Bürgerkrieg in Syrien In Damaskus scheint der Krieg fern

Die Waffenruhe in der syrischen Hauptstadt Damaskus hält. Luftangriffe, Hunger und Tod scheinen weit entfernt – dabei sind sie nur wenige Kilometer entfernt. Präsident Baschar al-Assad hat einen Rumpfstaat erschaffen.

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Die Lage in der syrischen Hauptstadt Damaskus scheint entspannt. Doch nur wenige Kilometer entfernt tobt der Bürgerkrieg. Quelle: dpa

Damaskus Wer sich dieser Tage in der syrischen Hauptstadt umsieht, kann verstehen, warum Präsident Baschar al-Assad es bei den Friedensgesprächen in Genf mit Zugeständnissen nicht eilig hat. In Damaskus lässt sich der Krieg leicht vergessen. Die Luftangriffe, die Trümmer und der Hunger, teils nur wenige Kilometer entfernt, scheinen weit weg. Seit Ende Februar eine Waffenruhe in Kraft trat, hörte der Beschuss aus Vororten unter Kontrolle der Opposition praktisch auf.

Entlang der Straße an die Küste, wo die Bevölkerung regierungstreu ist, und aus den meisten Teilen Zentralsyriens wurden die Aufständischen vollständig vertrieben. Assad hat damit das Überleben eines Rumpfstaats sichergestellt, über den er herrschen könnte, sollte der Krieg noch lange andauern. Auch wenn seine Truppen kaum Chancen haben, kurzfristig weite Teile des Landes zurückzuerobern, hat die russische Militärintervention den Verlauf des Konflikts zu ihren Gunsten verändert.

„Die Leute sind viel entspannter als vorher, wir fühlen uns sicherer“, sagt die Studentin Maha Arnus, die mit einer Freundin über den belebten Hamadija-Suk in der Altstadt bummelt. Der Basar hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Soldaten sitzen am Eingang unter einem großen Porträt Assads und überprüfen Passanten.

Männliche Fußgänger werden in den engen Seitenstraßen an Kontrollposten von Bewaffneten abgetastet. Vor den Geschäften überschreien Verkäufer den Lärm stotternder Generatoren, die laufen, wenn es keinen Strom gibt - mindestens zehn Stunden täglich.

In Bab Tuma, einem vor dem Krieg bei Touristen beliebten christlichen Altstadtviertel, durchsucht ein Kämpfer der Hisbollah-Miliz an einer Kontrollstelle Fahrzeuge. Die Gäste in den Restaurants nehmen davon kaum Notiz, sie genießen das Mahl mit Angehörigen und Freunden. Neue Lokale und Cafés haben eröffnet, in denen die Gäste Wein trinken, essen oder Karten spielen können.

Nur 20 Minuten Fahrtzeit entfernt kommt es im Viertel Jarmuk zu Gefechten zwischen verschiedenen extremistischen Gruppen. Zuletzt mangelte es deshalb nach UN-Angaben rund 6000 Familien an Nahrungsmitteln und Wasser. In dem Viertel bekämpfen sich Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat und der Nusra-Front, dem syrischen Ableger von Al-Kaida. Regierungstruppen beschießen es regelmäßig von außerhalb. Daraja, ein von Aufständischen gehaltenes Gebiet nur zehn Kilometer südwestlich von Damaskus wird seit mehr als drei Jahren von Regierungstruppen belagert. Weil die syrische Regierung keine Hilfslieferungen zulässt, essen Menschen dort laut UN inzwischen sogar Gras.


Waffenruhe in der Provinz Aleppo zusammengebrochen

Assad kontrolliert etwa ein Drittel des Landes, darunter die meisten der größeren Städte. In den anderen Gebieten kommt es immer wieder zu Kämpfen, und in der nordsyrischen Provinz Aleppo ist die Waffenruhe praktisch zusammengebrochen. Doch in Assads Drittel haben militärische Zugewinne den Bewegungsspielraum erweitert. Die Menschen können sich frei zwischen der Hauptstadt und den Küstenprovinzen Tartus und Latakia bewegen, und die Straßen nach Homs und Palmyra im Osten wurden sicherer. Damaskus zählt zu den wenigen Städten, die von Gewalt wie in Homs oder Aleppo verschont blieben.

Die Regierung achtet darauf, den Anschein von Normalität zu wahren. Die Polizei regelt den Verkehr, die Straßen werden gereinigt, Parks gepflegt. Mitte April wurde in den Gebieten unter Regierungskontrolle eine Parlamentswahl abgehalten, die Beteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 57 Prozent. „Nach fünf Jahren kämpft das syrische Heer überall und erringt mit Unterstützung seiner Freunde und Verbündeten Siege“ sagte der stellvertretende Außenminister Faisal Mekdad der Nachrichtenagentur AP. Eines Tages werde die Regierung wieder die volle Kontrolle über das Land haben, erklärt er. Dies würde jedoch ein langfristiges Engagement Moskaus voraussetzen, was nicht garantiert ist.

Doch vorerst genießt Assad weiterhin die Unterstützung seines mächtigen Verbündeten und kann es sich leisten, bei den Gesprächen in Genf auf seinem Standpunkt zu beharren. Assad wird auch noch immer von einem bedeutenden Teil der Gesellschaft unterstützt - auch deshalb, weil manche Menschen die Alternative, sofern es eine gibt, für noch schlimmer halten. Viele haben für die Opposition nur Verachtung übrig und sehen sie als bezahlte Agenten ausländischer Mächte.

In Damaskus sorgen sich die Menschen vor allem um das syrische Pfund, das in den vergangenen Wochen rapide an Wert verlor. Ein Dollar kostet auf dem Schwarzmarkt derzeit etwa 500 Pfund, bei Kriegsbeginn vor fünf Jahren waren es 47. Die Inflation ist außer Kontrolle, selbst Grundnahrungsmittel können sich viele Menschen kaum noch leisten. Alle sind sich einig, dass der Konflikt noch lange dauern wird. Inzwischen glauben aber wieder mehr Menschen daran, dass Assad die Oberhand gewinnen oder zumindest seine Amtszeit beenden wird. Und sie sind entschlossen, bis dahin einfach ihrem gewohnten Alltag nachzugehen.

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