Besuch bei Merkel Poroschenko bringt ukrainische Wirtschaftsprobleme nach Berlin

Die Bundeskanzlerin gilt als Unterstützerin der Ukraine. Beim Besuch des Präsidenten aus Kiew wird sie sich wirtschaftliche Bitten anhören müssen.

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Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko trifft bei seinem Deutschland-Besuch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas. Quelle: dpa

Kiew Das Bayer-Kreuz dreht sich an der Autobahn vom Kiewer Vorort-Flughafen in die Hauptstadt. BASF hat gleich im Flughafen überdimensionale Werbeplakate aufgehängt. An der Ausfallstraße hat ein großer BMW-Händler mit dem Namen „Bavaria“ seine Pforten geöffnet.

Die Ukraine ist beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nur noch vor Moldawien das ärmste Land Europas. Doch es gibt auch viele reiche Menschen, denn die Schattenwirtschaft blüht. Und das Interesse der deutschen Chemiekonzerne am Land rührt daher, dass der größte Flächenstaat Europas einen riesigen Agrarsektor mit enormen Wachstumsperspektiven hat.

Doch wenn der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Vormittag Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas trifft, bringt er vor allem Probleme mit. Neben den politischen – wie dem Krieg im Osten des Landes mit Russlands Separatisten-Einheiten – eben auch viele wirtschaftliche.

Zwar ist die Wirtschaft der Ukraine trotz der anhaltenden Kampfhandlungen im Donbass um 2,2 Prozent gewachsen – und damit stärker als beim Nachbarn Russland. Dessen Handelsblockade hat die Ukraine 0,9 Prozent Wirtschaftswachstum gekostet, die Kriegsfolgen addieren sich noch stärker hinzu. Im laufenden Jahr kann die Ukraine mit weiter anziehendem Wirtschaftswachstum rechnen. Doch ausländische Investoren wie die EU und die USA beklagen schleppende Reformen.

Präsident Poroschenko weist das zurück: „Wir haben grundlegende Reformen umgesetzt“, sagt der 52-Jährige im Handelsblatt-Interview in seinem Kiewer Präsidentenpalast und zählt die Sektoren auf, in denen seiner Meinung nach Entscheidendes geschah: Justiz, Bankwesen, Gesundheit, Bildung, Privatisierung, Vergabe von Staatsaufträgen, in der Armee, im Energiesektor. „Das waren alles sehr unpopuläre, aber nötige Schritte“, unterstreicht der vom Unternehmer zum Staatschef Gewandelte.

Und er nennt erste greifbare Erfolge: Bei der gerade erfolgten Versteigerung der G4-Mobilfunklizenzen seien 250 statt der erwarteten umgerechnet 156 Millionen Euro erlöst worden.

Aber er sei als Präsident ohnehin befangen, was sein Land angehe. „Das Wichtigste ist die Meinung der Investoren, und da sind viele bedeutende Firmen in die Ukraine gekommen oder zurückgekehrt“, sagt Poroschenko und zählt auf: Der amerikanische Elektrokonzern GE, die Fluglinie Ryanair, die US-Atomfirmen Halltech und Westinghouse, Möbelriese Ikea, der japanische Autozulieferer Fujikura.

Und Poroschenko fasst stolz zusammen: „Heute wird kaum noch ein deutsches Auto ohne Zulieferungen von Kabeln oder Sitzbezügen aus der Ukraine gebaut. Wir sind inzwischen Teil des deutschen Kfz-Fließbands, das waren wir vor drei Jahren noch nicht.“

Tatsächlich sind von dem deutschen Kabelbaumproduzenten Leoni und anderen deutschen Kfz-Zulieferern und immer mehr internationalen Rivalen zehntausende Arbeitsplätze vor allem im Westen der Ukraine geschaffen worden. Vor allem die niedrigen Löhne locken Produzenten mit hohen Lohnkostenanteilen.
Doch die Ukraine hat weiter große Sorgen. So fallen durch den von Russland geplanten Bau einer zweiten Ostseepipeline nach Inbetriebnahme mehrere Milliarden Dollar Transitgebühren weg.

