Bilanz nach einem Jahr Präsidentschaft Diese fünf Punkte zeigen Joe Bidens wirtschaftspolitisches Dilemma

US-Präsident Joe Biden Quelle: AP

Vor genau einem Jahr übernahm US-Präsident Joe Biden das Amt von Donald Trump. Das Land steckte in der Krise, viele Menschen hofften auf Bidens Regierung. Doch davon ist kaum etwas übrig. Eine Bilanz in fünf Punkten.

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Es ist genau ein Jahr her, dass Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt wurde. Als er das Amt von seinem Vorgänger Donald Trump übernahm, steckten die USA in der Krise. Die Wirtschaft war am Boden, die Arbeitslosigkeit hoch, die Zuversicht niedrig. Trotzdem setzte ein großer Teil der US-Bevölkerung große Hoffnungen in Biden.

Doch davon ist 12 Monate später nicht mehr viel übrig. Die Zustimmungswerte des Präsidenten nähern sich den historisch schlechten seines Vorgängers an, seine legislative Agenda steckt fest. Biden wiederum sieht das natürlich ganz anders. „Wir haben sechs Millionen neue Jobs geschaffen“, so der Präsident während einer Pressekonferenz am Vorabend seines Dienstjubiläums. „Die Arbeitslosenquote ist auf 3,9 Prozent gefallen. Die Kinderarmut ist um fast 40 Prozent gefallen, die größte Reduktion in der amerikanischen Geschichte. Neue Unternehmen sind um 30 Prozent gewachsen, der größte Zugewinn aller zeigen. Und das erste Mal seit langem steigen die Löhne für die amerikanischen Arbeiter.“

Doch welches Bild stimmt? Das einer Präsidentschaft in der Krise oder das eines Landes im Aufbruch? Wie fällt Bidens Bilanz wirklich aus? Ein Überblick:

Wachstum

Der Absturz der US-Wirtschaft nach dem Covid-Schock 2020 war brutal. Doch die Erholung fällt ebenfalls historisch aus. Um rund 5,5 Prozent soll die größte Volkswirtschaft der Welt im vergangenen Jahr gewachsen sein – so stark wie seit 1984 nicht mehr. Damit blieb sie sogar hinter den Erwartungen zurück. Ursprünglich hatten Analysten noch größere Zugewinne erwartet, doch die Corona-Varianten Delta und Omikron bremsten den Boom ein Stück weit ab.

Trotzdem: Die hervorragenden Wachstumszahlen sind ein Pluspunkt für Biden. Schließlich gelten sein billionenschweres Hilfpaket, das er im Frühjahr durch den Kongress brachte, als einer der Gründe dafür, warum die Konjunktur so schnell so stark anzog. Bereits im Juni erreichte die US-Volkswirtschaft wieder die Größe, die sie vor dem Ausbruch der Pandemie hatte. Auch für die kommenden Jahre erwarten Analysten starkes Wachstum um die 3,5 Prozent.

Auch hier sehen die Zahlen gut aus, doch das ganze Bild ist kompliziert. Zunächst die positive Entwicklung: Die Arbeitslosigkeit sinkt rapide, sank zum Ende von Bidens erstem Jahr im Amt unter die Schwelle von vier Prozent. Vor seinem Hilfspaket hatten Ökonomen erwartet, dass es Jahre dauern würde, bis diese Grenze erneut unterschritten werden würde. Doch es dauerte nur wenige Monate. Das Infrastrukturprogramm, das der Präsident im Herbst durch den Kongress brachte, könnte das Jobwachstum in den kommenden Jahren weiter befeuern.

Doch diese Entwicklung zeigt nicht das ganze Bild. So haben sich in der Pandemie Millionen Arbeitskräfte aus dem US-Arbeitsmarkt verabschiedet, vor allem Frauen und Ältere. Die Labor Participation Rate, also der Teil der arbeitsfähigen US-Bevölkerung, der einen Job hat oder einen sucht, liegt heute immer noch rund eineinhalb Prozentpunkte unter dem Vor-Corona-Niveau. Das entspricht Millionen potenziellen Arbeitskräften. Angestiegen ist sie seit Bidens Amtsantritt nur langsam.



Für Arbeitnehmer ist das eine gute Entwicklung. Schließlich sorgt das starke Wirtschaftswachstum für einen großen Bedarf an Arbeitskräften. Der Druck auf Arbeitgeber, die Löhne zu erhöhen, ist enorm. Der durchschnittliche Stundenlohn stieg 2021 um 4,7 Prozent. Für dieses Jahr erwarten Arbeitgeber ein weiteres deutliches Lohnplus.

