WirtschaftsWoche Online: Herr Thunert, Sie und Tobias Endler schildern in Ihrem neuen Buch, wie Obama einst seine Prioritäten in der Außenpolitik in nur wenigen Worten beschrieb: „Bloß keinen Mist bauen.“ Ist ihm das gelungen?
Herr Martin Thunert: Obama hat zumindest immer sehr vorsichtig agiert. Nach den acht Jahren unter George W. Bush, seinem Vorgänger, ist das auch verständlich gewesen. Ein Großteil der US-Amerikaner hatte genug vom Irakkrieg. Obama wurde schließlich auch für sein Versprechen gewählt, nicht nur den Irak-, sondern auch den Afghanistaneinsatz zu beenden. Deswegen ist der Ansatz der Schadensbegrenzung nachvollziehbar. Das Problem aber ist: In der Außenpolitik kann Nicht-Handeln auch Mist verursachen…
… und zur Eskalation des Syrien-Krieges und dem Aufstieg von Terroristen, wie dem IS, führen.
Richtig. Das ist sicherlich die größte Kritik, die sich Obama gefallen lassen muss. Nicht nur von den politischen Gegnern, sondern auch aus dem eigenen Lager. Hillary Clinton oder Ex-Verteidigungsminister Leon Panetta haben angedeutet, dass sie mehr Führungsstärke in einer frühen Phasen des Syrien-Konflikts von Obama erwartet hätten. Zum Verhängnis ist dem US-Präsidenten geworden, dass er rote Linien gezogen hat – aber nicht reagiert hat, als der syrische Präsident Baschar al-Assad diese überschritten hat. Das hat ihn Glaubwürdigkeit gekostet.
Zum Buch
In „Entzauberung: Skizzen und Ansichten zu den USA in der Ära Obama“ ziehen Tobias Endler und Martin Thunert eine erste Bilanz der Präsidentschaft Obamas. Die Autoren sind zwecks Recherche mehrmals in die USA gereist; sie haben mit Politikern, Wissenschaftlern und Bürgern gesprochen. Das Buch ist tiefgründig und hilft, das politische System der USA zu verstehen – und Obamas Schaffen besser beurteilen zu können. Die Autoren „entzaubern“ wie sie selbst sagen, den US-Präsidenten. Das Ganze aber, ohne einseitig oder polemisch zu werden.
Das Buch erscheint am 16. November 2015 im Verlag Barbara Budrich und kostet 29,90 Euro.
Barack Obama ist – obwohl er 2009 den Friedensnobelpreis erhalten hat – nun wahrlich kein Pazifist. In Afghanistan hat er die Truppen zeitweise aufgestockt, den Drohnenkrieg seines Vorgängers hat er weitergeführt und ausgeweitet. Warum war er ausgerechnet im Nahen Osten so zurückhaltend?
Zwei Antworten: der Nahe Osten als Erdöllieferant ist für die USA heute aufgrund der Eigenproduktion weniger wichtig als vor 10 oder 20 Jahren. Noch wichtiger: Die Obama-Regierung hatte zu Beginn der Präsidentschaft ganz klar das Ziel, sich nicht in neue Konflikte hineindrängen zu lassen. Man wollte nicht länger Weltpolizist sein und den Krisen und Konflikten hinterhereilen. Stattdessen wollten der Präsident und seine Mannschaft eine konstruktive Außenpolitik machen. Sie wollten etwas Neues und Nachhaltiges schaffen. Etwa Frieden zwischen Israel und Palästina. Das sah 2009 auch vielversprechend aus, ist später aber gescheitert. Dennoch: mit dem Iran-Nuklearabkommen, dem Schwenk nach Asien, dem transpazifischen Handelsabkommen und dem Ende des Kuba-Boycotts ist man in diese konstruktive Richtung gegangen.
In Erinnerung bleibt eine Rede von Obama an der Universität von Kairo, als er auf die muslimische Welt zugegangen ist. Hat der US-Präsident das Image seines Landes nachhaltig verbessern können?
Ja, ich denke schon, dass Obama das Ansehen der USA in vielen Teilen der Welt – mit Ausnahme des Nahen Ostens und Russlands – verbessert hat. Obama hat sich sehr bemüht, die Wogen insbesondere zu den muslimischen Ländern zu glätten und das Schwarz-Weiß-Denken seines Vorgängers zu beenden. Unter Bush waren die USA nur noch in ganz wenigen Ländern der Welt gut angesehen. Mir fallen spontan Israel und Indien als enge Freunde ein. Aber sonst? Inzwischen wird Amerika in vielen Ländern eher wieder positiv gesehen.
Warum das Buch 'Entzauberung' heißt
Ausgerechnet in Deutschland ist das Gegenteil der Fall. Der Ruf der USA ist nach der Spionageaffäre so schlecht wie lange nicht. Welche Schuld trägt Obama?