Mit markigen Worten will Poroschenko im Handelsblatt-Interview vor seiner Abreise nach Berlin deutsche Politiker und Unternehmen drängen, die Finger von der weiteren Ostseeleitung zu lassen: „Nordstream-2 ist das politische Bestechungsgeld für die Loyalität zu Russland, eine Wirtschafts- und Energieblockade gegen die Ukraine zu verhängen und meinem Land massiv zu schaden. Das Projekt hat keine ökonomisch gerechtfertigte Grundlage.“

Poroschenko begründet dies mit den zehn Milliarden Dollar Baukosten, die Nordstream-2 verschlinge, „und die am Ende ja auch jemand bezahlen muss“. Viel billiger sei es, die bestehende, durch die Ukraine führende Transitpipeline zu erweitern. Generell warnt der ukrainische Staatschef vor einem zu engen Verhältnis zum Kremlkonzern Gazprom: „Russland ist ein außerordentlich unzuverlässiger Partner - auch im Energiesektor.“

Er begründet das mit einem Vorfall, der tatsächlich auch westliche Gazprom-Partner die Augenbrauen runzeln ließ: Nachdem Anfang März die Ukraine in einer Klage gegen Russland vor dem Schiedsgericht in Stockholm gewonnen hat, weigerte sich Gazprom, die dort der Ukraine zugesprochenen 4,6 Milliarden Dollar zu überweisen. „Und wir bekommen auch kein Gas mehr trotz Vorkasse. Das ist eine Zeitbombe für Gazprom“, sagt Poroschenko. Denn: „Das wirft aber bei europäischen Versorgern die Frage auf, ob Gazprom im Streitfall mit ihnen auch so umgeht.“

Tatsächlich haben die meisten europäischen Versorger in ihren Gazprom-Lieferverträgen eine ähnliche Schiedsgerichtsklausel wie der ukrainische Gasversorger Naftogaz Ukrainy.


Ökonomen mahnen dringend Reformen an

Der „Gaskrieg“ mit Moskau ist nicht die einzige Sorge, die Ökonomen in Kiew umtreibt. „Das wichtigste ist, dass die Ukraine durch schnelle Umsetzung der allerwichtigsten Reformen ihr Image verbessert“, mahnt der slowakische Ex-Premier Ivan Miklos, der wichtigste Wirtschaftsberater des ukrainischen Premierministers. Dann kämen deutlich mehr Auslandsinvestoren als derzeit.

Solche Schritte fordert auch die Deutsche Beratergruppe Ukraine, die aus Experten von Berlin Economics besteht und im Auftrag der Bundesregierung die Ukraine wirtschaftlich mit Expertise zur Seite stehen soll.

Die wirtschaftlichen Indikatoren sind nach Berechnungen der Berliner „relativ gut“. Die fiskalische Konsolidierung trage erste Früchte und habe eine Trendwende bei der Staatsverschuldung eingeleitet: So ging der Schuldenstand von über 80% des BIP auf 73% zurück. „Diese Entwicklungen werden sich in diesem Jahr aller Voraussicht nach fortsetzen; das reale BIP-Wachstum wird dabei auf 3,2% noch etwas zulegen“, sind die deutschen Experten optimistisch. „Die Defizite in der Leistungsbilanz und im Haushalt bleiben moderat und der Schuldenstand wird weiter absinken.“

Dennoch sollte Kiew jetzt das Reformtempo deutlich erhöhen und vor allem den vom Westen geforderten Anti-Korruptions-Gerichtshof etablieren. Nur so sei es möglich, das Hilfs-Kreditprogramm des Internationalen Währungsfonds zur Auszahlung an die Ukraine zu bringen. „Das sollte kurzfristig das wichtigste Ziel der Entscheidungsträger“, mahnen die Berliner.

