Britische Kronkolonie stemmt sich gegen Brexit Wie Spanier und Briten um Gibraltar ringen

Brexit: Spanier und Briten im Streit um Gibraltar Quelle: PR

Gibraltar gilt als Steuerparadies und beliebte Heimat von Glücksspielfirmen. Die Menschen in Gibraltar lehnen den drohenden Brexit ab – für die Spanier bedeutet er sogar schon Einkommensverluste.

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Miguel Vermehrens Vita ist typisch für Gibraltar. Der Kommunikationsexperte mit österreichischem Akzent ist eine Mischung aus vielen Kulturen, aber im Herzen doch sehr britisch. Sein Vater war deutscher Fernsehkorrespondent in Spanien. Er selbst ging in England zur Schule, arbeitete teilweise in Deutschland, blieb dann aber doch in Spanien hängen. Sein Job ist es, Gibraltar in Spanien zu promoten. Vermehren ist Chef der Presseabteilung der Regierung von Gibraltar. Kein einfacher Job, denn die Spanier wollen den an der Meerenge zu Afrika gelegenen Felsen wieder zurück haben. Bisher freilich ohne Erfolg. Spanien hat selbst zwei Exklaven in Marokko, Ceuta und Melilla, die dann konsequenterweise auch zur Disposition stünden.

Spanien bezeichnet den über 400 Meter hohen Felsen als Steuerparadies. Vermehren besteht aber darauf: „Es ist ein Niedrigsteuer-Gebiet ähnlich wie Irland. Hier kann man nicht anonym Geld bunkern oder ähnliches“. Vorwürfe wegen Geldwäsche gibt es dennoch immer wieder. Der 59-jährige Vermehren, der drei Sprachen spricht, hält dagegen: „Hier gibt es keine Kriminalität. Wir haben 30.000 Einwohner, aber bei uns im Gefängnis sitzen nur 47 Insassen. Hier wird nicht geklaut und es gibt auch keine Arbeitslosigkeit“.

Glaubt man ihm, gibt es auch keine Briefkastenfirmen, obwohl die Spanier von 30.000 dort registrierten Unternehmen ausgehen. Gibraltar weist offiziell nur die Hälfte aus. Klar ist: Wer durch die Altstadt schlendert oder um den 6,5 Quadratkilometer großen Felsen herumfährt, sieht vor allem Restaurants, Cafés und Shops, seltsame Denkmäler und sehr viele heruntergekommene Hochhäuser. Auch das sogenannte Ocean Village, wo einige Firmen, auch der deutsche Glücksspielanbieter Lottoland, zwischen Yachten und Cafés ihren Sitz haben, wirkt eher wie ein Freizeitpark.

„Der Finanzdienstleistungssektor ist hier sehr stark“, gibt Julian Byrne zu. Er ist Vorsitzender des Verbands kleiner und mittelständischer Unternehmen (Gibraltar Federation of Small Businesses). Gibraltar geht sehr offen mit virtuellen Währungen um. Diese werden allerdings auch immer wieder mit Geldwäsche in Verbindung gebracht. Auch viele europäische Online-Glücksspielanbieter haben hier ihren Sitz. „Wir haben die perfekte rechtliche und steuerliche Lage“, erklärt Lottoland CEO Nigel Birrell.
Trotz aller Verdächtigungen: die Briten scheinen in ihrer Rolle unantastbar. Das ärgert vor allem die Spanier auf der anderen Seite des Felsens. Denn hier herrscht eine Arbeitslosigkeit von 35 Prozent und es wird einiges „schmutziges“ Geld erwirtschaftet. In der 64.000-Einwohner-Stadt La Linea de la Concepción etwa wird ein Großteil des Haschischs, das über die Meeresenge aus Marokko nach Europa kommt, mit High-Speed-Booten an den Strand gebracht und dann weiter in Geländewagen nach Europa transportiert. Im benachbarten Hafen von Algeciras wird zudem ein Großteil des in Europa verkauften Kokains eingeführt, zudem immer mehr Heroin.

Spaniens verständlicher Neid auf Gibraltar

Immer wieder ist zwischen der britischen und der spanischen Regierung Thema, ob Gibraltar die Hoheit über seine Gewässer und seinen Luftraum hat. Die Spanier berufen sich darauf, dass im Frieden von Utrecht von 1713, der die Übergabe des Felsens an die Briten regelte, diese Rechte nicht aufgeführt wurden. Die Briten argumentieren, dass es damals noch keine High-Speed-Boote und Flugzeuge gab. Immer wieder geraten daher spanische Fischerboote zwischen die Fronten dieses bilateralen Machtspiels.

