Brexit-Einigung Ungewohntes Lob für Theresa May

Von ihren Landsleuten musste Theresa May zuletzt harte Kritik für die Brexit-Gespräche einstecken. Mangelndes Geschick wurde ihr vorgeworfen. Doch nach dem heutigen Kompromiss sind sogar die Brexit-Hardliner zufrieden.

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London Die Nachricht aus Brüssel über eine erste Einigung in den Brexit-Verhandlungen wurde in Großbritannien zumeist positiv aufgenommen. Der Landwirtschaftsminister Michael Gove, der auf der Insel als Befürworter des Brexits gilt, lobte die Premierministerin Theresa May. Die Einigung sei für die Regierungschefin „ganz persönlich ein sehr signifikantes Verdienst”, sagte er im britischen Radio. „Theresa May hat gewonnen. Sie hat einen Deal im Interesse des ganzen Vereinigten Königreichs erzielt und ihre Kritiker widerlegt.“ Das wird May gern hören – schließlich machen ihre viele Brexit-Verfechter seit Monaten Vorwürfe, dass sie in den Brexit-Verhandlungen zu viele Zugeständnisse macht.

Am Freitagvormittag hatten sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Theresa May in Brüssel vor die Presse gestellt und erklärt, dass sie die erste Phase der Brexit-Verhandlungen erfolgreich beenden könnten.

In den drei strittigen Fragen – den Rechten der EU-Bürger in Großbritannien, der Abschlussrechnung und der Frage über die Grenze auf der irischen Insel – habe man eine Einigung erzielt. Auf dem EU-Gipfel in der kommenden Woche könne daher offiziell beschlossen werden, dass man in den Verhandlungen die nächste Phase einläuten werde: Die Gespräche über die Beziehung zwischen der EU und Großbritannien nach dem offiziellen EU-Austritt im März 2019.

Strittig war zuletzt vor allem die Frage gewesen, wie man mit der bislang grünen Grenze auf der irischen Insel umgehen solle. Denn nach dem Brexit verläuft zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland eine EU-Außengrenze. Sollte diese zu einer tatsächlichen Grenze werden, könnte es wieder Unruhen in der Region geben, hatten viele befürchtet. Schließlich hatte es heftige Auseinandersetzungen gegeben, bis die Grenzkontrollen 1998 abgeschafft wurden. Doch auch in diesem Punkt haben die EU und Großbritannien nun eine Lösung gefunden. Es werde keine harte Grenze geben, beteuert die britische Premierministerin. Dennoch bleibt es ein Problem: Denn wie diese Lösung aussehen soll, ist noch völlig unklar.

Auch Irlands Regierungschef Leo Varadkar, der noch vor einigen Tagen sehr skeptisch war, zeigte sich zufrieden. „Nach langen und intensiven Verhandlungen haben wir eine zufriedenstellende Lösung bei den Fragen bezüglich Irland erzielt“, erklärte er. Das Karfreitagsabkommen, mit dem 1998 Frieden auf der irischen Insel geschlossen und die jahrzehntelangen Kämpfe zwischen Unionisten und Separatisten beendet wurden, werde „in allen Aspekten“ respektiert, erklärte Varadkar. Jeder, der auf der Insel geboren werde, habe weiterhin Anspruch auf die britische und irische Staatsangehörigkeit und somit auch auf einen EU-Pass.

Der Verkehr zwischen Irland und Nordirland werde nicht eingeschränkt, es werde keine harte Grenze geben. Sollte dafür keine Lösung gefunden werden, erklärte er, habe man sich darauf geeinigt, dass Nordirland und „vielleicht das gesamte Vereinte Königreich die Regeln des europäischen Binnenmarktes und der Zollunion einhalten, die notwendig sind, um eine harte Grenze zu vermeiden“. Die Kooperation zwischen dem Norden und Süden der Insel und der Inselgruppe insgesamt werde gewährleistet. Einige Briten lässt das aufhorchen – sie deuten diese Aussage so, dass Großbritannien möglicherweise doch im europäischen Binnenmarkt bleiben werde.

Auch Arlene Forster, Chefin der nordirischen DUP-Partei, die Anfang der Woche die Verhandlungen blockiert hatte, trat vor die Kameras. Als Unionisten treten die Mitglieder der DUP für eine enge Bindung zu Großbritannien ein, eine Sonderbehandlung für Nordirland hatten sie daher abgelehnt – aus Angst, ein Sonderweg für Nordirland könne langfristig zu einer Abspaltung aus dem Vereinten Königreich führen. Ihre Meinung konnte die britische Premierministerin Theresa May nicht ignorieren, wenn sie keine Regierungskrise riskieren wollte, schließlich hatte sie in den letzten Wahlen ihre Mehrheit im Parlament verloren und benötigt nun für Abstimmungen die Unterstützung der DUP.

Doch nun stellte sich die DUP-Chefin hinter die britische Premierministerin. „Wir sind erfreut über diese Änderungen“, sagte Foster dem britischen Sender Sky TV. Die britische Premierministerin sei auf Forderungen eingegangen, in dem Vorschlag für Brüssel „substanzielle“ Änderungen vorzunehmen, erklärte sie. Es werde daher keine Grenze zwischen der EU und Großbritannien in der irischen See gezogen. „Es gibt noch immer Dinge, die wir gern geklärt haben müsste“, warnte sie. „Aber uns ist die Zeit weggelaufen. Wir denken, dass wir noch einmal zurückgehen müssen und über diese Dinge reden müssen. Aber die Premierministerin hat sich entschlossen, dass sie in Bezug auf diesen Text nach Brüssel geht und sie sagt, sie tue das im nationalen Interesse.“

In den Reihen der Wirtschaft war Erleichterung zu spüren. Nach den Turbulenzen der vergangenen Tage würden die Nachrichten über einen Durchbruch in den Verhandlungen von Unternehmen auf der ganzen Insel begrüßt, sagte der Chef der britischen Handelskammer BCC, Adam Marshall. An der Börse stieg der Kurs des Pfund Sterling.

Aber nicht alle freuten sich: Der bekannte EU-Skeptiker und frühere Vorsitzende der UKIP-Partei, Nigel Farage, äußerte sich über Twitter. „Gute Neuigkeiten“, erklärte er, „jetzt können wir in die nächste Phase der Erniedrigung eintreten.“

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