Bundeswehr in Mali Im Kampf gegen die Islamisten der Wüste

Der Norden Malis ist von Terroristen durchsetzt. Deutsche Soldaten sollen als Teil einer Uno-Mission deren Netzwerke zerschlagen und Anschläge verhindern. Es ist der gefährlichste Bundeswehreinsatz in Afrika.

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Ein Konvoi deutscher Blauhelmsoldaten fährt mit gepanzerten Fahrzeugen in der Stadt Gao im Norden Malis Patrouille. Quelle: dpa

Gao Gepanzerte Fahrzeuge rollen durch die staubigen Straßen der Stadt Gao im Norden Malis. Ihre Waffen sind schussbereit. Auf dem Dach weht neben der Uno-Flagge die deutsche Fahne. Trotz 50 Grad im Schatten tragen die Soldaten rund 20 Kilogramm Schutzausrüstung.

An einer kleinen Siedlung verwitterter Lehmhäuser kommt der Konvoi zum Stehen. Neugierige Kinder mit laufenden Nasen und staubigen Kleidern rennen herbei. Mit einem lauten „Bonjour“ steigen die Soldaten aus. Einer kommt mit den Einwohnern ins Gespräch. Die anderen stehen mit geladenen Maschinenpistolen Wache.

Kapitänleutnant Sebastian R. spricht mit zwei Jugendlichen über Fußball und die Schule. Zum Abschluss stellt er die Frage, um die es eigentlich geht: „Wie sieht es mit der Sicherheit aus?“ Die Jungs zucken mit den Schultern, schauen verlegen auf den Boden. Momentan sei alles ruhig, sagen sie.

Gao, mit seinen 100.000 Einwohnern, war 2012 die Hauptstadt des Rebellenstaates Azawad, der zu einem großen Teil von islamistischen Gruppierungen beherrscht wurde. Ihr Einflussgebiet wurde immer größer. Aufgehalten werden konnten die Aufständischen nur durch eine französische Intervention Anfang 2013. Seitdem suchen die Regierung in Bamako und zahlreiche Rebellengruppen nach einer Friedenslösung, die aber immer wieder von Extremisten torpediert wird.

Die deutsche Patrouille gehört zu einer Blauhelm-Truppe der Vereinten Nationen, die zur Friedenssicherung in der Wüstenregion beitragen soll. Es ist der größte und gefährlichste Uno-Einsatz in Afrika. Mehr als 70 Blauhelm-Soldaten kamen in den vergangenen drei Jahren bei Angriffen oder Anschlägen ums Leben.

Die bald 650 deutschen Soldaten des Kontingents werden in Mali für unabsehbare Zeit vor allem aufklären, etwa mit Spähpanzern oder Drohnen. Die offensive Bekämpfung der Terroristen überlässt die Uno den Franzosen, die dafür 3500 Soldaten in der Sahelzone stationiert hat. Aber in Gefechte können natürlich auch die Deutschen verwickelt werden.

Nach einer knappen halben Stunde fährt die Patrouille weiter, vorbei an Frauen in farbenfrohen Gewändern, Motorradfahrern, Gemüseständen, Ziegen und Esel-Karren. Viele Einwohner winken den Soldaten zu. Der Konvoi hält immer wieder, an einem Tante-Emma-Laden, gegenüber einer Schule. Vor einer großen Moschee tauschen die Soldaten mit Oumar, dem Wächter, Handy-Nummern aus. Er könnte ein guter Kontakt sein.

Doch es gibt auch andere Vorkommnisse. In einer Siedlung mit neuen, teuren Häusern kursieren Gerüchte über Drogenhandel. Dann fährt ein Kleintransporter mit Männern der Tuareg-Volksgruppe dem deutschen Konvoi entgegen. Einer der mit Turbanen und langen Gewändern bekleideten Männer auf der Ladefläche trägt eine Kalaschnikow.


Vollmond bereitet Patrouillen große Sorge

Die Aufgabe der deutschen Patrouille ist es, durch Gespräche mit der Bevölkerung, mit Nichtregierungsorganisationen und Beamten Informationen zur Sicherheits- und Feindlage zu sammeln. Wo leben welche Ethnien? Wo sind Märkte, Moscheen und Versammlungsorte? Wo befinden sich Fabriken und Generatoren? Halten sich Islamisten innerhalb der Stadt versteckt?

„Zurzeit ist die Sicherheitslage gut, wenn auch nicht stabil“, sagt Teamführer Hauptmann Sven F. „Doch rund 50 Kilometer außerhalb Gaos wird es unsicher.“ Besonders in der weiter nördlich gelegenen Region Kidal kommt es zu regelmäßigen Anschlägen, vor allem mit improvisierten Sprengkörpern. Erst am Dienstag gab es zwei Angriffe auf Uno-Lager in Gao, bei denen vier Uno-Mitarbeiter getötet wurden.

