Brexit-Verhandlungen Britischer Wirtschaftsverband macht Druck

Der Brexit rückt näher. Bald müssen sich Unternehmen entscheiden, wie sie mit dem Abschied Großbritanniens aus der EU umgehen. Der britische Wirtschaftsverband CBI fordert nun Fortschritte in den Brüsseler Verhandlungen.

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Am 23. Juni 2016 hatte sich eine knappe Mehrheit der Briten in einem historischen Referendum für den Austritt aus der EU entschieden. Quelle: dpa

London Der britische Unternehmerverband CBI appelliert an die Londoner Regierung, in den Brexit-Verhandlungen Fortschritte zu erzielen. „Die Zeit läuft ab und die Unternehmen brauchen dringend Entscheidungen“, erklärte die Vorsitzende des Verbands, Carolyn Fairbairn, bei einer Rede an der Universität von Warwick laut vorab veröffentlichten Auszügen.

Die Regierung müsse sich klar darüber werden, was sie in den Verhandlungen wolle. Aber in den kommenden 70 Tagen müssten die Bedingungen der Übergangsphase – in welcher der Status Quo weiter gelten solle – festgelegt werden, fordert sie. In den Brexit-Verhandlungen müssten Fakten die Richtung vorgeben, nicht Ideologie. Beide Seiten müssten ihre „roten Linien“ überdenken, denn schließlich hätten sowohl die EU-Länder als auch Großbritannien viel zu verlieren.

Noch immer ist nicht klar, zu welchen Bedingungen der bevorstehende EU-Austritt vonstattengehen wird. Vergangenes Jahr liefen die Verhandlungen in Brüssel eher schleppend. Nun zeichnet sich ab, dass sich die beiden Seiten auf eine Übergangsphase einigen. Doch die Uhr tickt: Der CBI hatte Ende vergangenen Jahres seine Mitglieder befragt, welche Konsequenzen sie aus dem bevorstehenden EU-Austritt und der damit verbundenen Unsicherheit ziehen. Dabei hatten fast zwei Drittel der Unternehmen angegeben, sie würden Notfallpläne ausarbeiten und diese auch umsetzen, sollte bis Ende des ersten Quartals keine Übergangsfrist vereinbart sein. Erste Unternehmen haben auch bereits Maßnahmen getroffen.

Mit Blick auf die Gespräche über die zukünftige Beziehung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union (EU) nach Brexit Ende März 2019 plädiert Fairbairn für eine neue Zollunion. Keine der bislang öffentlich diskutierten Optionen – das sogenannte Kanada-Modell nach dem Vorbild des Freihandelsabkommens CETA und das sogenannte Norwegen-Modell auf Basis der Europäischen Freihandelszone EFTA – sei die beste Lösung für die Wirtschaft oder Großbritannien.

Dass die EU bislang darauf bestehe, dass nur eine der bereits bestehenden Optionen angewandt werden könne, sei enttäuschend, meint sie. Dabei habe die EU bereits gezeigt, dass sie „kreative Lösungen“ finden könne – etwa bei den Vereinbarungen mit der Türkei, Ukraine, der Schweiz und Norwegen.

Das Kanada-Modell – das als Grundlage für einen weitergehenden Deal in Großbritannien viele Anhänger gefunden hat – funktioniert aus Sicht der CBI-Chefin nicht für die britische Wirtschaft. „Es basiert auf dem Wunsch, zwei weit voneinander entfernte Länder zusammenzubringen“, sagte sie. Der Handel zwischen Kanada und der EU betrage gerade einmal zehn Prozent des gesamten Volumens – für Großbritannien sei die EU aber der wichtigste Handelspartner. „Wir können uns keine höheren Handelshindernisse leisten. Und auch die EU kann das nicht“.

Derzeit würden viele britische Unternehmen lediglich Angaben in einem einfachen Formular eintragen, wenn sie mit der EU handeln wollten. Sollte nach dem Brexit das Kanada-Modell eingeführt werden, müsste man jedoch ein 12-seitiges Formular ausfüllen, dazu noch eine Erklärung zur Mehrwertsteuer und der Herkunftsbescheinigung. Und allein für die Herkunftsbescheinigung sei der Vorschriftenkatalog genauso dick wie die Chroniken von Narnia, „aber wesentlich weniger unterhaltsam“.

Auch ein Abkommen mit der EU basierend auf den Vereinbarungen mit Norwegen sieht der CBI skeptisch, in erster Linie nicht wegen der wirtschaftlichen Faktoren, sondern weil sich das Land verpflichtet hat, die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes - freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital – anzuerkennen und Geld in den EU-Haushalt einzuzahlen. Die Briten würden aber mehr Kontrolle fordern.

Fairbairn plädiert als Repräsentantin der britischen Wirtschaft – 190.000 Unternehmen sind Mitglieder des Verbands – für eine neue Art der Zollunion, mit Einschränkung der Freizügigkeit von Personen, ohne Beitragszahlungen, dafür aber mit Abbau der wichtigsten Handelsbarrieren. „Wir müssen mit den Regelungen anfangen, die wir bereits auf beiden Seiten anwenden, und von diesem Punkt aus fortschreiten“. Wenn Großbritannien dann im Laufe der Zeit von diesen Regeln abweichen wolle, müsse man das besprechen.

Eines Tages würden unabhängige Handelsabkommen den Wert einer Zollunion mit der EU möglicherweise übersteigen, sagte sie in Richtung derjenigen, die bessere Chancen für Großbritannien im Handel mit Ländern außerhalb der EU sehen. „Aber der Tag ist noch nicht gekommen.“

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