Bürgermeisterwahl Warum ein linker Muslim bald London regieren dürfte

Der Sohn eines pakistanischen Busfahrers tritt gegen einen Millionär an: Unterschiedlicher könnten die Anwärter auf Londons Bürgermeisteramt nicht sein. Die Wahl am Donnerstag ist auch wegen der Brexit-Debatte brisant.

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Londons Sonderwege in Europa
1960Als Gegengewicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wird auf Initiative Londons die Europäische Freihandelszone (EFTA) gegründet, die keine politische Integration anstrebt. Im Bild: Der damalige EFTA-Generalsektretär Kjartan Joahnnsson (rechts) mit seinem Vorgänger Georg Reisch (links) zu den Feierlichkeiten zum 40-jährigen BEstehen der EFTA in Genf. Quelle: REUTERS
Charles de Gaulle Quelle: AP
Premier Harold Wilson Quelle: REUTERS
Margaret Thatcher Quelle: AP
1990Die EG-Länder beschließen im Schengener Abkommen die Aufhebung der Passkontrollen an den Binnengrenzen. Großbritannien macht nicht mit. Quelle: AP
John Major, ehemaliger Premier Großbritanniens Quelle: REUTERS
Premier Tony Blair Quelle: AP

London Die warnenden Worte waren ebenso ungewöhnlich wie vielsagend. „Das ganze Land wird den Preis bezahlen“, warnte kürzlich der britische Premierminister David Cameron, wenn die Hauptstadt den Labour-Kandidaten Sadiq Khan zum neuen Bürgermeister wähle. Denn London werde dann zu einem „Testlabor“ für die Politik des neuen linke Labour-Führers Jeremy Corbyn.

Es sind markige Worte, mit denen Cameron in die heiße Phase der Bürgermeisterwahl in der Acht-Millionen-Metropole London eingreift. Doch der Umstand, dass der mächtigste Mann der britischen Regierung sich überhaupt in den Ausgang einer Bürgermeisterwahl einmischt, beweist unfreiwillig noch etwas anderes: Wie prekär die Lage der regierenden Konservativen wenige Tage vor diesem prestigeträchtigen Urnengang in der britischen Hauptstadt ist.

Denn der Labour-Kandidat Khan, Sohn eines pakistanischen Busfahrers, steht kurz davor, bei der Wahl am 5. Mai die Kapitale von den Tories zurückzuerobern. Seit 2008 schwingt der populäre Konservative Boris Johnson das Zepter in der Hauptstadt. Die Umfrageergebnisse sehen derzeit mehrheitlich Khan als Favorit an den Urnen, was den Ton der Tories gegen den Labour-Kandidaten nun immer schriller werden lässt.

Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa

Die Kampagne des konservativen Kandidaten Zac Goldsmith kommt nicht wirklich vom Fleck. Dabei haben die Tories mit dem 41-Jährigen, Sohn des Milliardärs Sir James Goldsmith ist, einen blütenreinen Repräsentanten der britischen Oberschicht in das Rennen um das Londoner Bürgermeisteramt geschickt. Noch vor einem Jahr galt Zac Goldsmith als Favorit für die Bürgermeisterwahl.

Bei der Wahl treten nicht nur zwei sehr unterschiedliche politische Konzepte an, sondern auch zwei sehr unterschiedliche Männer. Während die Konservativen um Premierminister Cameron mit Goldsmith erneut einen Vertreter der Oberschicht zum Spitzenkandidaten machten, hat Labour mit Khan auf einen Kandidaten gesetzt, der eine Art Gegenprogramm darstellt. Schon im Herbst sah die Zeitung „The Guardian“ einen „persönlich und politisch faszinierenden Kampf“ um das Londoner Rathaus.

Khan versus Goldsmith – das ist ein politisches Duell der Gegensätze: der linke Weltverbesserer gegen den vermögendsten Abgeordneten des Unterhauses; der benachteiligte Sohn eines Busfahrers gegen den privilegierten Eton-Zögling; der Muslim aus einer zehnköpfigen Familie gegen den Millionär mit großem Haus im feinen Stadtteil Barnes.

