Bilanz des US-Präsidenten "Obama hat sich selbst überschätzt"

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"Es war kein Spaziergang für Obama"

Außenpolitisch ist Obamas Amtszeit dennoch durchaus kontrovers zu diskutieren; innenpolitisch fällt seine Bilanz besser aus. Da hat er eine Menge erreicht.

Es hat ein bisschen gedauert, es war kein Spaziergang für Obama, seine innenpolitischen Versprechen anzugehen. Nehmen Sie das Beispiel Klimapolitik. Seine Anhänger waren doch sehr enttäuscht, wie wenig er sich in seiner ersten Amtszeit dem Klimawandel gewidmet hatte. Nun zum Ende seiner Präsidentschaft scheint Obama hier auch Pflöcke einrammen zu wollen und die USA nachhaltig zu verändern – allerdings tut er dies per Dekret, gegen den Willen der Kongressmehrheit. Die Versprechen zur Reduzierung der Kohlenstoffdioxid-Emissionen sind ambitioniert; ich erwarte auch, dass er bei den Klimaverhandlungen in Paris eine US-Position vortragen wird – die man so noch nicht von einem Präsidenten der Vereinigten Staaten gehört hat.

Diese IS-Führer sucht die USA

Wie bewerten Sie die Gesundheitspolitik des Präsidenten? In den USA ist erstmals ein Großteil der Bürger krankenversichert.

Das ist zweifellos ein historisches Projekt. Und Obama ist etwas gelungen, was zig Demokraten vor ihm versucht, aber nicht geschafft haben. Die USA haben kein öffentliches Gesundheitssystem, soweit kann man nicht gehen. Aber es gab doch einen bemerkenswerten Sprung bei der Zahl der Krankenversicherten. Darunter auch viele Menschen mit Vorerkrankungen, die vor ‚Obamacare‘ keine Police bekommen haben. Das ist schon ein Verdienst, der bleibt. Zumal das oberste Gericht die Gesundheitsreform in weiten Teilen gebilligt hat. Dennoch ist die Gesundheitsreform nur zum Teil wirklich beliebt, da eine Reihe von Altversicherten Vertragsverschlechterungen beklagen.

Ein Jahr darf Obama noch regieren. Stand heute: In welchem Zustand übergibt er die USA?

Die Welt ist nicht sicherer geworden, es bleiben viele Konfliktherde. Das kann man Obama schwerlich alleine vorwerfen. Für den Kampf gegen den IS hat, glaube ich, keiner ein Patentrezept, aber Obama war zu lange unentschlossen und ohne Strategie. Auch der Syrien-Krieg wird den nächsten US-Präsidenten beschäftigten. Obama hinterlässt, dass sein Land vertrauenswürdiger wahrgenommen wird; das Cowboy-Image ist abgelegt, sein Nachfolger wird es leichter haben, internationale Bündnisse zu schließen.