Speziell in Deutschland wurden völlig unrealistische Hoffnungen in Barack Obama gesetzt. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir das Buch ‚Entzauberung‘ genannt haben. In der Messianisierung Obamas spiegelte sich auch viel Unkenntnis über das Amt des US-Präsidenten wider. Wir sprechen zwar oft vom „mächtigsten Mann der Welt“, und das ist auch zum Teil richtig aufgrund der Größe und Stärke der USA, aber gleichwohl gilt: Der US-Präsident muss in der Politik, konkret: im Kongress, Partner gewinnen. Und zwar auch in den Reihen der politischen Gegner, schließlich stellen die Republikaner im Kongress seit Jahren die Mehrheit. Obama trägt gleichwohl eine Mitschuld an den enttäuschten Hoffnungen. Er ist diesen nicht früh entgegentreten und hat bis zuletzt gesagt: „Yes, we can, was in Deutsch so viel wie ‚wir schaffen das‘ heißt. In Fragen der Auslandsspionage ticken die Amerikaner und die Briten aus historischen Gründen anders als die Mehrheit der Deutschen, daher hat Obama die Empörung in Deutschland unterschätzt.
Zu den Autoren
Tobias Endler, 36 Jahre, ist Forschungskoordinator und Politikwissenschaftler am "Heidelberg Center for American Studies (HCA)" der Universität Heidelberg. Er verfolgt insbesondere die intellektuelle Debatte in den USA zur Rolle Amerikas in der Welt.
Martin Thunert, 56 Jahre, Forschungsdozent und Politikwissenschaftler am "Heidelberg Center for American Studies (HCA)" der Universität Heidelberg. Er verfolgt das politische Geschehen in den USA seit Jahren – und warnte schon zu Obamas Amtsantritt, dass der US-Präsident die immensen Erwartungen nicht erfüllen könnte.
Dabei war doch absehbar, dass er weder die Atomwaffen aus der Welt schafft, wie er 2008 andeutete. Noch etwa, dass er den Nahen Osten befriedet. Selbst das umstrittene Gefangenen-Lager Guantanamo Bay auf Kuba gibt es noch.
Obama muss sich – wie jeder Politiker – an seine Wahlversprechen messen lassen. Und da gibt es sicher ein paar wichtige Punkte, die nicht erledigt wurden, etwa die komplette Fehleinschätzung eines Neustarts mit Russland Keine Frage: Obama hat sich überschätzt und er hat das Amt überschätzt; wohl auch, weil er keine Exekutiverfahrung hatte und erst kurz in der Bundespolitik aktiv war, ehe er zum Präsidenten gewählt wurde. Dennoch ist er – auch außenpolitisch – kein gescheiterter Präsident, sondern einer mit einer insgesamt durchschnittlichen Bilanz.
Welches sind außenpolitisch seine größten Erfolge?
Was man mit Obama – auch weit nach seiner Amtszeit – verbinden wird, ist sicher der Schwenk nach Asien. Das ist eine geostrategische Ausrichtung, die wichtig und richtig ist. Die USA haben klar gemacht, dass sie dort präsent sind und präsent bleiben wollen. Das ist ein wichtiges Signal für alle Länder der Region, dass sie sich nicht mit China einlassen und gegen ihren Willen und unter Wert verkaufen müssen. Das transpazifische Freihandelsabkommen aber auch die Aufwertung Australiens zu einem erstklassigen Verbündeten passt perfekt zu dieser Ausrichtung.
Und sonst?
Das Iran-Abkommen könnte zu einem Meilenstein werden, wenn der Iran sich vertragskonform verhält, was viele in den USA für sehr fraglich halten. Obama hofft, mit dem Versprechen des Irans auf Atomwaffen zu verzichten, Israel seine Sorgen zu nehmen und Druck aus dem Nahostkonflikt zu nehmen. Der Ausgang ist offen, der erste Schritt aber gemacht, der Kongress konnte Obama nicht stoppen. Und die Verbesserung der Beziehung zu Kuba ist schon jetzt etwas Historisches. Nach 50 Jahren des Boykotts nähern sich die Länder an; die USA haben eine Botschaft in Havanna geöffnet, bald könnte der Handel zwischen den beiden Nationen Fahrt aufnehmen. Das ist wahrlich nicht zu unterschätzen – insbesondere auf der symbolischen Ebene. Gleichwohl wird Obama nicht ganz zu Unrecht kritisiert, dass der Kubanern zu wenig Zugeständnisse abgerungen hat.
"Es war kein Spaziergang für Obama"
Außenpolitisch ist Obamas Amtszeit dennoch durchaus kontrovers zu diskutieren; innenpolitisch fällt seine Bilanz besser aus. Da hat er eine Menge erreicht.
Es hat ein bisschen gedauert, es war kein Spaziergang für Obama, seine innenpolitischen Versprechen anzugehen. Nehmen Sie das Beispiel Klimapolitik. Seine Anhänger waren doch sehr enttäuscht, wie wenig er sich in seiner ersten Amtszeit dem Klimawandel gewidmet hatte. Nun zum Ende seiner Präsidentschaft scheint Obama hier auch Pflöcke einrammen zu wollen und die USA nachhaltig zu verändern – allerdings tut er dies per Dekret, gegen den Willen der Kongressmehrheit. Die Versprechen zur Reduzierung der Kohlenstoffdioxid-Emissionen sind ambitioniert; ich erwarte auch, dass er bei den Klimaverhandlungen in Paris eine US-Position vortragen wird – die man so noch nicht von einem Präsidenten der Vereinigten Staaten gehört hat.
