
Argentinien steht erneut vor einem Default, also einem umfassenden Zahlungsausfall, wie zuletzt vor 13 Jahren. Wenn Argentinien bis zum 30. Juli nicht seine Gläubiger bezahlt, dann dürfte das Land in eine tiefe Rezession stürzen, möglicherweise mit Hyperinflation, und einem politischen Chaos.
Doch wenn ich argentinische Zeitungen aufschlage oder mit Freunden am Telefon über die Stimmung in Buenos Aires rede, dann habe ich das Gefühl: Die ganze Krise beeindruckt eigentlich niemanden so richtig dort. Viel wichtiger ist der Zustand der eigenen Nationalelf: „La Nacion“, Argentiniens führende konservative Zeitung, hatte am Montag als Aufmacher ihrer Website ein Portrait der Albiceleste mit dem Titel: „Eine Gruppe von Freunden: Die geheimen Träume unser Mannschaft.“ Dass am selben Tag eine Delegation nach New York reiste, um die komplexen Schuldenverhandlungen zu beginnen, das läuft unter ferner liefen.
Das ist auch in Brasilien nicht anders: Rabenschwarze Konjunkturdaten veröffentlichte die Regierung letzte Woche. Die Steuereinnahmen sind eingebrochen, es werden keine neuen Jobs mehr geschaffen, die Industrie schrumpft nun im dritten Jahr. Es ist abzusehen, dass 2015 ein sehr schwieriges Jahr für die Wirtschaft wird. Das hätte an jedem anderen Tag katastrophale Schlagzeilen ausgelöst. Doch jetzt, mit der Seleção im Halbfinale, interessiert sich die Nation eigentlich für nichts anderes als für Neymars Ersatz und dessen Chancen, sich doch noch zu erholen.
Spätestens nach dem Finale am 13. Juli dürften die Brasilianer wie Argentinier mit einem Kater in der Realität aufwachen. Einzige Ausnahme: Der Titelgewinn – der würde Argentinier wie Brasilianer noch für einige Tage länger auf Wolke sieben schweben lassen. Doch auch von dort droht irgendwann der Abstieg.