Der CEO von Lottoland, Nigel Birrell, in Ocean Village.Foto: Stefanie Claudia Müller

Der seit 2011 regierende und in Gibraltar geborene Ministerpräsident Fabian Picardo versucht die Spanier mit Jobs bei Laune zu halten. In der Amtszeit des linken Politikers wuchs die Zahl der spanischen Beschäftigten dort um sechs Prozent auf rund 13.200. Sie arbeiten in Restaurants, Geschäften und Banken, wo sie meist deutlich mehr verdienen als auf der spanischen Seite. Jeden Tag müssen sie über den Grenzübergang, wo sie genau kontrolliert werden. Gibraltar gehört nicht dem Schengen-Abkommen an. Bei der Rückkehr nach Spanien werden sie dagegen weniger kontrolliert, so scheint es. „Obwohl man ja eigentlich Alkohol und Zigaretten schmuggeln könnte“, sagt der 43-jährige spanische Künstler Nacho Rivas Navarro, der das erste Mal die Kronkolonie besucht hat. Ein Indiz: Nur sieben Prozent des in Gibraltar gekauften Tabaks werden dort auch konsumiert, rechnet der spanische Branchenverband Unión de Asociaciones de Estanqueros vor.

Spanien straft Gibraltar mit Ignoranz

Der Flughafen am Ortseingang von Gibraltar und auch das Fußballstadion zeigen, wie eingeschränkt die Briten trotz aller steuerrechtlichen Vorteile zumindest bei der Logistik sind. Bei jedem Start oder Landung eines Flugzeugs muss der gesamte Grenzverkehr gestoppt werden. Und die Spanier wollen keinen Pfennig investieren, um das zu ändern, auch wenn es für sie wegen der wirtschaftlichen Verknüpfungen sinnvoll wäre. Auch die eigene Fußball-Liga anzuschauen ist in Gibraltar nicht leicht. Das „Victoria Stadium“ liegt direkt neben dem Flughafen und einer der zahlreichen Tankstellen.

Gibraltar will in der EU bleiben

Viele Besucher wie Rivas kommen nur zum Tanken auf den Felsen, weil der Sprit hier wesentlich billiger ist. Oder zum Tabakkauf: Zigaretten sind auf dem britischen Gibraltar um fast 50 Prozent billiger. Weshalb es auch organisierte Schmuggler gibt. Den Ärger damit hat in diesem Fall wieder die spanische Polizei. Seit im Juni 2017 ein Polizist bei der Verfolgung eines Schmugglers ums Leben kam, ist auch der Blick der internationalen Medien auf das „Campo de Gibraltar“ gerichtet. Das freut den Bürgermeister von La Linea de Concepción, Juan Franco: Er kämpft gegen die Unsicherheit und Armut in seiner Stadt, was seiner Ansicht nach auch an der Ignoranz der spanischen Regierung liegt: „Die Region hier wurde bisher vernachlässigt“.

In Gibraltar gibt es alles - nur keinen Platz. Auf sechs Quadratkilometer Felsen muss man gut organisieren. Der Flughafen liegt zwischen Grenzeingang und Stadt. Wenn ein Flugzeug landet oder startet, muss der Verkehr gesperrt werden.Foto: Stefanie Claudia Müller

Damit es mehr Zusammenarbeit gibt, meint Kommunikationsprofi dass Spanien alter Vorurteile beiseitelassen sollte: „Gibraltar will seinen Beitrag zu mehr Sicherheit in der Region und zu ihrem wirtschaftlichen Aufschwung leisten“, versichert er. „Die Briten dort sind wie ihr Ministerpräsident mitten in Europa groß geworden. Sie wollen den Brexit nicht, sie wollen müssen aber dem britischen Referendumsergebnis folgen. Die von der EU verlangten Verhandlungen zwischen Briten und Spaniern wie die post-Brexit Zukunft Gibraltars ausschauen sollte, bietet eine Chance die Beziehung Gibraltars zu seinem Hinterland ins 21. Jahrhundert zu bringen. Und zwar unter Auslassung der Souveränitätsfrage,“ sagt Vermehren. Knapp 96 Prozent sprachen sich in der Kronkolonie im Referendum im Juni 2016  gegen den Austritt aus der EU aus. „Wir hätten klare Nachteile zum Beispiel bei der Gesundheitsversorgung unserer Bürger in Spanien und auch bei vielen alltäglichen Dingen. Wir sind hier pro-europäisch“, gesteht Byrne vom Unternehmerverband.

Für die Spanier, die in Gibraltar arbeiten, ist der Brexit schon Realität. Durch den Wertverlust des britischen Pfunds gegenüber dem Euro haben sie vom ersten Tag an Einkommensverluste erlitten. „Spanien und die EU sollten nicht nur gegen Gibraltar kämpfen, auch die wirtschaftlichen Vorteile sehen, die die Kronkolonie bietet“, wirbt Vermehren für sein Land. Schon heute trägt Gibraltar um 25% des Bruttoinlandprodukts der spanischen Grenzregion bei. Das könnte sich vervielfachen mit modernen grenzüberschreitenden Vereinbarungen.

Nach viel Ärger beim Fußball - Spanien wollte bisher nicht, dass Gibraltar auf spanischem Boden spielt - setzen viele in beiden Ländern jetzt auf den Sport als zukünftigen Vermittler. Einer der Clubs der eigenen Liga in Gibraltar hat es jetzt ins UEFA-Turnier geschafft. Die spanischen Proteste halfen nichts. Die FIFA will das bisher sehr kleine „Victoria Stadium“ ausbauen, damit die Kronkolonie demnächst zuhause spielen kann und nicht wie manchmal für internationale Begegnungen nach Portugal ausweichen muss.

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