Diese IS-Führer sucht die USA
Sieben Millionen Dollar Kopfgeld setzen die USA auf al-Qaduli aus. Er sei ein Stellvertreter von Abu Musab az-Zarqawi gewesen, dem Kopf des IS-Vorgängers „Al-Qaida im Irak“.
Der Syrer, der gebürtig Taha Sobhi Falaha heißt, ist den USA eine Belohnung von fünf Millionen Dollar wert. Er soll einer der IS-Sprecher sein und habe wiederholt zu Angriffen auf die USA und den Westen aufgerufen.
Für Informationen über den Georgier Tarkhan Batirashvili zahlen die USA ebenfalls fünf Millionen Dollar. Er soll der Leiter eines Gefängnisses nahe Raka sein, in dem mehrere westliche Geiseln inhaftiert seien.
Drei Millionen Dollar zahlen die USA für den Tunesier al-Harzi. Er gilt als eines der frühen Mitglieder des IS und Anführer einer Armee von Selbstmordattentätern.
Wie bewerten Sie die Gesundheitspolitik des Präsidenten? In den USA ist erstmals ein Großteil der Bürger krankenversichert.
Das ist zweifellos ein historisches Projekt. Und Obama ist etwas gelungen, was zig Demokraten vor ihm versucht, aber nicht geschafft haben. Die USA haben kein öffentliches Gesundheitssystem, soweit kann man nicht gehen. Aber es gab doch einen bemerkenswerten Sprung bei der Zahl der Krankenversicherten. Darunter auch viele Menschen mit Vorerkrankungen, die vor ‚Obamacare‘ keine Police bekommen haben. Das ist schon ein Verdienst, der bleibt. Zumal das oberste Gericht die Gesundheitsreform in weiten Teilen gebilligt hat. Dennoch ist die Gesundheitsreform nur zum Teil wirklich beliebt, da eine Reihe von Altversicherten Vertragsverschlechterungen beklagen.
Ein Jahr darf Obama noch regieren. Stand heute: In welchem Zustand übergibt er die USA?
Die Welt ist nicht sicherer geworden, es bleiben viele Konfliktherde. Das kann man Obama schwerlich alleine vorwerfen. Für den Kampf gegen den IS hat, glaube ich, keiner ein Patentrezept, aber Obama war zu lange unentschlossen und ohne Strategie. Auch der Syrien-Krieg wird den nächsten US-Präsidenten beschäftigten. Obama hinterlässt, dass sein Land vertrauenswürdiger wahrgenommen wird; das Cowboy-Image ist abgelegt, sein Nachfolger wird es leichter haben, internationale Bündnisse zu schließen.
Das Iran-Abkommen steht – je nachdem wer der nächste Präsident wird – möglicherweise zur Disposition. Aber die Annäherung an Kuba wird weitergehen. Auch beim Klimaschutz und in der Wirtschaftspolitik kann und wird sein Nachfolger den Weg von Obama fortsetzen. Das Land steht wirtschaftlich so gut da, wie es selbst Obama bei seiner Wiederwahl 2012 wohl nicht für möglich gehalten hätte. Die Arbeitslosigkeit ist auf fünf Prozent gesunken; nicht mehr lange, und erste Ökonomen werden von Vollbeschäftigung in den USA sprechen. So schlecht fällt das Fazit also nicht aus, wenngleich der gefühlte Aufschwung gerade in der Mittelschicht noch nicht überall ankommt.
Nach zwei Amtszeiten ist von Gesetz her Schluss für jeden US-Präsidenten. Dennoch ein Gedankenspiel zum Schluss: Ist die Bilanz von Obama so positiv, dass er gute Chancen hätte, ein drittes Mal bei den US-Präsidentschaftswahlen zu triumphieren?
Es wäre sicherlich die knappste der dann drei Wahlen. Zwei Mal hat sich Obama recht deutlich durchgesetzt. Dieses Mal würde er sicher hart kämpfen müssen. Die wirtschaftliche Lage ist gut, die außenpolitische Bilanz mit Licht und Schatten. Vor eineinhalb Jahren 2013-14 waren Obamas Umfragewerte im Keller; diese Zeiten sind seit dem Sommer 2015 vorbei. Knapp die Hälfte der US-Bürger hat inzwischen wieder ein positives Bild von Obama.
Was für eine Wiederwahl sprechen würde: Obama war immer gut darin, seine Wähler zu mobilisieren. Er hat junge Menschen, Minderheiten und Frauen übermäßig stark angesprochen und zur Stimmabgabe bewegt. Das würde ihm wohl auch erneut gelingen. Und: Die Republikaner müssen viele Staaten bei der kommenden Wahl holen, die Obama zuletzt gewonnen hat. Darunter: Florida, Ohio, Iowa, vielleicht Nevada oder Colorado. Das wird nicht leicht. Ich denke: Obama würde es noch einmal knapp packen.