Big Data Wahlkampf der Datenmaschinen

Lange ignorierte Trump den Erfolg von Obamas digitalen Kampagnen. Er setzte nur auf Social Media, mit womöglich fatalen Folgen für seine Partei.

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Donald Trump hat die digitale Wahlkampftechnik der Republikaner kaum genutzt. Ein Fehler? Quelle: REUTERS

In Alexander Nix’ Bild der USA besteht Iowa aus roten und blauen Punkten. Die Roten wählen wahrscheinlich Republikaner, die Blauen die Demokraten. Der Datenstratege aus dem Wahlkampfteam von Donald Trump vergrößert den blau-roten Farbenteppich auf dem Bildschirm und klickt einzelne Punkte an, hinter denen sich Personenprofile verbergen. Zum Beispiel das einer Frau, Mitte 50. „Sie ist sehr neurotisch und gleichzeitig gewissenhaft. Solche Menschen reagieren stark auf emotionale Botschaften“, sagt Nix, dessen Software das Psychogramm errechnet hat – anhand von rund 5000 Datenspuren, die die Mutter zweier Kinder im Internet hinterlassen hat.

Nix, der Chef des Datendienstleisters Cambridge Analytica, hat die Frau noch nie getroffen, doch er kennt ihren Lebenslauf, weiß, wo sie einkauft, wer ihr wichtig ist – und wie sie am ehesten zur Trump-Wählerin wird. Wissen, das entscheiden kann, wer der nächste Präsident von Amerika wird. Nix’ Unternehmen ist so etwas wie Trumps Geheimwaffe, um die Wahl womöglich doch noch für sich zu entscheiden.

Denn gestützt auf die Datenauswertung weiß Nix nun, wie er die Frau ins Trump-Lager ziehen will: Er bucht ein Werbevideo, das sie beim nächsten Besuch auf Facebook oder anderen Internetseiten eingeblendet bekommen wird: ein durchgeschlagenes Fenster, schwarzer Hintergrund und den Ratschlag, Trump zu wählen. Der verteidigt das Waffenrecht und werde Amerika wieder sicher machen.

Cambridge Analytica residiert an der 5th Avenue in Manhattan. Die Agentur passt in die Nachbarschaft. Großflächige bunte Bilder an den Wänden, zusammengeschobene Tische mit MacBooks, auf dem Konferenztisch eine Schale mit bunten Süßigkeiten. Im Konferenzraum steht eine deckenhohe Amerikaflagge. Besucher tragen Anzug mit Einstecktuch, und der Chef der Agentur wirkt beinahe aristokratisch mit dem Siegelring am kleinen Finger und dem britischen Akzent.

Denn Nix und seine Firma stammen eigentlich aus London. Kurz vor Ende des US-Wahlkampfes aber sollen sie nun der stockenden Kampagne des republikanischen Kandidaten noch einmal Schwung verleihen. Die meisten der dafür zuständigen 130 US-Mitarbeiter sitzen wenige Häuser weiter, im Trump Tower. Mitsamt ihrem größtem Kapital: Big Data.

„Wir haben Daten über jeden Erwachsenen in Amerika“, sagt Nix. Seine Leute beziehen Informationen von Kreditkarteninstituten, Social-Media-Plattformen und den US-Wahlregistern. Damit wissen die Programmierer und Psychologen unter anderem, wen die Menschen als Letzten gewählt haben, wo sie wohnen, welche Bücher sie lesen, ob sie Cornflakes oder Müsli kaufen und welche Facebook-Seiten sie liken. Durchschnittlich 4000 bis 5000 Daten haben sie pro Bürger.


Doch die Hauptarbeit von Cambridge Analytica beginnt erst dann. Verknüpfen, Muster erkennen, Vorhersagen machen, Angreifen. Das sogenannte Targeting, bei dem Werbung so passgenau an die Zielgruppen angepasst und ausgespielt wird wie möglich, ist im Facebook-Zeitalter Standardrepertoire jeder Marketingabteilung. In der politischen Kommunikation hat Barack Obama als Erster seine Botschaften durch Big Data gesteuert.

Ein-Mann-Kampagne ohne Demoskopen

Donald Trump dagegen hat im Wahlkampf lange auf eine andere Strategie gesetzt. „Daten sind überbewertet“, tönte er noch im Mai. Der Verzicht auf etablierte Wahlkampftechniken wurde gar Teil der Selbstinszenierung als Gegenpol zum politischen Establishment in Washington. „Ich verschwende kein Geld für Demoskopen“, erklärte Trump, „ich muss ich sein.“ Und Kern des Trump-Seins ist nun mal, zu sagen, was er denkt und nicht was Meinungsforscher glauben, dass es die Leute hören wollen.

