Bildungspolitik Unionspolitiker fordert Einschulungs-Aufschub für Kinder ohne Deutschkenntnisse

Kinder, die die deutsche Sprache nicht ausreichend verstehen, sollten erst Sprachkurse absolvieren. Das fordert Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann.

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Für Kinder ohne Deutschkenntnisse soll eine Vorschulpflicht gelten. Quelle: dpa

Berlin Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann fordert, dass Kinder ausreichend Deutsch sprechen müssen, bevor sie an der Grundschule aufgenommen werden. „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen“, sagte er der „Rheinischen Post“. Der CDU-Politiker schlägt für betroffene Kinder eine Vorschulpflicht vor. Notfalls müsse eine Einschulung auch zurückgestellt werden, sagte er.

Es müssten alle Alarmglocken schrillen, wenn bei Sprachtests wie in Duisburg mehr als 16 Prozent der künftigen Erstklässler gar kein Deutsch könnten, sagte Linnemann. „Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt.“

Linnemann warnte in dem Zusammenhang vor „neuen Parallelgesellschaften“. „Die Vorfälle in Freibädern, die Tat auf dem Frankfurter Bahnsteig, die Schwertattacke in Stuttgart - das alles wühlt die Menschen auf und befeuert die Sorge, dass neue Parallelgesellschaften entstehen könnten. Dem müssen wir jetzt vorbeugen.“

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger sagte der Deutschen Presse-Agentur am Montag, Linnemann habe natürlich Recht damit, dass die eigentliche sprachliche Förderung vor der Grundschule erfolgen müsste.

Kinder sollten nach Meidingers Ansicht schon lange vor der Einschulung verpflichtende Sprachtests durchlaufen. „Ich bin ein absoluter Anhänger von bundesweiten, flächendeckenden Sprachstandstests bei Drei- und Vierjährigen.“ Es gebe Ansätze dafür in einigen Ländern, „aber leider passiert dann bei festgestellten Defiziten zu wenig, auch weil dazu spezifisch ausgebildete Personen, u.a. Logopäden gebraucht würden, die wir nicht haben“. Grundschullehrer seien sowieso Mangelware. „Es ist eine Binsenweisheit: Was an Frühförderung versäumt wurde, lässt sich später kaum mehr aufholen“, sagte Meidinger.

„Populistischer Unfug“

Kritik am Vorstoß des Unionsfraktionsvizes kommt vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Die Forderung, Kinder, die kein Deutsch könnten, nicht einzuschulen, sei eine Bankrotterklärung der Politik, sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann der dpa. Zudem sei sie diskriminierend. „Denn es läuft doch darauf hinaus, dass vor allem Kinder mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung zurückgestellt werden würden.“

Der VBE forderte mit Blick auf Sprachförderung von der Politik mehr Unterstützung für die Kitas. Fast alle Kinder gingen inzwischen vor der Einschulung dorthin. Aber trotz hohen Engagements der Erzieherinnen und Erzieher führten Gruppengrößen, unzureichende Personalschlüssel und fehlende Sprachexperten dazu, dass manche Kinder nicht angemessen gut Deutsch sprächen.

Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) wies den Vorstoß von Linnemann ebenfalls vehement zurück. Prien sprach in der „Süddeutschen Zeitung“ von „populistischem Unfug“ und „dem völlig falschen Weg“. Diese Kinder gehörten vielmehr „im Rahmen der Regelbeschulung“ in Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen.

Auch Linke-Chefin Katja Kipping kritisiert laut der Deutschen Presse-Agentur den Vorstoß scharf: Mit seinen Äußerungen zu Grundschulkindern gehe Linnemann auf „Stimmenfang im rechten Sumpf“.

Kipping warf dem CDU-Politiker vor, das Thema mit Meldungen über Gewalttaten von Erwachsenen zu vermengen. „Ist ihm nicht bekannt, dass der Täter von Frankfurt, der offensichtlich eine psychotische Störung hatte, fließend deutsch spricht und als Schweizer praktisch den gleichen Migrationshintergrund hat wie Alice Weidel?“

Die SPD-Bildungspolitikerin Marja-Liisa Völlers sagte der dpa, die Aussagen Linnemanns seien „wirklich zum Fremdschämen und populistisches Getöse wie in Wahlkampfzeiten“. Man könne Kinder nicht von der Grundschule ausschließen, nur weil sie schlecht Deutsch sprächen. Das schaffe Parallelgesellschaften und langfristige Integrationsprobleme, anstatt sie zu lösen. „Die Kinder sind genau richtig da, wo sie sind. Ein besseres Lernumfeld für alle Kinder als Schulunterricht mit Gleichaltrigen gibt es doch gar nicht.“

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