Brexit Nick Clegg ruft zur Konterrevolution auf

Die Verhandlungen in Brüssel stocken, die britische Wirtschaft leidet. Ex-Vizepremier Nick Clegg will nun den Brexit mit einem ungewöhnlichen Plan stoppen: Die Briten sollen die Tories unterwandern.

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Der frühere britische Vizepremier gehört zu den prominentesten Brexit-Gegnern. Quelle: dpa

London Nick Clegg ist einer der besten Rhetoriker in der britischen Politik. Ein „smooth talker“, der seine Gedanken gleichermaßen scharf wie charmant formulieren kann. Sein Talent verwendet der frühere Vizepremier inzwischen darauf, sein Land vor dem, wie er glaubt, sicheren Desaster zu bewahren: dem Brexit. Gemeinsam mit dem früheren Premierminister Tony Blair steht Clegg an der Spitze der „Remainer“, wie die EU-Anhänger im Land genannt werden.

„How to stop Brexit (and make Britain great again)“ heißt das neue Buch, mit dem Clegg seine Landsleute aufrütteln will. Es ist eine Art Gebrauchsanleitung für die Konterrevolution. Der Liberaldemokrat ruft alle EU-Freunde auf, entweder in die konservative Partei von Premierministerin Theresa May oder die Labour-Partei von Oppositionsführer Jeremy Corbyn einzutreten. Die Tories hätten nur 150.000 Mitglieder, rechnet Clegg vor. Wenn jeder hundertste Remain-Wähler einträte, wären die Brexiteers bereits in der Minderheit.

Die „neue Armee der Anti-Brexit-Mitglieder“ soll dann Druck auf die Abgeordneten der beiden großen Parteien ausüben und sicherstellen, dass das Unterhaus im Herbst 2018 den Brexit-Deal ablehnt, den die Regierung mit der EU verhandelt hat.

Vor einem Jahr habe sich das Brexit-Votum für viele Briten gut angefühlt, schreibt Clegg. Sie hätten es der Elite in London und Brüssel zeigen wollen. Inzwischen wachse aber die Einsicht, dass die politischen und wirtschaftlichen Kosten zu hoch seien. „Jede Kurve, jede Grafik, jede Zahl erzählt die gleiche düstere Geschichte“, schreibt Clegg. Das Brexit-Votum habe einen negativen Effekt auf die Wirtschaft. Und niemand könne mit einer Regierung zufrieden sein, „die so vom Brexit gelähmt ist, dass sie aufgehört hat zu regieren“.

Es ist ungewöhnlich, dass ein ehemaliger Parteichef zum Eintritt in andere Parteien aufruft. Er selbst werde aus alter Loyalität auch nicht zu den Tories oder Labour wechseln, erklärt der Liberaldemokrat. Aber es sei eine überparteiliche Aufgabe, den Brexit zu verhindern. Ähnlich argumentieren andere prominente Brexit-Gegner wie Blair oder der frühere Europa-Staatssekretär Denis MacShane.

„Es wird Zeit, dass normale Menschen die Kontrolle zurückerobern“, schreibt Clegg genüsslich. Mit demselben Schlachtruf hatten Boris Johnson und Nigel Farage die Briten damals zum Brexit aufgerufen. Der Liberaldemokrat wendet ihre Worte nun gegen sie: Der Brexit sei in Wahrheit das Lebenswerk einer kleinen Elite alter reicher Männer. Diese hätten den EU-Ausstieg seit Jahrzehnten betrieben, um Großbritannien in ein Unternehmerparadies mit niedrigen Steuern und laxen Regeln zu verwandeln. Wer also die Elite ärgern wolle, müsse den Brexit verhindern, argumentiert er.

Nun ist Clegg nicht der beliebteste Politiker auf der Insel. Im Gegenteil: Seit seiner Zeit als Juniorpartner in David Camerons liberalkonservativer Koalition von 2010 bis 2015 ist er der Inbegriff des opportunistischen Machtpolitikers. Seine These, dass 17,4 Millionen Wähler sich von einer Brexit-Clique haben hinters Licht führen lassen, grenzt zudem an Wählerbeleidigung.

Doch hat er genug politische Erfahrung, um die Lücken im Brexit-Kurs der Regierung zu erkennen. Noch sei es für eine Umkehr nicht zu spät, schreibt Clegg. Irren sei menschlich, die Briten sollten sich eingestehen, dass der Brexit ein Fehler war. „Es ist nicht zu peinlich, ihn jetzt zu stoppen.“

Tatsächlich ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Stimmung im Land dreht, je länger die Brexit-Verhandlungen dauern. Die ganze Schwäche der britischen Verhandlungsposition werde im Oktober 2018 deutlich, prognostiziert Clegg. Jeglicher EU-Deal werde deutlich hinter den Versprechen der Brexiteers zurückbleiben. Dann könnte das Parlament den Austritt stoppen.

Ob genügend Menschen seinem Aufruf zur Unterwanderung der Tories folgen, ist hingegen fraglich. Bei den Pro-EU-Märschen waren bisher nur einige zehntausend Briten unterwegs.

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