Die Datenmaschinerie läuft auf Hochtouren

Der perfekte Kanal dafür ist Twitter. Die Ein-Mann-Wahlkampfmaschine pöbelt, provoziert und polarisiert mit seinen Kurznachrichten wie wohl kein Politiker zuvor. Mit Erfolg. Die Tweets von Twitter-König Trump ernten im Schnitt fast 10.000 Herzen von seinen Anhängern und werden 3700 Mal geteilt (siehe Grafik unten).


Vor allem aber schaffen es seine Sprüche immer wieder in die Nachrichten. Und solange Trumps Botschaften ohnehin diskutiert werden, kann er sich sogar teure Werbespots sparen. „Seine Kampagne beruht auf Bombast und Empörung, und dafür reichen ihm das Kabelfernsehen, Twitter und Facebook“, sagt Bill Whalen, ehemaliger Berater von Arnold Schwarzenegger. In den Vorwahlen deklassierte er mit dieser Methode die innerparteiliche Konkurrenz, der Sensationssieg dürfte dazu beigetragen haben, dass Trump lange weiter auf Datenanalysten verzichtete.

„Obama hat die Stimmen geholt und nicht seine Datenverarbeitungsmaschine“, sagt Trump. Politologen begannen schon zu debattieren, ob die oft beschriebene Bedeutung des Datenwahlkampfs womöglich doch gar nicht so groß ist. Ist der Mensch im Wahlkampf nicht doch viel wichtiger als die Maschine? Die Frage scheint beantwortet. „Mit seinen lächerlichen Tweets um drei Uhr morgens ist Trump irgendwann an die Grenze dessen gestoßen ist, was er erreichen kann“, sagt selbst Politikberater Whalen, der jetzt am Hoover-Institut, einem konservativen Thinktank in Stanford, forscht.

Später Kehrtwende im Juni

Selbst dem konservativen Polterer scheint inzwischen zu dämmern, dass er es nur mit Twitter, Facebook und Glotze nicht zum Regierenden schaffen wird. Im Juni vollzog Trump daher die Kehrtwende, holte mit Brad Parscale doch noch einen Digitaldirektor in sein Wahlkampfteam. Im August folgte dem Zwei-Meter-Hünen mit rotblondem Hipsterbart und kurz rasiertem Schädel der britische Datenstratege Nix. Nun müssen sie zeigen, ob die Aufholjagd gelingt.

Denn die Datenmaschinerie von Hillary Clinton läuft bereits seit Monaten auf Hochtouren. Ihr Hauptquartier liegt im New Yorker Stadtteil Brooklyn, ausgerechnet an der Clinton Street. Auf zwei Etagen eines 19-stöckigen Backsteinturms haben die Demokraten hier ihre Wahlkampfzentrale. Hingen nicht überall Hillary-Logos und Sticker, könnte man die auf Sitzsäcken und Couches herumlümmelnden Mittzwanziger mit ihren Kopfhörern und MacBooks auch für Mitarbeiter eines Start-ups halten. Einige haben schon für Facebook oder Google gearbeitet. So wie Clintons Technikchefin Stephanie Hannon. Die 40-Jährige hat das Mailprogramm der Suchmaschine mit aufgebaut und dann das Google-Maps-Team für Europa geleitet. Mit Methoden der Silicon-Valley-Riesen optimiert sie nun Clintons Wahlkampf. Sie testete etwa auf der Spendenwebseite zwei Varianten zur Eingabe der Kreditkartendaten. Das Ergebnis: Ohne Eingabe der E-Mail-Adresse steigt die Spenderzahl um 240 Prozent.

Die Vorwürfe gegen die Präsidentschaftskandidaten
Trumps bedenkliche Äußerungen Quelle: dpa
Clintons Gesundheitszustand Quelle: AP
Trumps bedenkliche Äußerungen Quelle: AP
Clintons Stiftung im Zwielicht Quelle: AP
Clintons Rolle in Libyen Quelle: REUTERS
Clintons E-Mail-Affäre Quelle: REUTERS
Trumps Versuche Steuern zu vermeiden Quelle: dpa

Es sind viele solcher kleinen Stellschrauben, an denen Clintons Techtrupp unter Hannons Führung dreht. So wie Google seine Suchmaschine immer weiter verbessert, versucht Hannon nun auch, die Technik der Wahlkämpfer zu optimieren. Der Motor der demokratischen Wahlkampfmaschine – das Programm, mit dessen Hilfe das Team vor allem die Arbeit der Wahlkämpfer vor Ort organisiert – entstand schon während des letzten Wahlkampfs. Das bietet Raum für Verbesserungen: „Wenn wir den Leuten draußen 15 Minuten am Tag durch automatisiertes Kontaktmanagement sparen, ist das eine große Sache“, sagt Hannon. In der Zeit können sie an weitere drei Türen klopfen.

