Brexit Britische Schicksalsfrage vor Gericht

Brexit-Gegner wollen verhindern, dass Premierministerin May allein über die Scheidungsgespräche mit der Europäischen Union verhandelt. Das Parlament soll das Sagen haben. Nun wird es Gerichtsverhandlungen geben.

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Bürger fordern, dass die Scheidungsgespräche mit der Europäischen Union nicht nur Premier Theresa May führt. Das Parlament soll das Sagen haben. Quelle: dpa

Der eine gilt als unauffälliger Durchschnittsmensch, der sein Geld in London als Friseur verdient. Die andere ist eine britische Vermögensverwalterin, die in ihrer Branche schon häufiger den Finger auf wunde Punkte gelegt und sich so unbeliebt gemacht hat. Beide gehören jetzt zu einer Reihe von Klägern, die vor einem Londoner Gericht eines erreichen wollen: Dass nicht allein die britische Premierministerin Theresa May die offiziellen Scheidungsgespräche mit der Europäischen Union einleitet, sondern das Parlament dabei das Sagen hat.

Am Dienstag hat Richter Brian Leveson in einer ersten vorbereitenden Anhörung Details und den Zeitplan für das Verfahren festgelegt. Demnach ist die Gerichtsverhandlung offiziell für Mitte Oktober geplant und auf zwei Tage angesetzt. „Wir werden sehr zügig vorgehen“, kündigte Leveson an, so dass nichts dagegen spreche, dass das Verfahren möglicherweise noch im Dezember vor dem Supreme Court, dem höchsten Gericht des Landes, landen könne.

Mehr Zeit dürften die Juristen in dem Fall nicht haben, denn Großbritanniens Premierministerin May hat bereits vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass sie voraussichtlich im nächsten Jahr die Austrittsverhandlungen mit der EU in Gang setzen und dafür Artikel 50 des Vertrages von Lissabon auslösen will. Ein Anwalt, der die britische Regierung vor Gericht vertritt, hat dies am Dienstag bestätigt.

Vor knapp vier Wochen haben 52 Prozent der Briten in einem Referendum dafür gestimmt, der EU den Rücken zu kehren. Theresa May, die einstige Innenministerin Großbritanniens, die vergangene Woche das höchste Regierungsamt übernommen hat, betont: Brexit sei Brexit. Man müsse den Willen der Mehrheit akzeptieren und auch umsetzen. Eine Gruppe von Briten argumentiert allerdings vor Gericht, dies zu entscheiden, sei nicht allein Mays Sache, schließlich sei der Volksentscheid rein rechtlich nicht verbindlich gewesen.

Zu den Klägern gehören neben dem Friseur und der Vermögensverwalterin auch einige Briten, die im Ausland leben. Als „besorgte Bürger“ hat Richter Leveson diese umschrieben. Etliche von ihnen wurden in dem Verfahren nicht namentlich genannt ¬– aus Angst vor massiven Anfeindungen. Diese Erfahrungen haben den Verteidigern zufolge bereits ein paar der Kläger und auch die involvierten Rechtsanwaltskanzleien machen müssen. Es sei eine äußerst „widerwärtige Angelegenheit“, sagte einer der Verteidiger, die auch andere potenzielle Kläger bisher abhalten habe, sich der Klage anzuschließen.

Erst vor wenigen Tagen hat eine Gruppe von Brexit-Befürwortern zudem vor den Büros einer der Kanzleien protestiert, die in der Sache aktiv ist. Die Demonstranten fordern, Artikel 50 müsse sofort in Gang gesetzt und das Brexit-Votum dürfe nicht durch irgendwelche Hintertüren ausgehebelt werden.

Die Kläger sprechen sich teilweise nicht direkt gegen einen Brexit aus. Sie stellen nur das bisher geplante Verfahren in Frage und wollen die Latte höher legen. Es verletzte die Souveränität des Parlaments, wenn es in der Sache nicht entscheide und die Premierministerin ohne die entsprechende Zustimmung des Parlaments handle, so ihre Argumentation. Die Mehrheit der Abgeordneten gilt aus EU-freundlich. Die Kläger hoffen daher offenbar darauf, dass auf diese Art und Weise ein Austritt aus der Staatengemeinschaft am Ende des Tages verhindert werden kann.

Einige Juristen halten das jedoch für äußerst unwahrscheinlich und begründen das unter anderem mit ähnlichen Verfahren in der Vergangenheit. Bürger, die vor Gericht das Vorgehen des Staates angefochten hätten, seien selten erfolgreich gewesen. Zudem gilt es derzeit als kaum wahrscheinlich, dass selbst wenn das Parlament in der Sache eine Entscheidung treffen müsste, es sich gegen den Willen der Mehrheit der Briten aussprechen und einen Brexit verhindern würde.

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