Brexit-Beschlüsse Mays schwieriger Auftakt nach der Sommerpause

Die britische Premierministerin ist nach der Sommerpause zum ersten Mal wieder im Parlament aufgetreten. Kontroverse Diskussionen gab es um die Brexit-Vorbereitungen – und um Theresa Mays Zukunft.

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London Es war ihre Premiere im Parlament nach der langen Sommerpause: Am Mittwoch stellte sich die britische Premierministerin Theresa May zum ersten Mal seit Wochen wieder den Fragen der Abgeordneten. Über den Sommer war viel über einen Wechsel an der Regierungsspitze getuschelt worden. Und tatsächlich dauerte es auch nicht lange, bis dieses Thema zur Sprache kam. Sie habe vor einem Jahr erklärt, sie werde für die Rechte der Arbeiter kämpfen, so lange sie Premierministerin sei, sagte ein Abgeordneter, wie lange sei das denn? Doch May wich aus. Sie wiederholte lediglich, dass sie sich während ihrer Amtszeit für die Rechte der Arbeiter einsetzen werde.

Gleichwohl sind die Gerüchte, ihr Abschied stehe unmittelbar bevor, zuletzt etwas weniger geworden. Das desaströse Abschneiden der konservativen Partei in den – von May vorgezogenen – Parlamentswahlen hatten viele Abgeordnete ihr zum Vorwurf gemacht; Gerüchte machten die Runde, dass sie noch vor dem Parteitag Anfang Oktober abgelöst werden könnte.

Doch viele Abgeordnete scheuen das Risiko von Neuwahlen. Sie befürchten, dass die oppositionelle Labour-Partei dann Einfluss gewinnen könnte – und weitere konservative Abgeordnete ihren Sitz im Parlament verlieren. Zudem ist kein klarer Nachfolger für May in Sicht. Selbst der erzkonservative Politiker Jacob William Rees-Mogg, der bei einer Umfrage unter Mitgliedern seiner Partei als Favorit für den Regierungsposten hervorging, gilt nicht wirklich als ernsthafter Kandidat. Der 48-Jährige, der sich für den Brexit einsetzt, hatte noch kein Regierungsamt inne. Zudem wird der sechsfache Vater von vielen Briten als verschrobener Kauz betrachtet - eine Tatsache, die ihm immerhin bei einigen Briten eine Art Kultstatus verschafft. Doch der Katholik vertritt Positionen, die auch in seiner Partei umstritten sind: Er ist gegen gleichgeschlechtliche Ehen und gegen Abtreibung, auch nach einer Schwangerschaft in Folge einer Vergewaltigung.

Rees-Mogg selbst tat Spekulationen, er könne der nächste Premierminister werden, als „Unfug“ ab: Das seien Nachrichten aus der sommerlichen Saure-Gurken-Zeit gewesen, sagte er am Morgen im britischen Fernsehen. Das werde überbewertet. Er unterstütze Theresa May. Und nicht nur er: „Im Moment“, erklärte der einflussreiche Tory-Abgeordnete Graham Brady kürzlich in der BBC, „stehen die konservativen Abgeordneten solide hinter Theresa May“.

Wie stark der Rückhalt für die 60-Jährige tatsächlich ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, wenn die Abgeordneten über einen für den Brexit vorgesehen Gesetzesvorschlag abstimmen müssen. Ab Donnerstag debattiert das Parlament erstmals über den so genannten „Repeal Bill“, der die EU-Gesetze in nationales Recht umwandeln soll, damit Großbritannien nach dem Brexit nicht in ein legislatives Loch fällt. Am Montag soll dann darüber abgestimmt werden. Die konservative Regierung um May ist für die Regelung – die Opposition hat bereits Widerstand angekündigt. Das bringt die Regierung in eine heikle Lage, denn in den Parlamentswahlen hat sie ihre Mehrheit verloren. Selbst mit ihrem Partner, der nordirischen DUP-Partei, liegen die Konservativen nur knapp vorn.


Zukünftige Einwanderungspolitik bleibt unklar

Daneben sorgt derzeit ein Papier der Regierung zur zukünftigen Einwanderungspolitik für Aufregung auf der Insel. Dem Dokument zufolge, das der „Guardian“ am Mittwoch veröffentlicht hatte, will die britische Regierung nach dem offiziellen Austritt aus der EU im März 2019 die Zuwanderung aus dem Ausland streng kontrollieren. Geringqualifizierte Einwanderer aus der EU sollen nach dem Brexit – und einer anschließenden Übergangsphase von einigen Monaten – verpflichtet sein, eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, die für höchstens zwei Jahren gelte. Höher qualifizierte Einwanderer können eine Aufenthaltsgenehmigung für bis zu fünf Jahre erhalten. Einheimische Arbeitskräfte sollen von britischen Unternehmen bevorzugt werden. Daneben soll der Zuzug von Familienangehörigen nach Großbritannien erschwert werden. Und wer nach dem Brexit – auch als Tourist – einreist, braucht einen Reisepass, ein Personalausweis reicht dann nicht mehr.

Diese Überlegungen dürften bei der EU auf Widerspruch stoßen. Ende September treffen die Verhandlungsteams aus London und Brüssel wieder aufeinander, um die Bedingungen für den Brexit zu besprechen. In der Vergangenheit hatte die EU betont, dass sie auf Einhaltung der vier Grundfreiheiten pocht – darunter auch der Freizügigkeit. Wie die von Großbritannien gewünschte Übergangsphase nach dem 29. März 2019 aussieht, muss noch ausgehandelt werden.

Auf Seiten der Londoner Regierung versuchte man abzuwiegeln: Das Papier entspreche nicht dem aktuellen Stand der Diskussionen, erst im Herbst werde man eine offizielle Stellungnahme veröffentlichen. Premierministerin May verteidigte ihre Politik im Parlament: Großbritannien habe von Einwanderern sehr profitiert, aber man müsse die Kontrolle behalten. Es sei wichtig, ein „nachhaltiges“ Niveau der Zuwanderung zu haben.

Bei Brexit-Befürwortern kamen die Vorschläge in dem Papier gut an – anders als bei Brexit-Gegnern. Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan kommentierte das Papier mit den Worten, es sei „eine Blaupause dafür, wie man seine Wirtschaft abwürgt“.

Auch Wirtschaftsverbände äußerten sich kritisch. Das Institute of Directors verwies so darauf, dass die Vorschläge „offensichtlich nicht dem entsprechen, was Unternehmer, vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen sehen wollen”. Der Verband der Nahrungsmittelproduzenten FDF kommentierte den Entwurf ebenfalls kritisch: Seine Branche – Großbritanniens größte produzierende Industrie – wäre „alarmiert“, wenn das Papier tatsächlich die Ansicht der Regierung widerspiegele, erklärte sagte FDF-Vorsitzender Ian Wright. Denn es würde zeigen, wie wenig Ahnung die Politiker davon hätten, welch wichtigen Beitrag Arbeiter aus EU-Ländern in der Nahrungsmittelindustrie leisteten.

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