Bundeskanzlerin in Saudi-Arabien Angela Merkels Wechselbad am Roten Meer

Die Länder Deutschland und Saudi-Arabien könnten kaum unterschiedlicher sein. Doch trotz Menschenrechtsverletzungen, mangelnder Frauenrechte und Unfreiheiten: Nicht in die Wüste zu reisen, wäre für Merkel die schlechtere Lösung.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch beim saudischen König in Saudi-Arabien. Quelle: AP

Es sind heiße 35 Grad, als die Kanzlerin in Dschidda landet - gut fünf Stunden nach der Enteisung ihres Flugzeugs wegen Minusgraden in Berlin. Als stünden die Temperaturunterschiede auch politisch für das Wechselbad, das eine Reise von Deutschland nach Saudi-Arabien gemeinhin mit sich bringt.

Das reicht von Freizügigkeit, Freiheitsrechten, Religionsfreiheit in einer Demokratie bis zur Verschleierung von Frauen, öffentlichen Auspeitschungen und Strafen bei nichtmuslimischen Glaubensbekundungen in einem autokratischen System. Es prallen zwei Welten aufeinander, wenn Angela Merkel und der saudische König Salman zusammenkommen. Und dennoch wird am Sonntag schnell klar: Sich nicht zu treffen, wäre die schlechtere Lösung. Das Land mit seinen rund 30 Millionen Einwohnern ist aus deutscher Regierungssicht „dramatisch wichtig“ für die gesamte konfliktreiche Arabische Welt.

Der Syrien-Krieg, wo Saudi-Arabien in der US-geführten Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpft. Der regelrechte Hass zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, der wiederum an der Seite des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad steht. Der Konflikt im benachbarten Jemen, wo das sunnitisch geprägte Saudi-Arabien mit Verbündeten schiitische Huthi-Rebellen - und auch immer wieder Zivilisten - bombardiert. Die Bundesregierung befürchtet eine weitere Eskalation. Merkel unterstützt die Bemühungen der Vereinten Nationen, dass Saudi-Arabien nicht mit Militärschlägen, sondern mit Politik eine Lösung sucht.

Heikel sind deshalb deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Die Grünen im Bundestag verlangen eine öffentliches Nein von Merkel. Bei dieser Reise stehen aber nach Regierungsangaben keine Rüstungsgeschäfte an. Und das Thema könnte sich bald auch erledigt haben: Der saudische Vize-Wirtschaftsminister Mohammad al-Tuwaidschri sagte dem „Spiegel“, dass sein Land künftig auf Waffenlieferungen aus Deutschland verzichten wolle und eine engere generelle - auch wirtschaftliche - Kooperation anstrebe: „Kurz gesagt, wir werden der deutschen Regierung keine Probleme mehr bereiten mit immer neuen Wünschen nach Waffen.“

Demgegenüber wird die militärische Zusammenarbeit aber ausgebaut: Die Verteidigungsministerien schließen ein Abkommen zur Ausbildung saudischer Militärangehöriger in Deutschland ab. Die mitreisende Wirtschaftsdelegation, darunter die Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Lufthansa und der Deutschen Bahn streben Projekte zur Infrastruktur und Digitalisierung an.

Merkel will noch ausloten, inwieweit sie auf Saudi-Arabien beim G20-Gipfel der Industrie- und Schwellenländer im Juli in Hamburg zählen kann. Die Entscheidungen bei G20 müssen einstimmig gefasst werden. Jede Nuance ist da wichtig. Etwa beim Klimaschutz, dem der neue US-Präsident Donald Trump nicht viel Aufmerksamkeit beimisst.

König Salman empfängt die Kanzlerin mit militärischen Ehren, er gibt zu ihren Ehren ein Mittagessen im Königspalast mit Hunderten von Menschen, mehr als 90 Prozent sind Männer. In Gesprächen mit Merkels Delegationsmitgliedern an den einzelnen Tischen entwickeln sich schnell Diskussionen über Frauenrechte, die kulturelle Vielfalt im Land und den ambitionierten Wirtschaftsumbau „Vision 2030“.

Dieser soll Saudi-Arabien unabhängig von dem Rohstoff Erdöl machen, der das Land mit Geld flutete und nun wegen des fallenden Ölpreises und begrenzter Ressourcen schwächt. Das Programm könnte zugleich eine Modernisierung der ultrakonservativen saudischen Gesellschaft bedeuten. Jedenfalls hoffen darauf die jungen, aufstrebenden saudischen Politiker in dieser Runde am Mittagstisch.

„Es wird noch Jahre brauchen, bis Frauen die gleichen Rechte wie Männer in Saudi-Arabien haben. Manche wollen das gar nicht erreichen, aber es wird immer mehr darüber gesprochen. Wir haben in den vergangenen 30 Jahren große Fortschritte gemacht. Wir werden sie auch in den nächsten 30 Jahren machen“, sagt ein Vize-Gouverneur aus der Region Dschidda.

Es ist schon immer Merkels Devise gewesen, keinem anderen Land die deutsche Lebensweise aufzudrücken, nicht eigene Werte über die der Anderen zu stellen, sondern dem Gegenüber erst einmal mit Respekt zu begegnen. Natürlich kennt Merkel aber die Erwartungen der deutschen Opposition, sie möge die verheerende Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ansprechen. Das ist auch ihr eigenes Interesse.

Ensaf Haidar, die Frau des in Saudi-Arabien inhaftierten Bloggers Raif Badawi, hofft sehnlich, dass Merkel König Salman direkt nach einer Begnadigung ihres Mannes fragt. Unklar, ob eine solche Öffentlichkeit der Diplomatie mehr nützt oder schadet. Man darf aber davon ausgehen, dass Merkel sich für Badawi einsetzt.

Er wurde 2014 nach bereits mehrjähriger Haft wegen angeblicher Beleidigung des Islams zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Stockhieben verurteilt. Mit 50 Stockhieben wurde bereits auf ihn eingeprügelt. Sein Vergehen: Er hatte sich für die Gleichbehandlung aller Menschen eingesetzt, unabhängig von Religion und Weltanschauung.

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