Brasilien Wie ein Fleischkonzern eine Staatskrise auslöste

Ein Korruptionsskandal stürzt Brasilien in die Krise: Alles dreht sich um die schillernden Gründer des weltgrößten Schlachtkonzerns JBS. Jetzt müssen sie mit 3,2 Milliarden Dollar die höchste Strafe zahlen, zu der je ein Konzern weltweit verdonnert wurde. Die Buße werden sie locker wegstecken können. Ihr Beispiel zeigt, wie die Unternehmer des Landes weiterhin schmieren, tricksen und bluffen.

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Dunkle Geschäfte: Die Batistas schufen mit JBS den größten Fleischkonzern der Welt. Quelle: Getty Images

Seine Gegner, von denen es in Brasilien wirklich nicht zu wenige gibt, haben es immer gesagt. So wie Joesley Batista mit seinen Brüdern den größten Fleischkonzern der Welt aufbaute, konnte das gar nicht mit rechten Dingen zugehen. Sie verwiesen dann etwa auf das wundersame Wachstum von JBS im Ausland.

Vier Milliarden Dollar habe alleine das gekostet. Sei es nicht auffällig, dass vor allem Staatsbanken und Pensionsfonds, also Geldhäuser mit großer Nähe zur Politik, diesen weltweiten Siegeszug finanzierten? Und pflege Batista nicht auffallend gute Beziehungen zu den Präsidenten des Landes? Luiz Inácio Lula da Silva, dessen Nachfolgerin Dilma Rousseff, sie waren gute Bekannte des südamerikanischen Schlachthauskönigs.

Batista wies das immer zurück. Und selbst als jetzt das Gegenteil herauskam, fand Batista noch eine geschmeidige Begründung: Für jeden Kredit, für jede Anleihe und Garantie bezahlte er zwei bis vier Prozent an beteiligte Politiker, mit Koffern voller Bargeld, mit Millionenkrediten, mit Gehältern an Minister, Richter, Spitzenbeamte. Klare Geschäftsbeziehungen galten dabei, sagt Batista: „Politiker schaffen Probleme und bieten dann Lösungen an.“ Doch nun hat Batista lernen müssen: Manchmal schafft der Umgang mit Politikern auch Probleme, die dann nur neue Probleme schaffen.

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Und so staunt Südamerikas wichtigste Wirtschaftsmacht über Kronzeugenaussagen, in denen Joesley Batista schildert, wie er mit seinen beiden Brüdern zehn Jahre fast 2000 Politiker und Beamte mit umgerechnet 400 Millionen Dollar schmierte.

Damit hat Joesley Batista eine neue Staatskrise ausgelöst. Im März dieses Jahres hat er als Beweis für seine Schilderungen ein Gespräch mit Präsident Michel Temer aufgezeichnet. Darin brüstet sich Joesley Batista gegenüber dem Präsidenten, dass er einen Staatsanwalt besteche und inhaftierte ehemalige Alliierte des Präsidenten gegen Schmiergeld davon abhalte, auszusagen. Temer befürwortet auf dem Tonband das Vorgehen.

Nach Veröffentlichung der Mitschnitte im Mai stürzte die Börse Brasiliens zwischenzeitlich um bis zu zwölf Prozent ab, die Landeswährung Real verlor genauso rasant. Die Investmentbanken revidieren ihre Prognosen für die erhoffte Konjunkturerholung in diesem Jahr. Nun droht politisches Chaos wie vor einem Jahr, als der damalige Vizepräsident Temer nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen seine Vorgängerin Dilma Rousseff ins Amt rutschte. Doch wie sie seinerzeit weigert sich nun auch Temer abzutreten. Er hofft, dass die Wirtschaft ihn stützt, weil er einen liberalen Reformprozess eingeleitet hat. Doch da irrt er sich. Die Brasilianer sind es satt, dass ihre Elite trickst, schmiert und blufft.

Die Aussagen Batistas zeigen jetzt, dass sich in der Praxis brasilianischer Unternehmen wenig geändert hat – trotz Hunderten von Verfahren und hoher Gefängnisstrafen gegen Politiker und Unternehmer. Korruption ist in Brasilien nicht nur Teil des Geschäftsmodells – sie ist Geschäftsgrundlage dafür, dass Unternehmen wie das zusammengebrochene Bergbau-Imperium des Eike Batista oder der Baukonzern Odebrecht zu gewaltigen Imperien werden konnten.