Inflation

Doch dieser Anstieg hat eine Schattenseite: Er erhöht den Druck auf die Preise. Die Inflation stieg unter Biden auf den höchsten Stand seit fast 40 Jahren – eine Folge der steigenden Löhne, einer enormen Nachfrage nach Produkten und Covid-bedingten Lieferkettenproblemen. Letztere sieht auch Biden als Haupttreiber der steigenden Preise. „Die Inflation hängt eng mit den Lieferkettenproblemen zusammen. Und Sie werden sehen, dass wir große Fortschritte gemacht haben, was den Zugang zu Materialien betrifft“, so der Präsident bei seiner Pressekonferenz.

Angesichts einer Teuerungsrate von zuletzt sieben Prozent will die Zentralbank jetzt eingreifen und im Laufe dieses Jahres den Leitzins erhöhen. Die Folgen für die US-Wirtschaft – und damit für den Präsidenten – könnten unangenehm sein.



Zumal die Inflation seine gesetzgeberische Agenda bereits jetzt ausbremst. Eigentlich hatte Biden vorgehabt, ein weiteres billionenschweres Sozial- und Klimaschutzprogramm durch den Kongress zu boxen. Doch ein moderater Senator seiner eigenen Partei bremste diesen Plan vorerst aus – auch aus Sorge, ein weiteres Ausgabenpaket könnte die Teuerungsrate weiter befeuern. Zwar ist umstritten, ob dies tatsächlich der Fall wäre, doch das ist unterm Strich nebensächlich. Der Wahrnehmung, dass die Preise unter Biden außer Kontrolle sind, wird der Präsident derzeit kaum los.

Corona-Tote

Und auch ein weiteres Problem kann Biden nicht einfach abschütteln: die Pandemie. „Es gibt viel Frustration und Ermüdung im Land“, so Biden vor der Presse. „Und wir kennen den Grund: Covid-19.“ Die Krise will nicht abebben. Kurz bevor der Präsident sein Amt antrat, überschritten die USA die Grenze von 400.000 Corona-Toten – die Folge einer chaotischen Politik seines Amtsvorgängers und der konsequenten Weigerung eines Teils seiner Anhänger, sich vor dem Virus zu schützen. Allein am Tag der Amtsübergabe starben 4380 Menschen in den USA an Covid-19.

Eine solche Todesrate gibt es heute nicht mehr, doch das Sterben ist nach wie vor allgegenwärtig. 414.000 Menschen hat das Coronavirus seit Bidens Amtsübernahme in den USA das Leben gekostet – vor allem in der Delta-Welle im Sommer und der Omikron-Welle, die derzeit über das Land spült. Es ist Biden nicht gelungen, dem skeptischen Teil der Bevölkerung von der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen zu überzeugen. In zahlreichen Bundesstaaten wird Covid-19 immer noch als Schwindel oder Betrug abgetan, sind Masken die absolute Ausnahme. Wenn Omikron, das derzeit vor allem in den verhältnismäßig gut geschützten Metropolen an der Ostküste wütet, dort mit voller Kraft ankommt, dann dürfte die Todeszahl weiter nach oben schnellen.

Corona-Impfungen

Das ganze Drama von Bidens Unfähigkeit das ganze Land zu erreichen, zeigt sich in den Impfzahlen. Zwar ist es der Administration im Frühjahr gelungen, in kürzester Zeit eine hervorragende Impfinfrastruktur aufzubauen, doch ein Teil der Bevölkerung weigert sich hartnäckig, das Vakzin anzunehmen.

Trotzdem: Seit Biden im Weißen Haus residiert, haben die USA 524 Millionen Dosen des Stoffes verimpft. Heute haben mehr als 75 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Spritze verabreicht bekommen. Bei der besonders bedrohten Gruppe der Über-65-Jährigen sind es mehr als 95 Prozent. Es dürfte das wichtigste Verdienst der Biden-Administration sein, denn auch wenn die Pandemie in den USA noch lange nicht vorbei ist, hat sie es doch geschafft, einen großen Teil der Bevölkerung zu schützen und so die Grundlage für die wirtschaftliche Erholung des Landes zu ermöglichen.

Mehr zum Thema: In den USA ist die Inflation auf den höchsten Stand seit 1982 gestiegen würde. Das trifft alle Amerikaner – jedoch nicht mit gleicher Wucht. Wer besonders leidet und welche Folgen diese Situation für den Präsidenten hat.

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