Brexit-Verhandlungen Hitzige Debatte im britischen Parlament

Die britischen Abgeordneten sind aus ihrer Sommerpause zurückgekehrt. Brexit-Minister David Davis erstattete ihnen Bericht über den Stand der Brexit-Verhandlungen. Doch nicht alle teilen seine Einschätzung.

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Das Thema „Brexit-Rechnung“ werde sich so schnell nicht erledigen, prognostizierte der Brexit-Minister. Quelle: AP

Dass der Sommer zu Ende ist, daran kann in London kein Zweifel mehr aufkommen. Der Himmel über der Stadt ist grau, es regnet in Strömen – und die britischen Parlamentarier haben am Dienstag zum ersten Mal seit ihrem Sommerurlaub wieder auf den grünen Banken im Parlament Platz genommen. Zum Auftakt hielt Brexit-Minister David Davis eine Rede über die Fortschritte in den Verhandlungen mit der EU. Gewohnt selbstbewusst betonte der Politiker, wie gut die Gespräche mit Brüssel laufen würden. Er hoffe, dass die Verhandlungen im Oktober in die nächste Phase gehen werden. Eine Einschätzung, für die er heftigen Widerspruch von der Opposition erntete. Es wurde laut.

Natürlich gebe es einige Dinge, bei denen man sich nicht einig sei, räumte Davis ein: Etwa den finanziellen Forderungen. Es sei klar, dass Brüssel die Diskussion um die Brexit-Rechnung als Druckmittel nutze. Aber die Zeit, in der Großbritannien „immense Summen nach Brüssel“ schicke, sei nach dem Brexit im März 2019 vorüber. Ob denn die Opposition bereit wäre, 100 Milliarden zu zahlen? Er jedenfalls werde da nicht mitspielen, verkündete der Brexit-Minister, der sich vor dem Referendum der Briten für den Ausstieg aus der EU eingesetzt hatte.

Das Thema „Brexit-Rechnung“ werde sich so schnell nicht erledigen, prognostizierte er. Die beiden Seiten seien in diesem Punkt „weit voneinander entfernt“. Aber es zeichne sich ab, dass einige Länder – etwa die Niederlande, Belgien und Dänemark – sehr wohl erkennen würden, welch „dramatische“ Folgen ein Bruch mit Großbritannien für ihre Wirtschaft haben werde, schilderte er den Abgeordneten. Er teile auch die Einschätzung eines anderen Abgeordneten, dass Großbritannien keine Probleme bekäme, wenn nach dem Brexit die Regeln der Welthandelsorganisation WTO angewendet würden.

Die Stimmung ist erkennbar gereizt, seitdem die beiden Verhandlungsteams nach der zweiten Gesprächsrunde am 31. August auseinander gegangen waren. Handelsminister Liam Fox schickte im Anschluss die Warnung in Richtung Brüssel, dass man nicht versuchen solle, Großbritannien zu „erpressen“. Viel Staub wirbelte ein Bericht auf, demzufolge EU-Verhandlungsführer Barnier gesagt haben soll, den Briten müsse „beigebracht werden“, dass sie für ihr Brexit-Votum einen Preis zu zahlen hätten. Offenbar waren seine Aussagen in der britischen Presse verzerrt dargestellt worden. Aber auch die Äußerung von Martin Selmayr, dem Kabinettschef von EU-Komissionspräsident Jean-Claude Juncker, es sei „dumm“, die EU zu verlassen, kam auf der Insel nicht gut an.

Dennoch scheint man in London zu der Einsicht zu kommen, dass man einen Schritt auf die EU zugehen muss. Im Kabinett der britischen Premierministerin Theresa May ist man sich offenbar einig, dass Großbritannien nach dem EU-Austritt im März 2019 noch eine mehrjährige Übergangsphase braucht, um der Wirtschaft den Abschied aus der Zollunion und dem Europäischen Binnenmarkt zu erleichtern. Zeitungsberichten zufolge ist die britische Regierung auch bereit, nach dem Brexit – auf mehrere Jahre verteilt – 50 Milliarden Pfund zu zahlen. Offiziell hält man sich in London bei dem Thema bedeckt, sehr zum Unmut der europäischen Seite. Eigentlich wollte EU-Verhandlungsführer Barnier beim EU-Gipfel im Oktober grünes Licht für den nächsten Schritt in den Brexit-Gesprächen geben. Dass das noch klappt, wird bezweifelt – selbst wenn Brexit-Minister Davis nun Zuversicht demonstrierte.

Im September will Premierministerin Theresa May eine Grundsatz-Rede zum Brexit halten und sich dafür einsetzen, dass die beiden Seiten die Verhandlungen intensivieren. Nach Aussage des Brexit-Koordinators des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, ist diese Rede für den 21. September geplant. Die britische Regierung wollte den Termin jedoch nicht bestätigen.

Immerhin zeichnet sich ab, dass die Premierministerin tatsächlich noch dazu kommen wird, eine Grundsatz-Rede zum Brexit zu halten. Spekulationen, dass die Regierungschefin kurz vor der Ablösung steht, haben sich nicht bewahrheitet. Nach dem desaströsen Abschneiden der konservativen Partei in den – von May vorgezogenen – Parlamentswahlen hatten ihr viele Abgeordnete aus der eigenen Partei Vorwürfe gemacht. Gerüchte kursierten, dass sie noch vor dem Parteitag Anfang Oktober abgelöst werden könnte. Doch viele Abgeordnete befürchten, dass die oppositionelle Labour-Partei bei Neuwahlen Einfluss gewinnen könnte, zumal kein Nachfolger für May in Sicht ist. „Im Moment“, erklärte der einflussreiche Tory-Abgeordnete Graham Brady nun in der BBC, „stehen die konservativen Abgeordneten solide hinter Theresa May“.

Wie stark der Rückhalt ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, wenn die Abgeordneten über einen für den Brexit vorgesehen Gesetzesvorschlag abstimmen müssen. Ab Donnerstag debattiert das Parlament erstmals über den sogenannten „Repeal Bill“, der die EU-Gesetze in nationales Recht umwandeln soll, damit Großbritannien nach dem Brexit nicht in ein legislatives Loch fällt. Am Montag soll darüber abgestimmt werden. Die Opposition hat bereits Widerstand angekündigt.

Das bringt die Regierung in eine heikle Lage, denn in den Parlamentswahlen hat sie ihre Mehrheit verloren. Selbst mit ihrem Partner, der nordirischen DUP-Partei, liegen die Konservativen nur knapp vorn. Der Herbst wird spannend.

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