Biden besucht Erdogan Staatsbesuch mit Folgen

Heikle Visite: US-Vizepräsident Joe Biden reist am Mittwoch in die Türkei, um sich mit Präsident Recep Tayyip Erdogan zu treffen. Dabei steht nicht nur die türkisch-amerikanische Freundschaft auf dem Spiel.

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Der amerikanische Vizepräsident bezeichnet Erdogan als „alten Freund“. Quelle: dpa

Washington Die jungen Türken haben sichtlich Spaß. Auf dem Platz vor dem Weißen Haus tanzen sie einen traditionellen Tanz, eine Freundin filmt das Treiben mit dem Smartphone. Amerikanische Touristen mischen sich lachend unter die Truppe mit ihren roten T-Shirts und aufgedruckter Türkei-Flagge. Ein Zeichen unverkrampfter türkisch-amerikanischer Freundschaft?

Wenn US-Vizepräsident Joe Biden am Mittwoch in die Türkei reist und sich dort unter anderem mit Präsident Recep Tayyip Erdogan trifft, ist die Mission deutlich weniger entspannt. Offiziell stehen die USA fest an der Seite ihres geopolitisch so immens wichtigen Nato-Partners. Hinter den Kulissen dürfte es aber hörbar knistern. Der Blick aus Washington in Richtung Ankara ist voller Sorge nicht umsonst macht der alte Polit-Fuchs Biden schon mal im Vorfeld gut Wetter und bezeichnet den neuen starken Mann vom Bosporus als „alten Freund“.

Dass die türkische Regierung die USA zur Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen drängen will, ist nur eines von vielen Problemen - wenn auch das derzeit wohl drängendste. Erdogan macht den in Pennsylvania im Exil lebenden Gülen für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich. Die Begründung des Auslieferungsantrages bezieht sich jedoch nach Darstellung des Weißen Hauses auf Straftaten, die dem 77-Jährigen zur Last gelegt werden und bereits aus der Zeit vor dem Putschversuch stammen.

Die türkische Führung scharrt mit den Hufen, weil ihr die Auslieferung Gülens, den sie nicht nur für den Umsturzversuch, sondern derzeit für alle Übel im Land verantwortlich macht, nicht schnell genug geht. „Sind wir nicht strategische Partner? Liefern wir Verbrecher nicht einander aus?“, erzürnte sich Erdogan jüngst in einer Rede vor Vertretern islamischer Zivilorganisationen.

Wann immer die USA von der Türkei die Auslieferung eines Terroristen verlangt hätten, habe Ankara dem umgehend entsprochen, allein auf der Grundlage des Auslieferungsabkommens. „Wir haben keine Belege verlangt!“ Bereits vor einem Jahr habe er US-Präsident Barack Obama um die Auslieferung Gülens ersucht. Dieses Ersuchen habe er nach dem Putschversuch am 15. Juli erneuert, und weil die USA Unterlagen verlangt hätten, habe man ihnen 85 Pakete mit Akten und Belegen geschickt. Ministerpräsident Binali Yildirim versicherte zugleich, dass es keinesfalls Absicht der Türkei sei, die Beziehungen zu Amerika aufs Spiel zu setzen - „schon gar nicht wegen eines Terroristenchefs“.


Hält die CIA Informationen unter Verschluss?

Allerdings sei er sicher, dass die Verstimmung der 79 Millionen Türken mit den USA solange anhalten werde, wie Gülen in den USA Unterschlupf finde. Das Weiße Haus beeilt sich nicht umsonst mit der Feststellung, weder Obama noch Biden hätten persönliche Möglichkeiten in dem „juristischen Prozess“. Ein Gericht müsse über die Auslieferung entscheiden. Und dies könne dank funktionierender Gewaltenteilung mit all den Berufungsmöglichkeiten Jahre dauern - demokratische Grüße aus Washington.

Der türkische Justizminister Bekir Bozdag äußerte dagegen die feste Überzeugung, dass der US-Geheimdienst CIA über mehr Beweise verfüge, dass Gülen den Putschversuch angeleitet habe, als die Türkei. „Uns zu sagen, dass die CIA, die genau weiß, wie oft Fethullah Gülens Herz in der Minute schlägt, wie oft er durchatmet, die jeden kennt, der bei ihm ein- und ausgeht, ja sogar das Geschlecht jeder Fliege, die nachts um das Anwesen schwirrt, nicht weiß, dass Fethullah Gülen diese Sache gedeichselt hat, bedeutet, sich über den Verstand des türkischen Volkes und der ganzen Welt lustig zu machen.“

Doch langfristig mehr Sorge als Gülen und sein Schicksal bereitet im Weißen Haus derzeit die türkische Politik im undurchsichtigen Nebel zahlreicher Konflikte im Nahen Osten. Die in Ankara neu entdeckte Sympathie für Russlands Präsidenten Wladimir Putin - ein Jahr, nachdem die türkische Luftabwehr einen russischen Kampfjet abgeschossen hatte - stößt den Amerikanern ebenso auf wie die Kurden-Politik Erdogans. Die kurdischen Bodentruppen gehören im Kampf gegen den IS seit Monaten zu den wenigen verlässlichen Komponenten für den Westen im Anti-Terror-Kampf. Für die Türken sind sie Staatsfeinde, ein Kurden-Staat im Norden Syriens wird von der Türkei als „inakzeptabel“ zurückgewiesen.

Auch die Aufarbeitung des Putschversuches ist etwas, was in Washington hinter vorgehaltener Hand als bedenklich erachtet wird. Die Entlassung von Lehrern und Journalisten taugt schwerlich als Vorbild für eine Demokratie westlicher Prägung, wie die USA sie gerne in weiteren Teilen des Nahen Ostens installiert sähen. Schon wird darüber diskutiert, ob die türkische Militärbasis Incirlik noch der richtige Ort ist, wo man US-Atomwaffen lagern sollte. Dass hinsichtlich des Lagerplatzes keine ernsthafte Alternative diskutiert wird, zeigt das Dilemma der Amerikaner mit dem Verbündeten Türkei.

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