Britische Kommunen haben gewählt Um Himmels willen, noch eine Wahl?!

Fünf Wochen vor den Parlamentswahlen fanden in Großbritannien Kommunalwahlen statt. Die konservative Partei von Premierministerin Theresa May kann das Ergebnis als Sieg verbuchen.

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London Die 75-jährige Brenda aus dem britischen Städtchen Bristol ist entsetzt. „Sie machen Witze, noch eine Wahl? Um Himmels willen, ich halte das nicht mehr aus!“, ruft sie, als der Reporter der BBC ihr von den bevorstehenden Wahlen im Juni erzählt. Brendas Reaktion zog in Großbritannien weite Kreise, denn sie spiegelt die Meinung vieler Briten wider. Nach dem Referendum im vergangenen Jahr stehen am 8. Juni die Parlamentswahlen an. Bereits an diesem Donnerstag fanden zudem in 34 Kommunen in England, Schottland und Wales sowie in sechs Metropolregionen Wahlen statt.

„Faszinierende Zeiten“, sagen Politikexperten wie Tony Travers von der London School of Economics (LSE) dazu. Er hatte gespannt auf die Ergebnisse aus den Lokalwahlen gewartet, schließlich werden diese als Zeichen gewertet, wie die Parteien in den – wesentlich wichtigeren – Parlamentswahlen in fünf Wochen abschneiden.

Die britische Premierministerin Theresa May hatte die Parlamentswahlen einberufen, um sich mehr Rückendeckung für die bevorstehenden Austrittsverhandlungen aus der EU zu verschaffen. May hat einen harten Kurs eingeschlagen, das sehen manche Brexit-Gegner mit Skepsis. Zudem machen sie May zum Vorwurf, dass sie kein direktes Mandat habe, weil sie nicht vom Volk gewählt wurde, sondern nach dem Rücktritt von David Cameron ins Amt kam.

Es war gleichwohl ein Risiko, Neuwahlen einzuberufen – zumal nicht wenige Briten wie Brenda reagieren. „Die Briten wählen gern“, sagt dazu Politik-Professor Travis, „aber nicht zu oft“.

Doch für die britische Premierministerin Theresa May sieht es nach Veröffentlichung der ersten Auszählungsergebnisse bei den Kommunalwahlen gut aus. Ihre konservative Partei konnte offenbar zahlreiche Wähler von den anderen Parteien weglocken und mehr Sitze in den Kommunen gewinnen.

Vor allem die Brexit-Partei Ukip kassierte eine herbe Schlappe. Für Politik-Professor John Curtice von der Universität Strathclyde zahlt sich damit die Strategie der Premierministerin aus, die Wähler von Ukip auf ihre Seite zu ziehen. Es sei das beste Ergebnis in Kommunalwahlen „seit zehn, vielleicht 25 Jahren“ für die Tory-Partei, sagte er im BBC-Fernsehen.

Insgesamt wurde über fast 4850 Posten abgestimmt. Am frühen Mittag nach Auswertung der ersten Stimmzettel konnte die Tory-Partei ein Plus von 170 Sitzen in den Kommunen verbuchen. Labour verlor unter dem Strich 132. Die Liberaldemokraten, die gegen den Brexit sind und sich daher Hoffnungen gemacht hatten, Brexit-Gegner von den Konservativen abzuluchsen, schnitten ebenfalls nicht besonders gut ab, auch sie lagen zunächst im Minus.  


Desaster für Ukip

Einen völligen Einbruch erlitt die Brexit-Partei Ukip: Sie verlor mindestens 44 Sitze. In allen bisher ausgewerteten Ergebnissen steht sie ohne ein einziges Mandat da. Für LSE-Professor Travers „ein klarer Indikator für die Schwierigkeiten, vor denen die Partei in den Parlamentswahlen steht“.

Politikprofessor Travers hatte seine Erwartungen an die Lokalwahlen in eine einfache Formel gepackt: Würden die Tories unter dem Strich auch nur einen Sitz verlieren, sei das schlecht, ein gutes Ergebnis wäre der Gewinn von mehr als 100 Sitzen. Für die Labourpartei sei ein Minus von mehr als 100 Plätzen schlecht, kein Verlust wäre ein positives Zeichen.

Es sind noch bei weitem nicht alle Stimmzettel ausgewertet, auch nicht die Resultate der Bürgermeisterwahlen. Doch wie die vorläufigen Ergebnisse in den Parteien aufgenommen wurden, spricht Bände: „Ich würde nicht das Wort Katastrophe verwenden, sondern lieber von einer Herausforderung“ sprechen, sagte Ukip-Kandidatin Lisa Duffy. „Wir wussten, dass es eine schwierige Nacht werden würde“. Und während die Mitglieder der Tory-Partei feiern, versuchte man bei Labour das Ergebnis schönzureden. „Es war nicht so vernichtend wie viele Experten erwartet hatten“, erklärte Labour-Politiker John McDonnell im britischen Fernsehen, Labour habe eine „solide Basis“ für die bevorstehenden Parlamentswahlen. Aber „natürlich bin ich enttäuscht“.

Die Schuld an dem schlechten Abschneiden der Labour-Partei geben viele Briten dem Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn. Der habe nicht genug für den Verbleib Großbritanniens in der EU gekämpft, wirft man ihm vor, und er sei nicht in der Lage, die Partei zu führen. Corbyn sei eine „Katastrophe“, sagte selbst der berühmte Wissenschaftler Stephen Hawking in einem Interview mit der „Times“. Jeremy solle „für das Wohl der Partei“ als Parteivorsitzender zurücktreten. Auch Premierministerin May ätzte im Parlament öffentlich gegen ihren Gegner, sprach damit aber vielen Briten aus dem Herzen: Er sei nicht in der Lage, ein Land zu führen, erklärte sie.

Bei der bevorstehenden Parlamentswahl werde die Labour-Partei eine böse Niederlage erleiden, ist man in Großbritannien sicher. Die bisher erhobenen Umfragen für die im Juni bevorstehende Wahl hatten die Tory-Partei 20 Punkte vor der Labour-Partei gesehen. Ein für politische Verhältnisse „immenser Vorsprung“, sagte Politik-Professor Simon Hix von der LSE. Die Auswertung der Kommunalwahlen scheint die Erwartungen zu bestätigen.

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