hat noch nie ein politisches Amt bekleidet. Im Wahlkampf macht er immer wieder mit skurrilen Aussprüchen auf sich aufmerksam. Quelle: AP
Donald Trump Quelle: REUTERS
Donald Trump Quelle: dpa
Trumps Knaller nach dem Sieg in den Vorwahlen von Nevada: „Wir haben bei den Evangelikalen gewonnen. Wir haben bei den Jungen gewonnen, wir haben bei den Alten gewonnen. Wir haben bei den gut Gebildeten gewonnen, wir haben bei den schlecht Gebildeten gewonnen. Ich liebe die schlecht Gebildeten.“ Quelle: REUTERS

So sehr sich die vier die positiven wirtschaftlichen Aussichten wünschen würden, gäbe es keinerlei seriöse Grundlage für die Sanders-Berechnungen. Ihr Urteil fällt dementsprechend harsch aus: “Solche Wahlversprechen zu machen, verstößt gegen die Tradition unserer Partei.“ Die Demokraten stünden für eine Wirtschaftspolitik die nachweisbar und vernünftig sei. Sanders „untergrabe den Ruf“.

„Die Dänen zahlen sehr hohe Steuern. Dafür aber haben sie eine Lebensqualität, die für viele US-Amerikaner kaum vorstellbar ist. (…) In Finnland sind 80 Prozent aller Arbeiter in einer Gewerkschaft organisiert. Sie haben mindestens 30 Tage bezahlten Urlaub – und die Schere zwischen Arm und Reich ist deutlich weniger auseinander gegangen als in den USA.“ (Bernie Sanders)

Verschiedene Berechnungen beziffern die Kosten von Sanders Programm auf 18 Billionen US-Dollar über die nächsten zehn Jahre. Die öffentliche Hand müsste zwischen 30 und 40 Prozent mehr Geld pro Jahr ausgeben, um alle Vorhaben zu finanzieren. Und dass, wo die USA ohnehin schon mit mehr als 100 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung verschuldet sind.

Dass sich diese Kosten gegenfinanzieren lassen, indem etwa neues Wachstum generiert werden, glaubt die Unternehmerseite nicht. Geschäftsführer und Verbandsbosse, mit denen die WirtschaftsWoche gesprochen hat, befürchten im Gegenteil, dass der 74-Jährige das Wirtschaftswachstum der USA gefährde.

Die ersten US-Bundesstaaten haben gewählt, doch entschieden ist noch längst nichts. Finden Sie hier die bisherigen Ergebnisse - und eine Übersicht, welcher Bundesstaat wann wählt.

Insbesondere in den volatilen Zeiten, die derzeit herrschten, seien dessen Ankündigungen „Gift für die Konjunktur“. Offiziell äußert man sich nicht gerne über Politik, will lieber über die Stärke der eigenen Unternehmen sprechen. Trotz des starken US-Dollars, der schwachen Nachfrage aus den Schwellenländern und der Volatilität an den Märkten wachse die US-Wirtschaft und verharre die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent. „Das dürfen wir nicht gefährden“, so ein Geschäftsführer aus der Industrieproduktion.

Die Politik sende mit ihren Negativ-Meldungen, wonach die Wirtschaft schwach sei und dringend Änderungen bedürfe, die falschen Signale. Die Unternehmen fürchten, dass solche Warnungen die Konsumlaune der US-Bürger einschränken könnten. Dabei sind es die heimischen Verbraucher, die mit ihrer Shoppinglust die Konjunktur am Laufen halten. Über einzelne Verfehlungen in der Wirtschaftswelt könne man gerne sprechen – aber die Wirtschaft unter Generalverdacht zu stellen, „helfe nicht weiter“.

