Besuch in Frankreich Schulz glaubt nach Treffen mit Macron an seine Chance

Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD, will wie Frankreichs junger Präsident einen Wahlkampf zu Europa führen: für ein solidarisches Europa als Friedensmacht. Drei Punkte sind ihm dabei besonders wichtig.

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Der Kanzlerkandidat und SPD-Vorsitzende Martin Schulz (rechts) hat im Elysee-Palast in Paris den französischen Präsidenten Emmanuel Macron getroffen. Quelle: dpa

Paris Martin Schulz hat am Donnerstag in Paris einen alten Bekannten wiedergetroffen: Emmanuel Macron. Den heutigen französischen Staatspräsidenten hat er 2011 kennengelernt, als der zum Wahlkampfteam von François Hollande gehörte.

"Die Übereinstimmung zwischen ihm und mir ist immens, vor allem bei den Reformen für die Eurozone", sagte der SPD-Kanzlerkandidat nach seinem Treffen mit Macron. Die beiden sprachen im Elysée-Palast anderthalb Stunden lang, erst mit ihren Mitarbeitern und dann unter vier Augen. Schulz spricht fließend Französisch.

Macron hatte in den vergangenen Jahren mehrfach versucht, mit dem damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel die Eurozone zu stärken, konnte sich aber nicht durchsetzen. Nun sitzt er selber am Schalthebel - und hofft nach der Bundestagswahl auf mehr Beweglichkeit in Deutschland.

Fragen nach Merkels Wahlprogramm

Auch der deutsche Wahlkampf sei ein Thema gewesen, sagte der Schulz im Anschluss an das Gespräch. Macron habe sich nach Angela Merkels und seiner Strategie erkundigt. "Zu Merkels Vorstellungen konnte ich nichts sagen, weil ich die nicht kenne", sagte Schulz mit beißender Ironie.

Die Kanzlerin sage, sie habe Großes vor in Europa, wolle aber erst nach dem Wahlkampf sagen, was: "Das verwundert mich schon, ich trage meine Vorstellungen vorher vor, damit die Wähler entscheiden können", sagte der SPD-Chef.

Aus dem Gespräch mit Macron und nach Beobachtung von dessen Wahlkampf hat Schulz die Einschätzung gewonnen, dass der erst 39-Jährige die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hat, weil er Europa ins Zentrum gerückt hat. Offenbar will Schulz nun ähnlich vorgehen. Gerade in dem Wählerspektrum, das für die SPD ansprechbar sei, nehme die Überzeugung zu, dass die Weiterentwicklung Europas gut sei.

Drei Dinge will Schulz im Hinblick auf Europa deutlich machen. Der erste Punkt betrifft mehr Investitionen der Eurozone und den Kampf gegen Steuerverlagerung ins Ausland, die zu einer höheren Belastung der kleinen Leute führe. Der zweite betrifft die Flüchtlingsfrage. Schulz will "kein Europa der Rosinenpickerei mehr". Als Kanzler werde er nicht bereit sein, "die EU-Staaten zu unterstützen, die wie Polen und Ungarn von der europäischen Solidarität profitieren, aber jede Art von Kooperation bei den Flüchtlingen verweigern."

Italien hat wegen des massiven Ansturms von Flüchtlingen aus Libyen und Tunesien einen Hilferuf gestartet, der bislang aber nicht beantwortet wurde. Deshalb ist nicht mehr auszuschließen, dass die Italiener einen Teil der Migranten nach Norden ziehen lassen - was mitten im deutschen Wahlkampf wie ein Treibsatz zugunsten der AfD wirken könnte. Schulz will bei der neuen europäischen Finanzplanung ein Veto einlegen, "wenn Europa weiter als Einbahnstraße funktionieren soll, statt solidarisch zu handeln."

"Europa als Friedensmacht" ist für Schulz das dritte wichtige Anliegen. Er will zwar die Verteidigungsausgaben stärken, um die Bundeswehr für Einsätze fit zu machen. Doch eine Aufstockung des Etats auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung hält er für unsinnig. Stattdessen solle es mehr gemeinsame europäische Kapazitäten geben, verbunden mit Abrüstungsinitiativen. Eine Aufrüstung gegen Russland hält der Kandidat für verfehlt.

Die Visite in Paris ist Schulz' wichtigster Wahlkampftermin außerhalb von Deutschland. In der kommenden Woche fliegt er nach Rom.


"Engagieren Sie sich!"

Am Nachmittag hatte der SPD-Chef an der französischen Elite-Universität Sciences Po mit Studentinnen und Studenten diskutiert. Dabei hatte er Anlass, herzlich zu lachen: "Sie waren so wichtig in Europa, jetzt sind Sie in die nationale Politik gegangen, ist das nicht ein Downgrading?" fragte ihn ein Student. "Das werde ich gerne der Angela Merkel sagen, dass ihr Job ein Downgrading ist", freute sich der Kandidat.

In seiner Rede zur Europapolitik an der Elite-Uni sprach Schulz seinen Vorschlag eines "Investitionsbudgets" für die Eurozone an. Ausdrücklich positiv bezog er sich auf den Vorschlag von Klaus Regling, Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), dessen Mittel für die Stützung von Staaten zu verwenden und den ESM zu einem europäischen Währungsfonds auszubauen. Regling hatte das vergangene Woche im Handelsblatt-Interview angeregt, Schulz sagte, das habe er bereits vor Jahren vorgeschlagen.

Angst vor dem Verlust der nationalen Identität will der Kandidat in vielen EU-Staaten gespürt haben. Deshalb solle Europa nicht mehr von einem föderalen Staat oder einer Schwächung der Nationalstaaten sprechen, sondern von einer "politischen Union der Demokratien Europas." Das sei "die Formel, die die Leute überzeugen wird", war sich Schulz sicher.

Am Ende wurde er emphatisch, erinnerte daran, dass seine "Mutter mit meinem gerade geborenen Bruder in den Keller geflüchtet ist vor den Bombardements im Zweiten Weltkrieg". Europa sei damals "ein bisschen so gewesen wie Syrien heute". Die EU sei das beste Instrument dafür, sich für die Zusammenarbeit in Europa zu engagieren.

"Es liegt an Ihnen, diese Wahl zu treffen, ich appelliere an Sie: Bleiben Sie nicht tatenlos, nicht stumm", forderte Schulz. "Alle zusammen, über Grenzen hinweg, können eine Bewegung schaffen, die niemand aufhält: Engagieren Sie sich!"

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