Brexit-Chaos Theresa May flüchtet nach China

Die britische Premierministerin steht wegen ihres Brexit-Kurses unter Druck, es wird über ihren Sturz spekuliert. Eine China-Reise kommt wie gerufen: Im Fernen Osten will sie das neue „globale Britannien“ präsentieren.

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London Als Chinas Präsident Xi Jinping im Jahr 2015 nach Großbritannien kam, schleppte ihn der damalige Premierminister David Cameron in ein Pub in Buckinghamshire. Mit einem Pint Ale begossen die beiden eine neue „goldene Ära“ der bilateralen Beziehungen.

Am Mittwoch nun trifft Camerons Nachfolgerin Theresa May zu einem dreitägigen Besuch in China ein. Sie fährt nach Wuhan, Peking und Schanghai. Im Tross hat sie Handelsminister Liam Fox und Spitzenvertreter von 50 Unternehmen. Die Reise gilt als wichtiger Test für das neue „Global Britain“, das nach dem Brexit neue Märkte erschließen will.

Von der „goldenen Ära“ ist nichts mehr zu spüren. Zwar sagte May vor dem Abflug, sie wolle „die goldene Ära intensivieren“, doch der alte Glanz ist dahin. Das bilaterale Verhältnis hat sich seit Mays Einzug in die Downing Street deutlich abgekühlt. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hatte die Premierministerin die chinesische Beteiligung am britischen Atomkraftwerk Hinkley Point überprüfen lassen. Solches Misstrauen kommt in Peking gar nicht gut an.

Seitdem hat sich May zweimal mit Xi bei G20-Gipfeln getroffen, in Hamburg und Hangzhou. Das Verhältnis habe sich verbessert, sei aber noch nicht so gut wie unter Cameron, sagt Shi Zhiqing, Professor für Internationale Beziehungen am Carnegie-Tsinghua-Center for Global Policy.

Dabei ist May dringend auf gute Beziehungen zu der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt angewiesen. Nach dem Brexit will sie schließlich beweisen, dass Großbritannien im Alleingang schneller und besser Freihandelsverträge mit allen wichtigen Wirtschaftsmächten abschließen kann als unter dem Dach der EU. Es gebe große Handelschancen für britische Firmen, sagte May. Auf lukrative Aufträge hoffen in ihrem Tross unter anderem Vertreter des Pharmakonzerns Astra-Zeneca, des Autobauers Jaguar Landrover und der Großbank HSBC.

In China wird die Regierungschefin aus dem Brexit-Land als Bittstellerin wahrgenommen. Großbritannien sei nach dem EU-Ausstieg stärker auf die Hilfe Chinas angewiesen, sagt Cui Hongjian vom China Institute of International Studies. Die Ausgangsposition Londons habe sich stark verändert, man sei nicht mehr auf Augenhöhe. Das traditionell marktliberale Großbritannien könne aber vielleicht davon profitieren, dass die EU immer protektionistischer gegenüber chinesischen Investoren werde.

China ist laut Cui vor allem an der britischen Finanzexpertise interessiert. Das Land entwickele zwar seine eigenen Finanzzentren, sei aber noch auf Rat von außen angewiesen. Der chinesische Finanzmarkt gilt als unreif, viele Investmentoptionen sind undurchsichtig und die Anleger nicht sonderlich aufgeklärt. Um systemische Risiken wie hohe Verschuldung, wild wuchernde Fintechs und einen undurchschaubaren Schattenbanksektor zu bekämpfen, hat Peking gerade erst den Finanzstabilitätsrat gegründet, der die Arbeit der Zentralbank und der Aufsichtsbehörden koordinieren und leiten soll. „Londons Stellenwert als Finanzzentrum der Welt und seine Erfahrungen sind Dinge, die China braucht“, sagt Cui.

Auch würde Gastgeber Xi von May gern hören, dass sie sein Prestigeprojekt, die neue Seidenstraße, unterstützt. Mit dem milliardenschweren Infrastrukturprogramm will China zum dominierenden Player in der globalen Logistikbranche werden. Die Premierministerin steht jedoch wie die anderen europäischen Regierungschefs unter dem Druck der USA, sich neutral zu verhalten. US-Präsident Donald Trump sieht China als strategischen Rivalen, eine offene Unterstützung des Projekts würde er als unfreundlichen Akt werten.

Trotz der diplomatischen Fallstricke kommt May die Auslandsreise gelegen. Denn daheim in London wird schon wieder ihr Rücktritt gefordert: Die Brexit-Hardliner in ihrer Partei drohen mit einem Aufstand. Sie hadern mit den strikten EU-Verhandlungsrichtlinien und werfen der Regierungschefin vor, die Brexit-Verhandlungen nicht hart genug zu führen. Zudem wurde ein internes Regierungspapier an die Presse gespielt, das mehrere Brexit-Szenarien beschreibt – und in allen Fällen zu dem Schluss kommt, dass die britische Wirtschaft unweigerlich schrumpfen wird.

Angesichts des Brexit-Chaos dürfte May erleichtert sein, dass sie die kommenden Tage Hände schütteln und Verträge unterzeichnen darf. Ganz entkommen wird sie dem Brexit-Fluch jedoch nicht: Die Londoner Hauptstadtpresse fliegt schließlich mit.

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