Brexit-Verhandlungen Das europäisch-britische Armdrücken beginnt

Das Pokern um den Brexit beginnt. Zum Wochenstart treffen die Chefunterhändler von EU und Großbritannien in Brüssel aufeinander. Der britische Ex-Premier Tony Blair hofft derweil, dass der Brexit umgekehrt werden könnte.

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Austrittsverhandlungen mit Augenmaß? Quelle: AP

Brüssel Am Montag beginnt der Poker um die Scheidungsvereinbarung zwischen der EU und Großbritannien. EU-Chefunterhändler Michel Barnier und der britische Brexit-Minister David Davis kommen am Morgen im Kommissionsgebäude Berlaymont mit ihren Arbeitsstäben zusammen, um in der ersten Verhandlungswoche den Fahrplan für die weiteren Runden festzulegen.

„Jetzt beginnt die harte Arbeit“, sagte Barnier am vergangenen Mittwoch und zeigte sich mit den Vorbereitungen auf britischer Seite unzufrieden. Dort scheine man die Dringlichkeit nicht ernst genug zu nehmen. „Die Uhr tickt“, mahnte Barnier erneut mit Blick auf das britische Austrittsdatum am 29. März 2019. Denn um einen geordneten Austritt hinzubekommen, müssen die Verhandlungen bis Oktober 2018 abgeschlossen sein, damit die Ergebnisse termingerecht in allen EU-Staaten ratifiziert werden können.

Jeden Monat soll nun eine Woche lang verhandelt werden. Zunächst soll über die Rechte von britischen und EU-Bürgern im jeweils anderen Hoheitsgebiet, die britischen Finanzverpflichtungen gegenüber der EU sowie über den Umgang mit der Grenze zwischen Nordirland und Irland gesprochen werden. Erst danach soll das von Großbritannien gewünschte Freihandelsabkommen Thema sein. Dieses ist von besonderer Bedeutung für Großbritannien, da das Land den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen will.

In der britischen Regierung zeichnet sich nach den Worten von Finanzminister Philip Hammond eine Mehrheit für eine Übergangsphase beim Austritt ab. Noch vor fünf Wochen sei diese Idee komplett neu gewesen, sagte Hammond am Sonntag der BBC. Mittlerweile könne sich aber fast jeder am Kabinettstisch vorstellen, dass es eine Art Übergangszeit gebe. Diese Phase werde voraussichtlich einige Jahre dauern. Ihre Länge hänge davon ab, wie viel Zeit benötigt werde, neue Strukturen zu schaffen.

Hammond gilt als Fürsprecher eines „weichen Brexits“, bei dem ein weiterer Zugang zum europäischen Binnenmarkt angestrebt wird – auch bei Zugeständnissen in der Einwanderungspolitik.

In Brüssel ist man irritiert bis verärgert, dass die Mitglieder der britischen Regierung nicht immer mit einer Stimme sprechen. Dies wird durch die politische Lage auf der Insel verstärkt. Denn Premierministerin Theresa May ist nach der Parlamentswahl im Juni angeschlagen. Sie wollte durch das Vorziehen der Wahl ihre Parlamentsmehrheit vergrößern, um für den Brexit größtmögliche Rückendeckung zu haben. Stattdessen verlor sie die absolute Mehrheit und ist nun auf die Unterstützung einer kleinen nordirischen Partei angewiesen, deren Interessen gerade beim Brexit nicht immer mit der der Zentralregierung in London deckungsgleich sind.

In Brüssel stößt vor allem der Streit über die Brexit-Rechnung – jede Seite erhebt Zahlungsansprüche von Dutzenden Milliarden Euro – sauer auf. „Der erste echte Test der Verhandlungen liegt darin, dass sie zustimmen, die Rechnung zu bezahlen“, sagte ein ranghoher EU-Vertreter.


Notausgang für den Fall eines Stimmungsumschwungs?

Auch bei der sogenannten Freizügigkeit gibt es massive Differenzen. Barnier und der Chefunterhändler des Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, haben die Vorschläge Mays zu den Rechten der drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien nach dem Brexit als zu vage und unzureichend kritisiert. Ziel sei es, das gleiche Schutzniveau für die Bürger zu verankern wie im EU-Recht, sagt Barnier.

Die Freizügigkeit ist auch für die britische Wirtschaft wichtig, die auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist und sich immer größere Sorgen über die Folgen des EU-Austritts macht. Die Konjunkturaussichten beurteilen die Mitgliedsunternehmen der Britischen Handelskammern (BICC) inzwischen mau und fürchten Schlimmeres, sollte nicht bald mehr Klarheit herrschen.

Und in der Finanzindustrie, eine der Schlüsselbranchen in Großbritannien, hat die Ungeduld mit der Regierung schon konkrete Folgen. Die Abwanderung beginnt, Banken verlagern Jobs in die verbleibenden 27 EU-Länder. Denn nach dem EU-Austritt brauchen in London ansässige Finanzinstitute eine eigene Gesellschaft mit Banklizenz in einem EU-Land, um ihre Produkte und Dienstleistungen in den verbleibenden Staaten vertreiben zu dürfen.

„Es wurde viel geredet, aber nicht gehandelt“, sagte James Bardrick, Großbritannien-Chef der US-Großbank Citigroup Der Verwaltungsratschef einer der größten britischen Banken beklagt: „Jeden Tag kommen Leute in mein Büro und sagen, dass ich den Startknopf für den Brexit-Umzug drücken soll.“ Zum Ende des Sommers müsse er wohl grünes Licht geben.

Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair hofft derweil, dass die Idee des Brexits komplett in den Geschichtsbüchern als gescheitert eingehen könnte. Er pocht darauf, dass sich Großbritannien die Option offen halten sollte, doch in der Europäischen Union zu bleiben, sollte sich die Wählerstimmung während der Verhandlungsphase mit der EU ändern.

„Ich denke, es ist möglich, dass der Brexit nicht geschieht“, so Blair in einem Fernsehinterview am Sonntag. „Ich glaube, dass es absolut notwendig ist, dass er nicht geschieht. Denn jeder Tag bringt meiner Meinung nach frische Belege, dass er uns schadet.“

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