Über zehn Milliarden Dollar Schuldendienst müssen in den Jahren 2018-19 allein für staatliche bzw. staatsnahe Verbindlichkeiten aufwendet werden – „eine gewaltige Herausforderung im Hinblick auf das Doppelwahljahr 2019“. Dann sollen Präsident und Werchowna Rada – das Parlament des Landes – neu gewählt werden. Aber wer macht schon schmerzhafte Reformen vor Wahlen?

Zwar verspricht Poroschenko, harte Anstrengungen und sieht bereits Erfolge: „Im Doing Business-Ranking der Weltbank ist die Ukraine unter allen Ländern von Platz 137 vor meiner Wahl 2013 auf Rang 76 voriges Jahr. So stark ist kein anderes Land aufgerückt. Und wir tun alles, um unter die ersten 50 zu kommen.“

Doch die Chefökonomin der Kiewer Investmentbank Dragon Capital, Elena Belan, sieht ein riesiges Problem: „Investoren gehen dahin, wo es sicher ist.“ Und das, gibt selbst Poroschenko zu, ist bisher kaum der Fall: „Russland betreibt gegen die Ukraine ja nicht nur eine militärische Aggression, es führt einen hybriden Krieg.“

Neben einer Militärintervention und Cyberattacken versuche Moskau gezielt, „durch gezielte Fehlinformationen Chaos zu stiften“. Das gelinge aber nicht. Er habe aber ganz bewusst keinen Ausnahmezustand verhängt, „um Demokratie und Meinungsfreiheit nicht einzuschränken, denn ich vertraue den Ukrainern. Und sie rechtfertigen dieses Vertrauen immer wieder.“

Doch Russland führe auch „einen Wirtschaftskrieg gegen mein Land“, betont Poroschenko. Die Wirtschaftsblockade hat bereits vor der Krim-Annexion begonnen. 2013 machte der ukrainische Warenaustausch mit Russland ein Drittel aus, 2017 waren es nach Angaben des Staatschefs noch zehn Prozent.

„Wir haben zwei Drittel unseres Handels mit Russland verloren und bekommen kein Gas mehr, obwohl wir Vorkasse geleistet haben“, klagt Poroschenko. Einziges Glück im Unglück: Die Ukraine bezieht ihre Gasimporte heute aus der EU – und zu günstigeren Preisen als von Gazprom.

Den Ärger mit Russland spürt Poroschenko auch ganz persönlich. „Meine Konfektfabrik im russischen Lipezk wurde von Herrn Putin konfisziert, ihre Verkäufe blockiert“, sagt der ukrainische Staatschef im Interview und fügt hinzu: „Aber um zu zeigen, dass ich durch keinerlei merkantile Interessen erpressbar bin, haben wir die Fabrik geschlossen und die Mitarbeiter entlassen. Die Verantwortung dafür trägt der russische Präsident.“

Poroschenko gilt als mehrfacher Milliardär, denn er ist der Zuckerkönig der Ukraine: Sein Süßwarenkonzern Roshen – zu dem auch die Fabrik in Lipezk gehörte – verkauft Torten, Bonbons, Konfekt und Schokolade weit über die Ukraine hinaus. Daneben besitzt Poroschenko noch Industriefirmen und den TV-Sender „5. Kanal“. Deshalb gilt er als Oligarch.

Seinem Volk hatte er versprochen, gleich nach Amtsantritt im Juni 2014 sein Firmenimperium zu verkaufen. Das sei aber nicht gelungen, „da sich dafür kein Käufer findet, weil einige meiner Firmen durch Herrn Putin blockiert sind.“ Immerhin sei er „der erste Politiker in Osteuropa, der die Verwaltung seines Vermögens öffentlich an einen externen Verwalter übergeben hat ­ an die renommierte Rothschild Bank“, berichtet Poroschenko. „Schon seit drei Jahren mische ich mich da in keiner Weise in die Geschäftsführung mehr ein.“

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