Das sind die mächtigsten Politiker der Welt
Hier sind gleich zwei der Politiker versammelt, die das US-amerikanische Time Magazine 2015 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt zählt: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der indische Ministerpräsident Narenda Modi bei der Eröffnung der Technologiemesse in Hannover. Während Modis Land in den vergangenen Jahren wirtschaftlich leichte Rückschläge gegenüber den vorherigen Boomjahren erlebt hat, führt Merkel eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt an. Doch persönlich sind sich die beiden Politiker, die Time mit 29 anderen Persönlichkeiten in der Kategorie „Leader“ für ihre Verdienste ehrt, doch recht ähnlich. Während Modi sich aus einfachen Verhältnissen vom Teehändler zum Ministerpräsidenten hochgearbeitet hat, war auch Merkels Weg an die Macht alles andere als einfach. Sie hat zwei Systeme kennengelernt und den Sprung an die Schaltstellen der Gegenwart geschafft. Über Modi schreibt US-Präsident Barack Obama für Time: „Wie Indien selbst verkörpert er das Traditionelle und die Moderne gleichermaßen“. Ein Spagat, den auch Merkel in der Unionsfraktion immer wieder leisten muss. Quelle: dpa
Angela Merkel wird vom Time Magazine in diesem Jahr insbesondere für ihre Vermittlung im Ukrainekonflikt geehrt. Die CDU-Politikerin ist eine von weniger Europäern und die einzige Deutsche in der Liste. Die Laudatio auf Merkel schrieb der ukrainische Präsident, der sie für ihr Engagement lobte. Sie beherrsche es, „die Hebel der wirtschaftlichen Macht Deutschlands in diplomatische Macht umzuwandeln, um Sicherheitspolitik zugunsten der ganzen Welt voranzutreiben“. Quelle: REUTERS
Doch die Liste, die jedes Jahr von Redakteuren und Korrespondenten des Magazins zusammengestellt wird, enthält nicht nur etablierte Toppolitiker. Stattdessen werden auch Personen berücksichtigt, von denen künftig weltbewegendes Handeln erwartet wird. Dies dürfte der Grund für die Listung von Muhammad Buhari sein, dem frisch gewählten nigerianischen Präsidenten. Dem ehemaligen autoritären Führer und konservativen Politiker wird zugetraut, die Korruption in seinem Land einzudämmen und erfolgreich gegen den Terrorismus durch die Gruppe Boko Haram vorzugehen. Quelle: dpa
Buharis Gegenspieler ist Abubaker Shekau und auch er steht auf der Liste der wichtigsten politischen Führer im Jahr 2015: Der Anführer der Terrormiliz Boko Haram, hier bei einer Videobotschaft zu sehen, in der er im Vorfeld der Wahlen in dem afrikanischen Land allen Nigerianern droht, die nicht an Allah glauben. Es ist ein Charakteristikum der Times Liste, dass es nicht unbedingt eine Würdigung für positive Taten ist, aufgenommen zu werden. Stattdessen soll abgebildet werden, wer die Welt verändert. Und dazu zählt die Redaktion offenbar auch die Terrorgruppe um Shekau.
In diese Kategorie der wenig bewunderten, aber dennoch viel beachteten Personen auf der Time-Liste dürfte auch Kim Jong Un fallen. Der nordkoreanische Diktator hatte zu Beginn seiner Amtszeit vor etwa drei Jahren viele Hoffnungen auf Wandel in dem jahrzehntelang isolierten und autoritär geführten System geweckt. „Diese Hoffnungen sind unerfüllt verflogen“, schreibt Kang Cheol Hwan, ein nordkoreanischer Dissident und Direktor des südkoreanischen North Korea Strategy Centers. Die Öffnung, die einige erwartet haben, hat bisher nicht stattgefunden. Ob das an der eigentlichen Machtlosigkeit Kim Jong Uns liegt – einige vermuten, dass im Hintergrund andere die Strippen ziehen – oder ob der Jungdiktator selbst nicht von der provokativen Linie mit Militärmanövern und Raketentests abweichen will, ist unklar. Quelle: REUTERS
Auch er hat die Weltgemeinschaft in den vergangenen 16 Monaten seit Ausbruch der Ukrainekrise mehrfach zittern lassen: Wladimir Putin, russischer Präsident und Machtpolitiker suchte die Konfrontation mit dem Westen, indem er vor knapp einem Jahr die zuvor ukrainische Krim annektierte. Szenen wie hier 2013, als er Angela Merkel bei einem G20-Gipfeltreffen einen Mantel umlegte, gehören vorerst der Vergangenheit an. Das Verhältnis ist abgekühlt. Doch klar ist auch: Ohne die Supermacht Russland geht in der Weltdiplomatie nichts, ob mit Blick auf die Ukrainekrise oder auch mit Blick auf Streitthemen wie den Syrienkrieg oder das iranische Atomprogramm. Deshalb zählt Putin nach Ansicht des Time Magazine trotz aller Schwächung seines Landes in Zeiten der Sanktionen zu den wichtigsten politischen Führern 2015. Quelle: dpa
Er mischt die europäische Politik seit Anfang des Jahres enorm auf, hat den deutschen Finanzminister zu kaum gekannten Zornesausbrüchen getrieben und alle Blicke auf sein Land gelenkt: Zweifelsohne ist der griechische Regierungschef Alexis Tsipras eine der Personen in Europa, die das erste Quartal 2015 am stärksten geprägt haben. Ob er im Rahmen der griechischen Schuldenkrise eine tragische oder eine heldenhafte Rolle in der Geschichte einnehmen wird, muss sich erst noch weisen. In jedem Fall stellte er jahrelange Parolen europäischer Politiker von „alternativlosen“ Maßnahmen erstmals auf die Probe und begeisterte so auch viele Menschen. Quelle: AP

Das Iran-Abkommen steht – je nachdem wer der nächste Präsident wird – möglicherweise zur Disposition. Aber die Annäherung an Kuba wird weitergehen. Auch beim Klimaschutz und in der Wirtschaftspolitik kann und wird sein Nachfolger den Weg von Obama fortsetzen. Das Land steht wirtschaftlich so gut da, wie es selbst Obama bei seiner Wiederwahl 2012 wohl nicht für möglich gehalten hätte. Die Arbeitslosigkeit ist auf fünf Prozent gesunken; nicht mehr lange, und erste Ökonomen werden von Vollbeschäftigung in den USA sprechen. So schlecht fällt das Fazit also nicht aus, wenngleich der gefühlte Aufschwung gerade in der Mittelschicht noch nicht überall ankommt.

Nach zwei Amtszeiten ist von Gesetz her Schluss für jeden US-Präsidenten. Dennoch ein Gedankenspiel zum Schluss: Ist die Bilanz von Obama so positiv, dass er gute Chancen hätte, ein drittes Mal bei den US-Präsidentschaftswahlen zu triumphieren?

Es wäre sicherlich die knappste der dann drei Wahlen. Zwei Mal hat sich Obama recht deutlich durchgesetzt. Dieses Mal würde er sicher hart kämpfen müssen. Die wirtschaftliche Lage ist gut, die außenpolitische Bilanz mit Licht und Schatten. Vor eineinhalb Jahren 2013-14 waren Obamas Umfragewerte im Keller; diese Zeiten sind seit dem Sommer 2015 vorbei. Knapp die Hälfte der US-Bürger hat inzwischen wieder ein positives Bild von Obama.

Was für eine Wiederwahl sprechen würde: Obama war immer gut darin, seine Wähler zu mobilisieren. Er hat junge Menschen, Minderheiten und Frauen übermäßig stark angesprochen und zur Stimmabgabe bewegt. Das würde ihm wohl auch erneut gelingen. Und: Die Republikaner müssen viele Staaten bei der kommenden Wahl holen, die Obama zuletzt gewonnen hat. Darunter: Florida, Ohio, Iowa, vielleicht Nevada oder Colorado. Das wird nicht leicht. Ich denke: Obama würde es noch einmal knapp packen.

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