Brand in griechischem Flüchtlingslager Das Inferno war vorprogrammiert

Seit Monaten brodelt es in überfüllten griechischen Flüchtlingslagern. Jetzt kommt es zur befürchteten Katastrophe: Flüchtlinge und Migranten stecken auf Lesbos ein Lager in Brand. Ist das der Beginn größerer Unruhen?

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In einem Flüchtlingslager auf Lesbos ist am Montagabend ein Feuer ausgebrochen. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Quelle: AP

Athen Ausgebrannte Wohncontainer, rußgeschwärzte Metallstreben, verkohlte Balken – am Tag nach dem verheerenden Großbrand gleicht das Flüchtlingslager von Moria auf der griechischen Insel Lesbos einem Schlachtfeld. Löschwasser und Asche haben den Boden in eine schwarze Schlammwüste verwandelt. Flüchtlinge stochern in den Resten der abgebrannten Unterkünfte nach Habseligkeiten. Die meisten konnten nur ein paar Kleidungsstücke und Papiere retten, als das Lager am Montagabend in Flammen aufging.

Die Katastrophe kam nicht unerwartet. Seit langem gab es wachsende Spannungen im Lager Moria. Es ist für 1500 Menschen ausgelegt, beherbergt aber rund 3000 Bewohner. Immer wieder gerieten in den vergangenen Wochen Lagerbewohner verschiedener Nationalitäten aneinander. In Moria leben Menschen aus nicht weniger als 88 Ethnien zusammen. Vor fünf Tagen musste die Bereitschaftspolizei mit Tränengas einschreiten, als Migranten aus Algerien und dem Senegal aufeinander losgingen.

Der Bürgermeister von Lesbos befürchtet eine weitere Eskalation. „Ich weiß nicht, ob es heute sein wird oder in ein, zwei Tagen, aber wenn die Situation nicht umgehend entschärft wird, werden wir sicher wieder neue, noch schlimmere Vorfälle erleben“, sagte Spyros Galinos am Dienstag dem griechischen Radiosender Parapolitika FM. In dem Auffanglager der Insel war es am Montagabend zu Krawallen und Brandstiftung gekommen.

„Angesichts des überfüllten Lagers war es nur eine Frage der Zeit, bis das passiert“, sagte Galinos, der nach eigenen Angaben wiederholt in Athen um Hilfe gebeten hatte. „Es kann nicht sein, dass nur rund 15 Gemeinden in ganz Griechenland die gesamte Flüchtlingsproblematik schultern.“

Seit Montagmorgen hatte sich die Lage auf Lesbos immer weiter zugespitzt. Im Dorf Moria protestierten etwa 500 Einwohner mit einem Demonstrationszug gegen die Überfüllung des Lagers. Die Bewohner fordern eine Umverteilung der Flüchtlinge auf andere Landesteile. Bei der Demonstration zeigten auch Mitglieder der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte Flagge. Drei Frauen, die bei der Betreuung der Flüchtlinge helfen, wurden von Neonazi-Schlägern angegriffen.

Im Lager verbreiteten sich derweil Gerüchte, wonach Massenabschiebungen in die Türkei unmittelbar bevorstünden. Eine Gruppe von etwa 300 Menschen verließ daraufhin das Lager und machte sich zum nahegelegenen Dorf Moria auf, wurde aber von der Polizei aufgehalten und zurück in das Camp eskortiert. Dort eskalierten die Unruhen. Aufgebrachte Migranten steckten am Abend Müllcontainer, Zelte und einen benachbarten Olivenhain in Brand.

Die gegen 20 Uhr angerückte Feuerwehr konnte wegen der Krawalle zunächst nicht ins Lager vordringen. Verzweifelte Menschen versuchten, sich durch Löcher im Zaun, der das Camp umgibt, vor den Flammen in Sicherheit zu bringen. Sie flohen auf die umliegenden Felder, einige pilgerten in die sechs Kilometer entfernte Inselhauptstadt Mytilini.


Athens Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik rächen sich

Erst um Mitternacht gelang es der Feuerwehr, die Flammen zu löschen. Die Bilanz: Rund zwei Drittel der Unterkünfte und Verwaltungsgebäude sind abgebrannt, Hunderte Menschen obdachlos. Wie durch ein Wunder wurde offenbar niemand ernstlich verletzt. Die Regierung in Athen will nun weitere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei auf die Insel schicken. Es gibt auch Überlegungen, zur Unterbringung der Obdachlosen ein Fährschiff zu chartern. Angesichts der explosiven Lage und der zunehmenden Gewaltbereitschaft vieler Migranten gilt es aber als fraglich, ob überhaupt eine Reederei bereit ist, ein Schiff zur Verfügung zu stellen.

Die größte Sorge ist nun, dass die Ausschreitungen auf Lesbos könnten zum Zündfunken werden könnten. Nun rächen sich die Versäumnisse der griechischen Regierung in der Flüchtlingspolitik. Wegen der Schließung der Balkanroute im Februar sitzen nach offiziellen Angaben mittlerweile 60.395 Flüchtlinge und Migranten in Griechenland fest.

Viele leben in menschenunwürdigen Notunterkünften, etwa in Zelten, die kaum Schutz vor Regen und Kälte bieten. Fast 2500 Menschen hausen in der früheren Abflughalle des vor 15 Jahren stillgelegten Athener Flughafens Ellinikon. Die Regierung versprach, dieses Lager bereits Ende Mai aufzulösen und die Menschen anderweitig unterzubringen – geschehen ist das bisher nicht.
Äußerst beengt geht es auch auf den ostägäischen Inseln zu, wo die neu angekommenen Flüchtlinge auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten – die sich über viele Monate hinziehen kann. In den Lagern auf den Inseln sitzen aktuell 13.619 Menschen fest – ausgelegt sind die Unterkünfte nur für 7450.

„Unsere Unterbringungsmöglichkeiten sind völlig erschöpft“, sagt Christina Kalogirou, die Regionalpräfektin für die nördliche Ägäis. Auf den Inseln gibt es zunehmende Bürgerproteste gegen die ungebetenen Gäste, denn die Flüchtlingskrise hat der örtlichen Wirtschaft schwere Einbußen beschert: Auf Lesbos ging im Juli die Zahl der ankommenden ausländischen Touristen um 63 Prozent zurück, auf Chios sogar um 72 Prozent.

Auf Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik antwortet die griechische Regierung mit dem Hinweis, dass die EU ihre Versprechen zur Aufnahme weiterer Menschen nicht eingelöst habe. So kündigte Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor einem Jahr an, die anderen EU-Staaten würden 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien übernehmen. Tatsächlich wurden bisher erst 3677 Menschen umgesiedelt.

Unterdessen kommen immer neue Flüchtlinge von der türkischen Küste nach Griechenland. War die Zahl der Neuankömmlinge nach der Schließung der Balkanroute und dem Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei zunächst stark zurückgegangen, steigt sie jetzt wieder: Im Juli kamen 1920 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln an, im August waren es bereits 3447.

Ein Grund für den Anstieg dürfte sein, dass die türkische Polizei infolge der Massenentlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli nicht genug Personal hat und an der Küste weniger Präsenz zeigt. Dort wittern die Schleuser nun wieder gute Geschäfte – und locken die Menschen mit Rabatten in die Schlauchboote: Kostete die „Fahrkarte“ nach Griechenland im vergangenen Herbst noch 1000 bis 1500 Dollar, bieten die Menschenschmuggler jetzt die Überfahrt schon für 250 Dollar pro Person an.

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