Technologische Aufholjagd

Denn das berühmte „Groundgame“, wie der Haustürwahlkampf in den USA genannt wird, gilt als eigentlich entscheidend. Dabei haben sich die Demokraten in den zwei erfolgreichen Obama-Wahlkämpfen einen enormen Wissensvorsprung erarbeitet. „Die Demokraten hatten einen klaren Vorteil beim Einsatz neuer Technologien“, heißt es in einem internen Report der Republikaner. Dadurch konnten Obamas Wahlkämpfer an doppelt so viele Türen klopfen wie das Team seines Herausforderers Mitt Romney.

Die größten Absurditäten im US-Wahlkampf
Hillary Clintons Doppelgängerin Quelle: AP
Von Hirntumor bis Zungenkrebs – Clintons Krankheiten im Überblick Quelle: dpa
Der Knopf in Clintons Ohr Quelle: AP
Hillary Clinton Quelle: AP
Donald Trump – der Antichrist Quelle: dpa
Hillary Rodham Clinton Jimmy Quelle: AP
Die Illuminati und Trump Quelle: REUTERS

Den Vorsprung der Demokraten belegt auch eine Studie der University of North Carolina at Chapel Hill. Forscher dort haben ausgerechnet, dass die Republikaner von 2004 bis 2012 nur 120 Daten- und Digitalexperten in ihren Wahlkampfteams beschäftigt haben. Bei den Demokraten waren es mehr als 500.

Viele arbeiten nun für Clinton, so wie ihr Datenguru Elan Kriegel. Er leitete 2012 für Obama das Analyseteam für die sogenannten „Swing States“, jene lange unentschiedenen Bundesstaaten, die am Ende den Wahlausgang entschieden haben. Dabei entwickelte Kriegel einen Algorithmus, um zu berechnen, wo sich die Werbespots im Fernsehen wirklich lohnen. Basierend darauf empfahl Kriegel etwa, im Nachtprogramm des Kinderkanals zu werben – bis dato eine politpropagandafreie Zone. „Das war ein günstiger Weg, unentschlossene Wähler zu erreichen“, erzählt der Statistikexperte.

Klinken putzen: Republikanische Wahlwerber hängen hinterher. Quelle: Getty Images

Nun legen die Algorithmen fest, wo Clinton ihre 140 Millionen TV-Werbedollar platziert. Daneben analysieren Kriegel und sein Team aus 60 Mathematikern und Datenspezialisten auch alle anderen Wege, auf denen sich Wähler überzeugen und mobilisieren lassen. Wen muss man noch ansprechen? Wo müssen Wähler zur Registrierung bewegt werden? Wann ist der beste Zeitpunkt dafür? Kriegel gibt die Antworten. Clintons Kampagnenmanager Robby Mook nennt ihn daher „unsere unsichtbare Hand“.

Den Republikanern war seit Langem klar, zu welcher Bedrohung sich die Datenmaschinerie des Gegners entwickelt hat. Um den Rückstand aufzuholen, investierte die Partei seit der verlorenen Wahl 2012 100 Millionen Dollar in Technologie und ein eigenes Datencenter. Umso erstaunlicher ist es, dass Trump diese Ressourcen so spät anzapft.

Den Republikanern schwant Übles

Nun könnte die technologische Aufholjagd zu spät kommen. „Du kannst kein Baby in drei Monaten bekommen“, warnte Zac Moffatt schon während der Vorwahlen. Der Mann muss es wissen: Er war Digitalchef von Romney. Nur wenig diplomatischer urteilt Tobias Konitzer, der sich an der Stanford-Universität mit der politischen Massenpolarisierung beschäftigt. „Ob Trump mit seiner Strategie Fehler gemacht hat? Da wir davon ausgehen, dass er verlieren wird, hat es sicher nicht geholfen.“ Republikaner fürchten inzwischen sogar, dass sie am 8. November mehr verlieren als eine Wahl. Patrick Ruffini, einem ihrer erfahrensten Digitalstrategen, jedenfalls schwant Übles: „Bisher hatten wir im elektronischen Wahlkampf einen Rückstand von einer Wahlperiode, nun werden es zwei sein.“

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