In nur zehn Jahren an die Weltspitze

Bei JBS ist der Aufstieg noch erstaunlicher: Denn die drei Brüder Júnior, Joesley und Wesley bauten in nur zehn Jahren den Provinzschlachthof des Vaters zum größten Privatkonzern Brasiliens auf: JBS verkauft jährlich Steaks, Hühnerschlegel und Schweinerippen für 50 Milliarden Dollar. Die 200.000 Mitarbeiter verarbeiten täglich allein mehr als 50.000 Rinder in 150 Schlachthäusern weltweit.

Dass es dabei mitunter dubios zugehen könnte, hatte die WirtschaftsWoche bereits vor einem Jahr berichtet. Seinerzeit ging es unter anderem um Bilanzmanipulation. Der Justiziar des brasilianischen Fleischkonzerns beschwerte sich darauf per Brief, dass sein Klient zu Unrecht beschuldigt werde, „Beamten, Politikern und Managern Schmiergelder zu bezahlen und unlauter Kredit zu nehmen“. In dem Artikel stand davon kein Wort. Doch die dünnhäutige Reaktion ist aus heutiger Sicht verständlich: JBS verdankt seinen Aufstieg zum weltgrößten Fleischkonzern nach den jetzt bekannt gewordenen Details offenbar genau diesen illegalen Aktivitäten, die es vor einem Jahr noch vehement abstritt. Auch der Justiziar sagt jetzt als Kronzeuge aus.

Mehr als 80 Prozent ihres Umsatzes machen die Batistas inzwischen im Ausland. In den USA gehören ihnen die Traditionskonzerne Swift und Pilgrim’s Pride. In Russland ist JBS der größte Zulieferer für McDonald’s. In Australien kontrolliert der Konzern den Rindfleischmarkt und beliefert von dort China, Südkorea und Japan.

Die Arbeitsteilung zwischen den Brüdern verlief immer nach klaren Regeln: Wesley sondiert, Júnior verhandelt, und Joesley bezahlt. Bisher wunderte sich die Finanzelite in São Paulo, dass es dem Schulabbrecher Joesley gelang, mit dem Börsengang 2007 die finanzielle Basis für die Expansion der Gruppe ins Ausland zu legen.

Doch offenbar nutzte Joesley die Kontakte in die Politik, um in andere Branchen zu expandieren: Heute gehört der Gruppe J&F neben dem Fleischgeschäft eine Bank, ein Stromkonzern, ein Zelluloseproduzent, ein Milchprodukteverarbeiter, ein Reinigungsmittelhersteller – alles Konzerne mit Dutzenden starker Marken. Als jetzt Protestler in den sozialen Medien zum Boykott gegen JBS aufriefen, listeten sie minutenlang Markenamen auf, die man künftig nicht mehr kaufen soll – was bei der Marktdominanz gar nicht so einfach ist. Auch industrielle Abnehmer wie McDonald’s oder Burger King stehen nun vor dem Problem, wie sie ihren korrupten Zulieferer ersetzen sollen.

Die Brüder haben auch mit der Staatsanwaltschaft ihr Verhandlungsgeschick bewiesen: Joesley konnte mit seiner Gattin, einer bekannten Fernsehmoderatorin, und seinem Clan in die USA ausreisen, wo er künftig leben will. Die Brüder haben zugesagt, umgerechnet rund 60 Millionen Dollar zu zahlen, und sind frei. „Das bezahlen die aus der Portokasse“, lauten die Kommentare in São Paulo. Sie müssen nicht einen Tag in Untersuchungshaft, bekommen keine elektronischen Fußfesseln. Marcelo Odebrecht, André Esteves, Eike Batista – alle anderen prominenten Unternehmer saßen oder sitzen seit Jahren oder über Monate im Knast.

Umgerechnet 3,2 Milliarden Dollar zahlen sie als Strafe für ihren Konzern – über 25 Jahre und wertberichtigt mit der Inflation. Es ist die größte Entschädigungssumme, die je ein Konzern wegen Korruption weltweit bezahlt hat. Aber es sind auch nur 5,6 Prozent des JBS-Umsatzes des letzten Jahres. Kein Zweifel: Auch mit der Justiz haben die Batista-Brüder Verhandlungsgeschick gezeigt.

Finanziell haben Joesley und Co. vorgesorgt: Kurz bevor sein Gespräch mit dem Präsidenten veröffentlicht wurde, kaufte JBS in der Landeswährung Real eine Milliarde Dollar auf den Terminmärkten, um am Absturz der brasilianischen Währung zu verdienen. Und während der Kronzeugenverhandlungen verkauften die Batistas Aktien ihres Unternehmens, bevor diese abstürzten. Geschätzter Gewinn aus den zwei Transaktionen: 300 Millionen Dollar. Vermutlich brauchen die Batistas nicht einmal in die Portokasse zu greifen für ihre individuellen Entschädigungszahlungen.

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