Bundesaußenminister Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan: Heiko Maas lehnt Rücktritt ab

Heiko Maas: In den vergangenen Tagen hat es von verschiedenen Seiten Forderungen nach einem Rücktritt des Außenministers gegeben. Quelle: dpa

Bundesaußenminister Maas hat sich in einem Interview zu der Forderung nach seinem Rücktritt geäußert. Tipps zur „Kunst guter Außenpolitik“ kommen von Armin Laschet.

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Außenminister Heiko Maas denkt nach eigenen Angaben wegen des Afghanistan-Debakels nicht an Rücktritt. Auf die Frage, ob er darüber nachgedacht habe, sagte der SPD-Politiker dem Magazin „Der Spiegel“: „In den vergangenen Tagen habe ich nur an eines gedacht, nämlich aus den Fehlern, die wir alle gemacht haben, die Konsequenz zu ziehen und dafür zu sorgen, so viele Leute aus Afghanistan rauszuholen wie möglich.“ Das sei „die verdammte Pflicht von jedem, der an der Entwicklung der letzten Tage und Wochen beteiligt war“.

In den vergangenen Tagen hatte es von verschiedenen Seiten Forderungen nach einem Rücktritt des Außenministers gegeben. CSU-Chef Markus Söder sprach sich dafür aus, dass Maas nach der Bundestagswahl im September nicht mehr dem Kabinett angehört. Dazu sagte der SPD-Politiker in dem am Freitag veröffentlichten Interview: „Ich würde erstmal abwarten, welche Partei der nächsten Bundesregierung überhaupt angehört. Das ist ja offener als viele dachten. Und wie meine berufliche Zukunft aussieht, ist wirklich das Letzte, woran ich im Moment einen Gedanken verschwende.“

Maas hat den Afghanistan-Experten Markus Potzel nach Doha im Golfemirat Katar geschickt, um mit Unterhändlern der militant-islamistischen Taliban über die Ausreise afghanischer Ortskräfte zu sprechen. Der Diplomat, der ursprünglich im August als neuer Botschafter nach Afghanistan entsandt werden sollte, führt seit Mittwoch Gespräche mit Vertretern der Taliban. „Er wird seine Gespräche auch mit internationalen Partnern fortsetzen“, erklärte das Auswärtige Amt am Donnerstagabend auf Twitter.

„Wunsch nach einer geordneten Migration“

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet befürwortet diplomatische Gespräche mit den Taliban, um gefährdeten Menschen in Afghanistan zu helfen. „Die Kunst guter Außenpolitik besteht gerade darin, mit solchen Staaten zu Lösungen zu kommen, deren Ziele und Menschenbild unsere Gesellschaft zu Recht ablehnt“, sagte Laschet der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag). „Den Dialog mit den Taliban zu verweigern, würde den Menschen nicht helfen, die aus Afghanistan herauswollen“, sagte Laschet, der auch CDU-Chef ist. Eine von ihm geführte Bundesregierung sähe es als ihre Pflicht an, all diejenigen aufzunehmen, die Deutschland beim Einsatz der letzten Jahre geholfen hätten. „Wir haben hier eine Schutzverantwortung. Auch über den heutigen Tag hinaus.“

Laschet sagte, es gebe sicher eine große Bereitschaft in Deutschland, die Menschen aufzunehmen, die Deutschen in Afghanistan geholfen hätten - und darüber hinaus auch besonders bedrohte Menschen. „Die Furcht vor den Taliban, vor deren Unterdrückung und Gewalt, kann, glaube ich, jeder nachvollziehen“, führte er aus. „Gleichzeitig gibt es aber auch den Wunsch nach einer geordneten Migration.“ Was sich nicht wiederholen dürfe, seien „unkontrollierte Zustände wie im Syrien-Konflikt“. Die meisten Menschen werden nach Laschets Worten in die Nachbarländer Afghanistans fliehen. „Daher ist die Priorität, Hilfe in der Region zu leisten. Wir müssen die Nachbarländer unterstützen und sie gleichzeitig an die Verantwortung erinnern, die sie für die Region tragen.“

Maas forderte, Afghanistan dürfe sich „nicht noch einmal wiederholen“. Die Nato-Partner müssten diskutieren, ob das Verteidigungsbündnis überhaupt geeignet sei, Einsätze außerhalb des eigentlichen Auftrags zu führen - auch, ob es Aufgabe der Nato sei, für Frieden und Menschenrechte zu sorgen. Weiter plädierte Maas dafür, dass sich die europäischen Nato-Mitglieder eine größere Unabhängigkeit von den USA verschaffen. „Wir müssen viel politischer diskutieren, ehe wir unsere Soldaten irgendwo hinschicken. Sonst besteht die Gefahr, dass wir immer nur die Entscheidungen Washingtons nachvollziehen - egal, wer dort Präsident ist.“

Aktuell ist Joe Biden dort Präsident, der sich zu den Entwicklungen in Afghanistan bislang kaum geäußert hat. Das will er an diesem Freitagabend deutscher Zeit tun. Er hatte zuletzt immer wieder den Abzug der US-Truppen trotz der raschen Machtübernahme durch die Taliban vehement verteidigt. Seine Entscheidung zum Abzug und Vorwürfe, die US-Regierung habe nicht rechtzeitig auf Warnungen gehört, sorgen für Kritik an Biden.

CNN berichtete, im Juli hätten US-Diplomaten ein geheimes Schreiben an US-Außenminister Antony Blinken geschickt und darin schnelles Handeln gefordert. „Soweit ich weiß, wurde in dem Telegramm der mögliche Sturz der afghanischen Regierung nach dem Abzug der US-Truppen am 31. August vorausgesagt“, sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Jonathan Finer dazu. „Ich denke, das Telegramm spiegelt wider, was wir schon die ganze Zeit gesagt haben.“ Niemand habe erwartet, dass die afghanische Regierung und Armee binnen weniger Tage kollabieren würden.

Finer bekräftigte den Plan, die Evakuierungsaktion bis Ende August abzuschließen - bis dahin wollten die USA eigentlich auch ihre Truppen aus Afghanistan abgezogen haben. „Wir glauben, dass wir die Amerikaner, die ausreisen wollen, bis zum 31. August rausholen können“, sagte er. Ähnlich hatte sich am Vortag auch Biden geäußert - ohne einen längeren Verbleib im Notfall auszuschließen, sollten noch US-Amerikaner in Afghanistan sein. Ob dies auch für afghanische Helfer gelte, ließ er offen.

Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums seien in engem Kontakt mit den militant-islamistischen Taliban außerhalb des Flughafens, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. „Wir wollen nicht, dass jemand belästigt oder verletzt wird.“ Kirby betonte, dass man keinen kompletten Überblick darüber habe, was außerhalb des Flughafens passiere und ob auch Menschen mit US-Pässen oder Visa von den Taliban schikaniert würden. Man habe am Flughafen zusätzliche Gates geöffnet, um die Evakuierung zu beschleunigen.

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Die Journalistin Ayesha Tanzeem vom US-Auslandssender Voice of America berichtete via CNN von „grausamen Szenen“ rund um den Flughafen. Die Situation sei genauso schlimm, wie es auf zahlreichen Videos zu sehen sei - und werde immer schlimmer. Sie selbst sei erst beim dritten Anlauf in den Flughafen gekommen und habe stundenlang im Gedränge gestanden.

Mehr zum Thema: Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bietet nur noch eine Fluglinie Verbindungen ins Ausland an: Kam Air. Ihr Inhaber gilt als zwielichtig, unerschrocken – und extrem erfolgreich.

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