Boris Simin „Russland droht, ein gescheiterter Staat zu werden“

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„Der wichtigste Faktor ist, talentierte Menschen im Land zu halten“

Wie wichtig ist der Zustand der russischen Wirtschaft für die Unterstützer Nawalnys?
Es ist ein Faktor, aber ich denke andere Dinge werden als wichtiger angesehen. Es ist offensichtlich, dass es ohne unabhängige Gerichte und freie, respektierte Wahlen auch keinen wirtschaftlichen Erfolg geben wird. Der wichtigste Faktor für eine moderne Wirtschaft ist es, talentierte Menschen im Land zu halten. Derzeit verlassen aber zehntausende hervorragend ausgebildete Russen ihre Heimat in jedem Jahr. Russland droht, ein gescheiterter Petro-Staat wie Venezuela zu werden. Und der Hauptgrund ist die einzementierte Gruppe an der Spitze, die sich selbst der „russische Staat“ nennt.

Berlin und Brüssel wollen gegenüber Russland mehr Härte zeigen – mit neuen Sanktionen gegen Funktionäre. Das Problem: Sie laufen ins Leere. Europa ist ein Geldwäscheparadies, bietet viele Lücken – gerade Deutschland.
von Max Haerder, Maxim Kireev, Christian Ramthun, Silke Wettach, Lukas Zdrzalek

Heute sitzt Nawalny im Gefängnis. Was bedeutet das für seine Mission?
Zunächst muss ich noch einmal betonen, dass ich Alexej für einen absolut einmaligen Helden halte. Er hat seine persönlichen Interessen und sein Leben den Interessen Russlands und seinem Traum von der Zukunft untergeordnet. Dabei ist er ein normaler Mann, der seine Frau und seine Kinder liebt. Doch in seiner Rolle als Politiker konnte es vermutlich nicht anders ausgehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Alexej außerhalb von Russland sitzt und Bücher schreibt. Er ist Politiker. Er muss bei seinem Volk sein. Dass seine Rückkehr nach Russland wohl bedeuten würde, dass er für lange Zeit ins Gefängnis gehen wird, war ihm vollkommen klar, als er sich die Rückreise angetreten hat. Die Mächtigen werden es ihm nicht gestatten, seine Ziele in Freiheit zu verfolgen. Ich denke nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Höchstens Druck aus dem Westen könnte vielleicht dafür sorgen, dass innerhalb der Regierung ein Umdenken stattfindet. Aber vielleicht auch nicht. Sicher kann das niemand sagen.

Erwarten Sie denn Druck aus dem Westen?
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es dazu kommen wird. Aung San Suu Kyi stand 15 Jahre unter Hausarrest in Myanmar und ist jetzt wieder unter Arrest. Und der Westen konnte und kann nichts daran ändern. Internationale Aufmerksamkeit hilft Alexej natürlich. Aber über sein Schicksal entscheiden Menschen in Russland.

Kann Nawalnys Organisation bestehen, wenn er in Haft bleibt?
Bislang haben sie sich gut gehalten, auch wenn sie natürlich unter enormem Druck stehen. Sie sind keine politische Partei im klassischen Wortsinn, sondern eine Gruppe normaler Leute, die ein gemeinsames Wertesystem verbindet. Sie wollen ihr Land besser machen. Deshalb können sie eine Verbindung zu Millionen Russen herstellen. Das macht sie zur einzig richtigen Partei im Land. Wir sollten dieses Wort nicht mit den „Politikern“ verbinden, die seit zwei Jahrzehnten ihre Macht durch gefälschte Wahlen bewahren.

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Hoffen Sie, dass Sie Alexej Nawalny bald wiedertreffen können?
Natürlich hoffe ich das. Aber ich weiß nicht, wann es passieren könnte.

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