




Der Bundesnachrichtendienst (BND) steht in der Kritik, weil er für den US-Geheimdienst NSA über Jahre europäische Unternehmen und Politiker ausgespäht haben soll. Doch ganz so sorglos, wie manche meinen, sind die deutschen Geheimdienstler bei ihrer Kooperation mit den Amerikanern wohl gar nicht gewesen. Die jüngsten Enthüllungen zeigen vielmehr, dass das Verhältnis zwischen dem BND und dem NSA schon seit Jahren von Misstrauen durchzogen ist.
Nach Einschätzung deutscher Innenpolitiker sind die Beziehungen zwischen den Geheimdiensten auf jeden Fall weniger eng als auf politischer Ebene. So sollen BND-Mitarbeiter die Bundesregierung schon seit Jahren vor dem übergroßen Appetit der Amerikaner auf europäische Daten gewarnt haben. Nach Ansicht der Opposition haben die „Schlapphüte“ ihre Warnungen und Bedenken im Kanzleramt aber nicht laut genug vorgetragen.
Die Bundesregierung wird trotz der Affäre bis heute nicht müde, das transatlantische Verhältnis zu loben. Noch vergangene Woche betonte sie das gegenseitige „große Vertrauen“. Doch sind die Beziehungen tatsächlich so vertrauensvoll?
Grüne und Linke der Regierung vor, sie habe die Öffentlichkeit mehrfach bewusst über die vermeintliche Bereitschaft der USA getäuscht, sich hierzulande an geltendes Recht zu halten, getäuscht. „Beim BND wusste man um die Übergriffigkeit der Amerikaner seit Jahren und man nahm sie hin“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem früheren Beauftragten der Bundesregierung für die Geheimdienste, Ronald Pofalla, wirft er vor, sie hätten 2013 nach den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden „die ahnungslos Überraschten“ gemimt. Durch Reisen in die USA sei in der Angelegenheit damals lediglich Tatkraft „simuliert“ worden.
Dass nach den jüngsten Enthüllungen nun entschieden wurde, beim BND die Überwachung von Internet-Verkehr für die NSA bis auf weiteres abzuschalten, werten die Grünen als Erfolg. Das Bundeskanzleramt habe sich nach massiver öffentlicher Kritik wohl entschlossen, „lieber gleich die ganze Brücke zu sprengen“, heißt es aus Oppositionskreisen.
„Ich kann diese Entscheidung zwar politisch nachvollziehen, aber froh sein darüber, das kann man nicht“, erklärt der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium angehört. Das Gremium hat die Aufgabe, die Tätigkeit der Nachrichtendienste des Bundes zu überwachen.
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Schuster befürchtet, dass der BND wegen der öffentlichen Debatte und wegen der Einschränkung der Zusammenarbeit mit der NSA künftig von relevanten Informationen befreundeter Dienste abgeschnitten werden könnte. Erste Anzeichen dafür gibt es angeblich schon.
Die Ausspähung von Telefon-Verbindungen für die Amerikaner läuft beim BND zwar noch weiter, allerdings soll die NSA inzwischen dazu auch Daten geliefert haben, aus denen sich der Grund für die jeweilige Überwachungsmaßnahme erschließt. Für die Internet-Suchkriterien hatte der US-Geheimdienst dies abgelehnt.
Mit ihren höflich formulierten Bitten an die USA, doch bitte nichts auf deutschem Boden zu unternehmen, was gegen hiesiges Recht verstößt, war die Bundesregierung nach den Snowden-Enthüllungen 2013 abgeblitzt. Und auch in der aktuellen Suchbegriff-Affäre kommen aus Washington keine Antworten, die deutsche Oppositionspolitiker zufriedenstellen. Dabei bewegen sich BND und NSA in ihrer Zusammenarbeit nach Einschätzung von Innenpolitikern durchaus auf Augenhöhe.
Zwar verfüge der US-Geheimdienst über ungleich mehr Personal und viel bessere technische Möglichkeiten, heißt es. Der BND habe dafür aber umfangreichere Kenntnisse über islamistische Extremisten in Nordafrika und Nahost zu bieten sowie über Aktivitäten in Osteuropa. „Die US-Geheimdienste sind wie ein Vollsortiment-Supermarkt, der BND eher ein Feinkost-Geschäft. Der BND hat aber gar keine Veranlassung, gegenüber den Amerikanern unterwürfig zu sein“, charakterisiert ein ehemaliger Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums das Verhältnis zwischen beiden Diensten.
Die Tatsache, dass man sich da gut ergänzt hat, rechtfertigt aber nach Ansicht des SPD-Politikers Uli Grötsch längst nicht alles. Grötsch, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium seit Oktober angehört, sagt: „Die Amerikaner sollen ruhig wissen, dass wir nicht immer nach ihrer Pfeife tanzen.“ Und fragt: „Kann das denn richtig sein, dass wir europäischen Brüder und Schwestern uns gegenseitig abhören und dann alles an den großen Bruder USA liefern?“