Und auch dies ist wahr: In Zeiten, in denen Assad seine Diktatur noch uneingeschränkt administrierte, war es eine nahe 100 %-Mehrheit der Syrer zufrieden. Niemand flüchtete, niemand wollte weg und die Zahl getöteter oder geschundener Menschen, die auf das Assadregime zurückgingen, war verschwindend gering im Verhältnis zu den Zahlen der ermordeten und getöteten Menschen seit der "arabische Frühling" auf Syrien übergriff. In allen westlichen Hauptstädten gab es eine kindische Fixierung auf die wenigen westlich orientierten Umsturzkräfte in Tunesien, Ägypten, Libyen bis nach Syrien. Fehleinschätzungen über Fehleinschätzungen, die vorhersehbar waren und die auch vorhergesehen wurden. So auch von der Autorin selber.
Erdogan ist kein sinnvoller Partner für den Westen
Die Fixierung auf syrische Widerstandskämpfer, die komplett undifferenziert betrachtet und unterstützt wurden, verkleisterte den Blick dafür, dass die Zahl der Demokraten im westlichen Sinn, die zur Waffe zu greifen bereit waren, von Anfang an so klein war, dass sie kaum mit der Lupe zu finden war. Und der letzte gravierende Fehler Obamas, wie auch seiner westlichen Partnerregierungen liegt in der von ihm als mächtigsten Mann des Bündnisses ausgehenden Fixiertheit auf Erdogan als Dreh-und Angelpunkt vor Ort.
Man muss es sportlich anerkennen, wie es Erdogan im Prinzip, seitdem er die politische Bühne in der Türkei betrat, aber erst recht seit er die türkische Politik mehr oder weniger alleine bestimmt, ob in der Rolle des Ministerpräsidenten oder in der Rolle des Staatspräsidenten, das macht für Erdogan keinen Unterschied, die westlichen Staatslenker am Nasenring führt. Es ist schon gespenstisch wie Erdogan die Nato und analog die EU für seine politischen Ambitionen gebraucht und gleichzeitig in essentiellen Punkten brüskiert.
Kämpfe um eine syrische Grenzstadt - Warum Kobane so wichtig ist
Die syrischen Kurden haben den Bürgerkrieg im Land zum Aufbau eigener regionaler Machtstrukturen in den mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten genutzt. Nachdem sich die Truppen des Regimes von Baschar al-Assad 2012 zurückgezogen hatten, übernahmen sie die Kontrolle und gründeten später im Norden des Landes drei „autonome Kantone“. An der türkischen Grenze kontrollierten sie wichtige Enklaven: im Nordwesten um die Stadt Afrin, im Nordosten um die Städte Hasaka und Al-Kamischli sowie im Norden um Kobane. Eine Übernahme Kobanes durch die Terrormiliz IS wäre nicht nur der Verlust einer strategisch wichtigen Versorgungsroute, sondern auch psychologisch eine schwere Niederlage.
Die etwa 5000 Milizionäre gehören vor allem den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) an. Sie sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Volksschutzeinheiten und PYD stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die in der Türkei verboten ist. Im Kampf gegen den IS werden offenbar auch Selbstmordattentäter eingesetzt: Kurdische Aktivisten meldeten am Wochenende, dass eine Kämpferin mit einem Selbstmordanschlag Dutzende Extremisten getötet habe. Experten gehen davon aus, dass PKK-Kämpfer die syrischen Kurden unterstützen. Die kurdischen Milizionäre in Syrien sind nicht zu verwechseln mit den kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die im Irak gegen den IS im Einsatz sind.
Nach kurdischen Angaben ist die überwiegende Mehrheit der verbliebenen Zivilisten an die türkischen Grenze in Sicherheit gebracht worden. Kobane wurde von den Volksschutzeinheiten zur „Militärzone“ erklärt. Laut türkischer Regierung sind mehr als 185 000 Menschen in die Türkei geflohen.
