Bettina Röhl direkt

Die kopflose Ägyptenpolitik des Westens

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Das liebe böse Militär

Und dann kam der erste demokratisch gewählte Präsident Mursi und hatte nach dem Sturz Mubaraks nichts Besseres zu tun, als das Rad der Geschichte wieder zurück zu drehen und eine Islamisierung in Gang zu setzen, die dem Mursi-Regime in den westlichen Medien das Attribut "islamistisch" einbrachte.

Der Westen und hier vor allem die USA betrachteten diese Entwicklung hin zum Islamismus, um auf die Schizophrenie zurück zu kommen, mit unsympathischen Gefühlen, tun aber trotzdem so als sei Mursi irgendeine Inkarnation der Demokratie. Und nun haben sich die westliche Politik, aber auch die westlichen Medien in die erbärmliche Rolle gebracht, dass jetzt allgemein nur noch mit dem wirkungslosen Instrument gedroht wird: Liebes böses Militär, liebe neue Regierung in Ägypten, wir schätzen die Muslimbrüder als böse ein, aber euch Militärs mindestens genauso böse, also tut irgendwie was. Deeskaliert, einigt euch mit dem Muslimbrüdern und tut so, als wenn es die real existierenden Probleme in Ägypten gar nicht gibt. So ungefähr könnte man zusammenfassen, was augenblicklich westliche Ägyptenpolitik ist.

Die westlichen Gesellschaften

Und dann mischt auch noch der islamistisch orientierte und Mursi-Intimus Erdoğan in der Außenpolitik mit. Erdoğan schimpft scharf und hemmungslos auf den Westen (jetzt aktuell auch auf deren Ägyptenpolitik, nämlich, dass der Westen Mursi nicht an der Macht hielte), dem er sich allerdings die Türkei gleichzeitig als neues Mitglied der EU aufdrängt. Die westlich orientierten Kräfte in der Türkei, die jüngst den Aufstand gegen Erdoğan wagten, hat der Westen letzten Endes wieder fallen lassen. Und dies unter anderem, weil man auf den Nato-Partner Erdoğan angewiesen wäre, was nur noch ein großer Unsinn ist.

In Ägypten wird sichtbar, was sich auch ohne Beispiel jedem Betrachter erschließt, dass der Westen der Lage im Nahen Osten und in der weiteren Region nicht gewachsen ist.

Es sind aber nicht die westlichen Regierungen allein, die versagen. Es sind wesentliche Teile der westlichen Gesellschaften, die die Regierungen zum Versagen treiben. Dies lehrte auch die Erfahrung des Vietnamkrieges. Den Teilnehmern der jahrelangen und fanatischen westlichen Massenproteste Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre gegen den Vietnamkrieg, gingen die US-Regierung und die US-Armee, die in Vietnam gegen das Vorrücken einer kommunistische Diktatur kämpften, total auf den Geist, um es zu milde auszudrücken. Stattdessen unterhielten sie beste und geradezu liebevolle Verhältnisse zu den kommunistischen Diktatoren in Vietnam, die sie, unwissend und verblendet, als Volksbefreiungshelden auf ihre Fahnen schrieben. Sie verausgabten sich im Ho-Chi-Minh-Gebrüll und heute weiß jeder, was damals auch schon jedem offensichtlich war, dass dieser Ho Tschi Minh seinerseits ein brutaler Massenmörder war, ideologisch unterstützt von einem noch größeren Massenmörder namens Mao Zedong, um ein weiteres Idol der Westlinken zu nennen, die immer ihre eigenen demokratisch legitimierten Regierungen als das schlimmste Übel der Welt wahrnehmen können und wollen.

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