„Was die Wall Street und die Kreditkartenunternehmen tun, unterscheidet sich kaum von dem Treiben der Kredithaie. Zwar kommen die Banker im Anzug daher und verzichten darauf, die Kniescheiben von säumigen Zahlern zu zertrümmern. Aber sie zerstören genauso das Leben der Kunden wie Kredithaie. (…) Citigroup, Bank of America, and JP Morgan Chase sollte es nicht gestattet sein, Dispozinsen von 25 bis 30 Prozent zu erheben.“ (Bernie Sanders)


Das stört die Unternehmen an Sanders

Zwei Punkte stören die Unternehmen und Wirtschaftsverbände besonders: Zum einen ist da der hohe Mindestlohn, den Sanders flächendeckend einführen will. 15 US-Dollar. Im reichen Seattle ist dieser Satz zwar längst Realität, auf dem Land aber werden zum Teil nur die gesetzlich vorgeschrieben 7,25 US-Dollar gezahlt.

Wer wählt wann - und um wie viele Delegiertenstimmen geht es jeweils? Finden Sie hier die Antworten.

„Übertriebene Forderungen schaden den Arbeitern“, sagt Caroll Neubauer. Vorstandsmitglied des Medizintechnikherstellers B. Braun Melsungen und Präsident der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer. Zu hohe Einstiegshürden könnten Einstellungen verhindern. „Der Markt kann am besten die Preise regeln“, sagt Neubauer und weist daraufhin, dass bereits 29 der 50 US-Bundesstaaten einen höheren Mindestlohn als die festgeschriebenen 7,25 US-Dollar zahlen.

„Der Lohn orientiert sich am Angebot und an den Lebenskosten vor Ort – so sollte es bleiben.“ (Bernie Sanders)

Hinzu kommt: Der Arbeitsmarkt ist nahezu leergefegt. Arbeitgeber klagen lautstark über Probleme, Stellen zu besetzen. Sie haben längst die Initiative ergreift, bilden aus – und zahlen überdurchschnittliche Löhne, um die Mitarbeiter zu halten. Ergo: Wer höhere Löhne will, sollte die Ausbildung der US-Bürger forcieren, sollte über ein System der dualen Ausbildung nachdenken und seine Landleute fit für die Globalisierung machen. Ist das der Fall, passen sich die Löhne automatisch an.

Der zweite große Kritikpunkt: Sanders Ablehnung des Freihandels.

„Wir müssen die desaströsen Freihandelsabkommen mit China, Mexiko und anderen Niedriglohnländern beenden. Wir müssen dafür kämpfen, dass US-Produkte exportiert werden, nicht US-Jobs.“ (Bernie Sanders)

Diese Botschaft kommt an. In den USA sind die Zweifel an den Freihandelsabkommen ähnlich stark ausgeprägt wie in Deutschland. Während TTIP in Europa heiß diskutiert wird, ist in den USA eher das Freihandelsabkommen TPP, welches die USA mit einer Reihe von Pazifikstaaten geschlossen haben, im Fokus der Kritik. Demokraten wie Republikaner schüren die Angst vor Jobverlusten in den Vereinigten Staaten.

„Der Ruf der USA als Freihandels-Champion steht auf dem Spiel“, bilanziert Jacob Kirkegaard, Ökonom vom Peterson-Institute in Washington, D.C. Das Land habe dem Freihandel seinen Wohlstand zu verdanken. Doch Trump, Sanders & Co. wollen davon nichts mehr wissen, suchen das Heil fälschlicherweise in Protektionismus.

„Es ist schon fast zynisch, dass die Hoffnungen der Unternehmer nun auf Hillary Clinton ruhen, die den Gewerkschaften nahesteht und seit jeher eine wenig marktliberale Haltung an den Tag legt“, sagt Kirkegaard. Im Vergleich zu Sanders aber sei Clinton bei Weitem „das kleinere Übel“.

Bernie Sanders lässt sich von der Fundamentalkritik an ihm und seinen Politikansätzen nicht beirren. Er hält seine Kritiker wahlweise für Anhänger des Großkapitals oder der Clintons. Und damit für nicht objektiv. Er werde weiter für die „Mehrheit der US-Amerikaner“ und seine Revolution kämpfen, verspricht er. Am „Super Tuesday“ muss sich beweisen, wie stark diese Revolution tatsächlich ist.


„Die US-Amerikaner wünschen sich keinen Präsidenten, der zwangsläufig jeden Kampf gewinnt. Aber sie wollen einen Präsidenten, der für sie aufsteht und für die Werte kämpft, für die er steht.” (Bernie Sanders)

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