Die türkische Regierung hat den Kurden in Kobane Unterstützung zugesagt, zugleich aber klargemacht, dass sie damit in unmittelbarer Zukunft keinen Einsatz von Bodentruppen meint. Zwar hat das Parlament der Regierung ein Mandat für Militäreinsätze in Syrien und im Irak für ein Jahr erteilt. Allerdings verlangt Ankara für einen Einsatz von Bodentruppen eine umfassende internationale Strategie, die auch den Sturz des Assad-Regimes in Damaskus beinhaltet. Zugleich befürchtet Ankara, dass die Kurden an der türkischen Südgrenze die Keimzelle für einen eigenen Kurden-Staat legen könnten, sollte es ihnen gelingen, die Terrormiliz IS zurückzuschlagen.
Die IS-Kämpfer passen sich schnell und geschickt an die Luftschläge an. Sie verlassen Ziele, die von den USA ins Visier genommen werden und bringen Waffen und Geiseln an neue Stützpunkte. Zudem mischen sich die Kämpfer unter die Zivilbevölkerung und lassen auch viele ihrer schwarzen Flaggen wieder verschwinden. Weil Angriffe auf die IS-Infrastruktur schwieriger werden, hat sich auch das Tempo der Luftschläge verlangsamt, sagt David Schenker vom Washington Institute for Near East Policy. Die US-Regierung hat mehrfach betont, dass der IS nicht allein aus der Luft besiegt werden kann. Dem unabhängigen US-Instituts CSBA zufolge hat der Kampf bereits zwischen 780 und 930 Millionen Dollar (620 bis 740 Millionen Euro) verschlungen.
Erdogan ist in seiner Person ein Ausschlussgrund der Türkei aus der Nato und für ein Abbruchszenario der Beitrittsverhandlungen. Und er wirkt kontraproduktiv im Kampf der Vereinigten Staaten gegen den von Obama ausgemachten Feind namens Isis. Das schöne Ostberliner Kommunistenlied "Sag mir, wo Du stehst?" fällt manch einem ein angesichts der gnadenlosen Politik, mit der Erdogan den Westen aussteigen lässt. Indes muss Erdogan nicht mehr gefragt werden. Durch seine Politik, wie sie aktuell in Kobane zu besichtigen ist, hat Erdogan alle Zweifel ausgeräumt. Er ist kein sinnvoller Vertragspartner für den Westen und er will es nicht einmal sein. Erdogan verfolgt seine regionalen Ziele gegen den Westen und dies sehr zielstrebig. Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy stellte deshalb schon vor einer guten Woche die Mitgliedschaft der Türkei in dem Bündnis infrage. "Das ist die Stunde der Wahrheit für ihre Präsenz in der Nato", sagte er.
Die Kurden und die Erdogan-Doktrin
Es sind keineswegs über tausend Jahre oder auch nur Jahrhunderte gewachsene staatlich gewachsene Strukturen, die dazu geführt haben, dass die Kurden keinen eigenen Staat abbekommen haben. Es ist vielmehr so, dass die Kurden als teils gewichtige und regelmäßig unterdrückte Minderheit gleichzeitig in mehreren Ländern, nämlich im Iran, im Irak, in Syrien und in der Türkei leben. Genau die westlichen Lager, die bei einer solchen Gegebenheit überall auf der Welt solche Bewegungen, wie die der Kurden als große Befreiungsinitiativen gefeiert hätten, die deren Widerstand gegen Unterdrücker und deren Kampf für Einheit und einen eigenen Staat fanatisch unterstützt hätten, überschlagen sich in Ansehung der Kurden und deren Organisationen, wie insbesondere der PKK, diese als Terrororganisationen zu brandmarken und diese Brandmarkung unverrückbar zu perpetuieren. Dazu muss gesagt werden, dass die Grenzziehungen im mittleren Osten vergleichsweise willkürliche und fahrlässige Hinterlassenschaften westlicher Imperialmächte in der Region waren. Es blieb damals für die Kurden eben kein Land übrig, was letzten Endes zu dem anhaltenden kurdischen Aufbegehren geführt hat.