Brasilien Kampf gegen Korruption und Männerherrschaft

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Brasiliens Männer tun sich schwer mit dem Wandel

Der Sportminister Brasiliens, Orlando Silva, musste gehen, nachdem er beschuldigt worden war, einen Karton voller Schmiergeld erhalten zu haben Quelle: dpa

Jetzt hat der Wandel an der politischen Spitze begonnen, und Brasiliens Männer tun sich schwer damit. Der einzige der sechs in diesem Jahr entlassenen Minister, bei dem es nicht um einen Korruptionsverdacht ging, war Verteidigungsminister Nelson Jobim. Der 65-jährige Macho war öffentlich über die angebliche Schwäche und Kenntnislosigkeit seiner Kabinettskolleginnen hergezogen.

Mit ihrem Kampf gegen die Korruption stellt Dilma Rousseff ein Grundprinzip der brasilianischen Politik infrage: die Selbstbedienung als Basis des innenpolitischen Friedens. Wie ihre Vorgänger regiert sie mit einer aberwitzig breiten Koalition aus 16 von insgesamt 19 Parteien im Parlament: zwei Drittel der Senatoren und drei Viertel der Abgeordneten zählen zum Regierungslager. Und alle Koalitionspartner beanspruchen Pfründe in Pensionsfonds, in wichtigen Staatskonzernen oder auch gleich ein ganzes Ministerium mitsamt seinen vielen Planstellen.

In Brasilien, hat die OECD festgestellt, werden jedes Mal 22 000 Posten neu vergeben, wenn ein neuer Präsident ins Amt kommt, in den USA sind es nur 7000. Das hat der Korruption Tür und Tor geöffnet: So kontrolliert zum Beispiel seit annähernd drei Jahrzehnten der Clan des Ex-Präsidenten José Sarney aus dem bettelarmen Bundesstaat Maranhão die Strom- und Bergbaubürokratie Brasiliens. Eine konservative Partei aus dem Süden dominiert traditionell das wichtige Transportministerium. Und im Sport, daran erinnerte die Affäre um Minister Silva, hat die Kommunistische Partei das Sagen. „Seit die Eroberer in Brasilien an Land gingen, hat der Staat nur eine Funktion: Mechanismen zu entwickeln, damit sich diejenigen, die an der Macht sind, persönlich bereichern können“, spottet Kenneth Maxwell, Brasilienexperte an der US-amerikanischen Harvard-Universität.

Rousseff nervt die Ineffizienz des staatlichen Apparats

Bis sie ins Amt kam, hat Dilma Rousseff von dieser Vetternwirtschaft profitiert – sie verdankt der von Lula geknüpften Allianz schließlich den Wahlsieg. Doch an der Macht nervt sie die Ineffizienz des staatlichen Apparats. Denn ihre Popularität steht und fällt damit, dass es ihr gelingt, den Schlendrian und die Korruption zu ver-ringern.

Die Krisen in Europa und den USA sowie das langsamere Wachstum in China bremsen inzwischen auch in Brasilien die Konjunktur. Statt 7,5 Prozent wie noch 2010 dürfte das brasilianische Bruttoinlandsprodukt laut Internationalem Währungsfonds in diesem Jahr nur noch um knapp vier Prozent wachsen. Mehr wäre möglich, wenn Investitionen und Effizienzgewinne im Inland dafür sorgten – doch da blockiert der Staatsapparat: Mit dem Bau der Fußballstadien für die WM 2014 ist das Land hoffnungslos im Rückstand, die Ausschreibungen für eine Modernisierung der Flughäfen sind nicht mal vorbereitet. Dringend notwendige Wasserkraftwerke werden wegen des Kompetenzgerangels der Behörden erst einmal nicht gebaut, und der Hochgeschwindigkeitszug zwischen Rio und São Paulo kommt erst später – wann, ist unbestimmt.

Rousseff grenzt sich von ihrem Ziehvater ab

So passt es der Präsidentin gut ins Konzept, wenn die bissigen brasilianischen Medien einen Skandal nach dem anderen aufdecken. Mit den Entlassungen der korrupten Minister, die alle noch aus Lulas Kabinett stammen, grenzt sie sich von ihrem Ziehvater ab – und sammelt Sympathien bei der Mittelschicht, die Lulas Toleranz gegenüber der Korruption in den eigenen Reihen satt hat. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht Brasilien auf Platz 69 unter 173 Staaten. Im Kampf gegen die Korruption will Dilma „die Ministerien als Erbhöfe abschaffen und fähige Technokraten in die Politik bringen“, beobachtet die brasilianische Kolumnistin Eliane Cantanhede.

Das kann aber auch schiefgehen. Ausgerechnet die Staatssekretärin im Präsidialamt, eine enge Vertraute Dilma Rousseffs, erwies sich als korrupt. Gegen Bares vermittelte sie Gehör bei ihrer Chefin.

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