Bettina Röhl direkt Ist Putin der moralische Blitzableiter des Westens?

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Wirtschaftliche Überlegenheit des Westens

Nein, den dritten Weltkrieg, der schon ziemlich locker von vielen Stimmen herbei phantasiert wird, den will man nicht, den wird es wohl nicht geben, aber die Sehnsucht nach früher, die Sehnsucht nach dem guten alten Kalten Krieg mit dem Schauer des atomaren Overkills, als die Welt noch in Ordnung und in Gut und Böse eingeteilt war und als alle anderen real existierenden Probleme noch nicht existierten, ist greifbar zu spüren.

Die Schizophrenie der Geschichte des Kalten Krieges soll hier nicht verschwiegen werden. Es gab die zur Schau gestellte moralische, wirtschaftlich finanzielle Überlegenheit des Westens.

China holt im weltweiten Waffenhandel auf
Ein Panzer bei einer Militär-Parade in Venezuela Quelle: dapd
Menschen hängen eine algerische Flagge auf Quelle: REUTERS
Die deutsche Fregatte "Hessen" Quelle: dpa/dpaweb
 Die griechische Fregatte Salamis und zwei kleinere Marine-Schnellboote Quelle: dpa/dpaweb
Drei F/A-18 Kampfflugzeuge Quelle: REUTERS
Ein Soldat schaut durch das Zielkreuz eines Maschinengwehrs Quelle: dpa/dpaweb
Ein chinesisches U-Boot taucht ab Quelle: dapd

Aber eben dieser Westen des Kalten Krieges wurde viel weniger vom russischen, vom sowjetischen Kommunistenzar, von Stalin bis Breschnew bedroht, als vielmehr von der sogenannten fünften Kolonne in Gestalt der Westlinken, die den Westen und den Kapitalismus als das eigentliche historische Übel ausmachten. Diese Selbstzerstörungskräfte halten den Westen seit über vierzig Jahren im Würgegriff.  Inzwischen haben sie sich gewandelt und jetzt haben die herrschenden Kreise im Westen, die seit langem von der beschriebenen Schizophrenie befallen sind, nämlich den Westen gleichzeitig für das moralische Nonplusultra der historischen Entwicklung zu halten und ihn gleichzeitig für die Quelle allen Übels zu erachten, ein neues Betätigungsfeld gefunden. Endlich ist man sich im Westen einig. Man hat ihn gefunden, den optimalen moralischen Gegner: Wladimir Putin heißt der Mann, auf den man ab sofort mit großem Gewinn für die eigene Person eindreschen sollte und in jedem Fall darf. Sogar wirtschaftliche Sanktionen, auf die sich der Westen in Wahrheit so gut wie nie einigen kann, sind gegen Putins Russland jetzt erste Wahl und dies ganz unabhängig von Sinn und Nutzen und auch ganz unabhängig von der Gefährdung eigener wirtschaftlicher Interessen.

Das Moment des sich moralisch In-die-eigene -Tasche-Heuchelns liegt klar auf der Hand, aber was macht das schon, wenn alle, von Obama bis Merkel, im Gleichtakt mitheucheln. Putins Politik gegen die Ukraine wird an dieser Stelle nicht beschönigt. Aber diese Politik ist hier nicht Gegenstand. An dieser Stelle geht es darum festzustellen, dass der Westen sein systematisches moralisches Versagen in der Weltpolitik nicht dadurch kompensieren kann, dass er sich in einem, verglichen mit anderen Weltkonflikten, glücklicherweise viel milderen Fall mit Namen Ukraine unverhältnismäßig, diametral entgegen gesetzt verhält, wie er es sonst zu tun pflegt. Es wäre sicher eine Katastrophe, wenn Putin von heute auf morgen die politische Bühne verließe. Das Vakuum, das er hinterließe, wäre eine echte unkalkulierbare Gefahr für die Menschen und für den Frieden in der Region.

Auf Putin mit langem Atem moderierend einzuwirken, ist nicht spektakulär, aber der einzige Weg, der historisch Sinn macht. Putin zu verteufeln und ihm persönlich Dinge zuzuschreiben, die weder plausibel noch bewiesen sind oder ihm gar in einem strafrechtlichen Sinn angelastet werden können, macht wenig Sinn. Politik, die auf inzwischen landläufig gewordenen Zuschreibungen basieren, ist kein Zeichen von politischer Kunst, sondern eines von politischer Stümperei. Mit Moral hat derlei ohnehin nichts zu tun. Wenn ein deutsches Leitmedium namens Spiegel aus der sicheren Distanz von 2000 Kilometer Entfernung wütend auftrumpft und titelt "Stoppt Putin jetzt" ist dies ein deutliches Symptom der moralischen Entgleisung, die hinter der neuen Moralpolitik, die gegen einen einzigen Mann administriert wird, steckt.

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