Das Votum in London wird nicht nur eine erste Bewährungsprobe für den neuen Labour-Führer Corbyn. Die Abstimmung gewinnt auch dadurch an Bedeutung, dass sie in der Brexit-Debatte für neuen Zündstoff sorgen könnte. Zwar stehen im Londoner Wahlkampf vor allem Themen wie die immer höheren Haus- und Wohnungspreise sowie die rasant steigenden Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr im Vordergrund. Aber auch in der Brexit-Debatte stehen Khan und Goldsmith auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade.

So plädiert Goldsmith wie Boris Johnson, der Wortführer der Brexit-Anhänger, offen für einen EU-Austritt. Diesen lehnt dagegen Konkurrent Khan dagegen ab. Goldsmith setze damit Jobs, die Lebensqualität und die Sicherheit der Hauptstadt aufs Spiel, giftet der Labour-Mann in Richtung des Tories.

Das ist ein klares Bekenntnis pro Europa, das in London mit seinem hohen Anteil an EU-Bürgern taktisch klug sein könnte. Die Rekordzahl von 559.500 EU-Ausländern ist zur Bürgermeisterwahl registriert. Angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens in London könnte diese Gruppe letztlich wahlentscheidend sein, wie bereits die die Londoner Zeitung „Evening Standard“ unkte.

Doch Goldsmith scheint das nicht zu scheren. Der Mann, der in zweiter Ehe mit einer gebürtigen Rothschild verheiratet ist, gibt sich gerne als Querdenker und Rebell. Seine finanzielle Unabhängigkeit hat er in den vergangenen Jahren vielfach dazu genutzt, sich als Freigeist zu profilieren, als unbequemen Abgeordneten im Unterhaus. Ein Charakterzug, den er nun auch als Bürgermeister-Kandidat zeigt.

So ist der Brexit nicht das einzige Thema, bei dem der konservative Abgeordnete im Widerspruch zu seinem Regierungschef steht. Auch in einer anderen wichtigen Frage für London bewegt sich Goldsmith auf Kollisionskurs: Er lehnt einen Ausbau des größten Londoner Flughafens Heathrow strikt ab.

Im Vergleich mit Goldsmith ist der grauhaarige Sadiq Khan – trotz seines smarten Aussehens – weit weniger schillernd und glamourös. Der 44-Jährige ist der Sohn eines aus Pakistan eingewanderten Busfahrers und einer Näherin. Er wuchs in einer Sozialwohnung in Süd-London auf, wo er ein Schlafzimmer mit zwei Brüdern teilen musste. Nach einem Jurastudium hat sich Khan nach oben gearbeitet. 2009 wurde er der erste muslimische Staatsminister im Verkehrsministerium des Vereinigten Königreichs.

Schillernder Querkopf versus Wahlkampf-Profi

Anders als Goldsmith ist Khan ein Polit-Profi, der weiß, wie man einen Wahlkampf organisiert. So kann er sich Labours Wahlerfolg bei den Unterhauswahlen – wo die Partei ganz im Gegensatz zum nationalen Trend – sieben Wahlkreise hinzugewann. Vor allem aber weiß Khan, wo dem normalen Londoner der Schuh drückt.

Zudem kommt ihm die politische Stimmung in der Stadt zu gute. Denn London ist – ungeachtet des Erfolgs von Johnson – eigentlich traditionell eine Labour-Stadt. So wählten bei den letzten Parlamentswahlen im vergangenen Mai die meisten Bezirke eher links. Bei der Unterhauswahl im vergangenen Mai kam Labour in London auf 44 Prozent nach zuvor 37 Prozent. Dagegen erreichten die Konservativen nur 35 Prozent.