Die Analyse eines solchen Anschlags ist die Aufgabe des Experten für improvisierte Sprengkörper der Bundeswehr, Oberstleutnant Mark H., der im „Camp Castor“, drei Kilometer außerhalb Gaos, zusammen mit dem deutschen Kontingent stationiert ist. „Wir versuchen herauszufinden, welche Art von Sprengsätzen die Handschrift welcher Terrorgruppe trägt“, damit die Uno-Mission ihre Taktik, die Ausrüstung der Soldaten sowie den Schutz der Fahrzeuge entsprechend anpassen könne, erklärt H. „Momentan sind die Terroristen noch ungeübt, aber das kann sich ändern. Ihr Material ist professionell“, sagt er.

Die Arbeit des Patrouille-Teams und des Sprengkörperexperten wird von einer Gruppe von Feldnachrichtenkräften ergänzt. Sie suchen Zugang zu den zahlreichen Terrorgruppen im Norden Malis, um sicherheitsrelevante Informationen über deren Strategie, Planung und Finanzierung zu erfahren. Im „Camp Castor“ haben die in Gesprächspsychologie geschulten Kräfte einen separaten Bereich, in dem sie ihre Kontakte geschützt befragen können, wie Stabsfeldwebel Norbert H. erläutert.

Alle Informationen, die in den verschiedenen Aufklärungsbereichen gewonnen werden, werden schließlich übereinandergelegt, um ein vollständiges Bild der Bedrohung zu erhalten. „Wir versuchen, immer mehr Bekannte zu sammeln, damit wir das Unbekannte bestimmen können“, erklärt Oberstleutnant Mark H.

Mittlerweile rollen die gepanzerten Patrouille-Fahrzeuge in das mit Stacheldraht und drei-Meter-hohen Schutzwänden umzäunte „Camp Castor“ zurück. Sie fahren durch das geschützte Eingangstor, das rund um die Uhr von fünf Soldaten bewacht wird. Ein Soldat sucht mit Hilfe Spiegeln nach Bomben an der Unterseite des Fahrzeugs.

Streifen fahren in regelmäßigen Abständen zwischen fünf Wachtürmen hin und her, die das 500 mal 600 Meter große Lager schützen. Auch hier halten trotz brütender Hitze, giftiger Spinnen, Schlangen und Skorpione Soldaten Tag und Nacht Wache. „Wir melden jede Bewegung, die auf das Lager zukommt“, erklärt Oberstabsgefreiter Harry R. Für den Notfall sind die Soldaten gut ausgestattet: Mit Maschinengewehren, Granatpistolen, Schnellschusswaffen und Panzerfäusten. Vollmond sei die gefährlichste Zeit, sagt R., da sei das Lager fast wie beleuchtet.


Immer wieder Raketenangriffe aufs Camp

Die größte Gefahr für „Camp Castor“ seien jedoch Angriffe mit Raketen, sagt Oberstleutnant Marc Vogt, der Kommando-Chef des deutschen Einsatzkontingents. Diese würden meistens aus 15 bis 20 Kilometern Entfernung abgefeuert. Das Lager wurde bereits im Dezember mit Raketen angegriffen. Daher führe man nun „genaue Bedrohungsanalysen durch, um das Risiko einzuschätzen und ihm bestmöglich zu begegnen“, so Vogt. Dabei sollen auch Drohnen vom Typ „Luna“ helfen, die bis zu sechs Stunden einen Radius von 80 Kilometer abfliegen können.

Die Bundeswehr hat bereits 15 der Luna-Drohnen vor Ort in Gao. Fliegen dürfen sie jedoch erst, wenn eine Zertifizierung durch die Uno abgeschlossen ist. Bis dahin übt das Luna-Team den schnellen Aufbau des Fluggeräts und des dazugehörigen Katapults. Ein Team von 23 Soldaten kann die Drohne innerhalb von 20 Minuten in die Luft bekommen: drei Soldaten bauen auf, drei weitere starten die Bodenkontrollstation, der Rest bildet einen Sicherheitskreis aus zwölf Militärfahrzeugen.

„Luna“ soll täglich im Einsatz sein. Die Drohne wird vor Militärkonvois herfliegen, um die Lage zu sichern und nach Anzeichen für Sprengsätze, Terror-Trainingscamps oder Waffenlager suchen. Auch bei der Sicherung des „Camp Castor“ soll sie helfen, sagt Stabsfeldwebel Dirk D. Im November werden zwei bis drei der größten Bundeswehr-Drohnen vom Typ „Heron“ dazukommen, vor allem, um die wichtigen Verbindungsstraßen zwischen den Städten im Norden zu überwachen.

Oberstleutnant Mark H. weiß aus schmerzhafter Erfahrung, wie wichtig gute Aufklärung ist. In Einsätzen in Afghanistan fuhr er bereits zwei Mal auf eine Mine - und kam mit dem Leben davon. „Ich weiß, wie schnell es gehen kann. Das hilft mir bei meiner Arbeit jetzt.“

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