Allerdings hat der Konservative Johnson bereits zwei Mal demonstriert, dass ein Tory auch in der eher linken Metropole gewinnen kann. Freilich nimmt Johnson in seiner Partei eine Sonderrolle ein: Er verkörpert zwar durch und durch die britische Oberschicht. Aber zugleich ist er ein Exzentriker und aufmüpfiger Parteirebell, der seinem eigenen Kopf folgt – was ihm in London einen Sonderstatus gibt.

Was die Briten an der EU stört
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Die Bürgermeisterwahl ist für Labour-Führer Corbyn der erste wichtige Testlauf. Entsprechend stark hängt sich die Opposition ins Prestigeduell um den Chefposten in der britischen Hauptstadt.


Ein Muslim kämpft für die Homo-Ehe

Khan kämpft in London auch gegen einen unsichtbaren Feind: die Ressentiments gegen seinen Glauben. Mit dem Gedanken, von einem muslimischen Bürgermeister regiert zu werden, können sich einer Umfrage zufolge viele Londoner nicht anfreunden. Ein Drittel der Londoner ist bei dieser Vorstellung unwohl, wie die Erhebung ergab.

Dieses Unbehagen versucht das Goldsmith-Lager noch zu schüren – mit dem Hinweis auf gemeinsame Auftritte des Menschenrechtsanwalts Khan mit radikalen islamischen Predigern und mit der Behauptung, es habe bei Labour in den vergangenen Monaten „radikale Veränderungen“ gegeben. Prompt warfen Labour-Politiker den Konservativen „rassistische Anfeindungen“ vor.

Demonstrativ fordert Khan deshalb scharfe Terrorregeln für die britische Hauptstadt. Er werde „der britische Muslim sein, welcher den Kampf gegen die Extremisten aufnimmt“, verspricht Khan. Der muslimische Menschenrechts-Aktivist entspricht auch sonst nicht gängigen Stereotypen: Er setzt sich offen für die Homo-Ehe ein und begann seine Wahlkampfkampagne vor einem Londoner Pub – obwohl er keinen Alkohol trinkt.

Bei vielen Londonern stößt das offensichtlich auf Sympathie. Denn anders als Goldsmith trauen viele Khan zu, dass er ihre Probleme kennt und versteht. Wenn sich der Millionärssohn Goldsmith dagegen für mehr bezahlbaren Wohnraum in London und hohe Investitionen in den Nahverkehr ausspricht, unterstellen ihm viele Kritiker, dass da ein Mensch über Probleme redet, die er maximal aus der „Times“ kennt, die er zum Frühstück gereicht bekommt.

Goldsmith gelang es nicht, im Wahlkampf um das Londoner Bürgermeisteramt ein wirklich ein bewegendes Wahlkampfthema zu finden. Stattdessen setzte er von Anfang an stark auf die Nähe zu Amtsinhaber Johnson. „Die Strategie von Goldsmith war, im Grunde zu versprechen: 'wählt mich und ich mache alles so weiter wie Johnson'“, findet der Politologe Simon Hix von der London School of Economics (LSE). Das sei für potenzielle Wähler eine schwache Motivation. Ganz anders sei es bei Labour-Anhängern: Mit Khan gibt es die Chance, nach acht Jahren das Bürgermeisteramt zurückzuerobern – und dazu erstmals einen Muslim auf den prestigeträchtigen Posten zu hieven.

Was sagt der mögliche Sieger der Bürgermeisterwahl? Als Khan kürzlich gefragt wurde, ob ihn die Perspektive mit Stolz erfülle, dass er bald als erster Muslim eine westliche Metropole regieren könnte, reagierte er mit britischem Humor. „Das ist mal wieder typisch“, sagte Khan. „Da warten die Muslime Jahrzehnte darauf, dass ein pakistanischer Busfahrer-Sohn daher kommt – und dann kommen gleich zwei auf einmal." Damit spielte Khan auf den britischen Minister Sajid Javid, ebenfalls ein Muslim, an. Über diesen Witz dürften Zac Goldsmith und die Londoner Konservativen kaum lachen.

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